Die Arktis kommt dieses Jahr kaum aus den Schlagzeilen heraus. Neben den riesigen Waldbränden in Sibirien und Alaska, den steigenden Touristenzahlen und russischen Aufrüstungsmassnahmen sind die massiven Schmelzvorgänge in Grönland und dem arktischen Ozean immer wieder in der Presse. Nach der letzten Hitzewelle, die Europa Mitte bis Ende Juli überrollte hatte, ist nun in Grönland und dem Arktischen Ozean schon wieder ein gigantischer Schmelzeffekt zu beobachten gewesen, mit entsprechenden Konsequenzen.
Das US-amerikanische National Snow and Ice Data Center NSIDC vermeldete, dass über den gesamten Juli die durchschnittliche Meereisbedeckung des Arktischen Ozeans rund 80,000 Quadratkilometer kleiner war, als 2012, dem Negativrekordjahr, und rund 1.8 Millionen Quadratkilometer kleiner als im 30-jährigen Durchschnitt. Der Juli gilt zwar als der heisseste Monat in jedem arktischen Sommer und daher auch der Monat mit dem grössten Eisverlust. Doch dieses Jahr waren die Mengen die siebtgrössten Verluste seit 1981. Vor allem die östlichen Bereiche (von Europa aus gesehen) hatten riesige Flächen freien Wassers. Die Tschuktschensee, das Beringmeer, die Laptevsee und im Westen die Hudson Bay waren von der Schmelze betroffen. Am 31. Juli waren die Nordostpassage und die Küste Alaskas praktische eisfrei.
Das Schmelzen des Meereises geschah jedoch nicht nur wegen der Hitzwelle, die den Norden Eurasiens getroffen hatte. Durch die vermehrten offenen Wasserflächen konnte das Meer viel mehr Sonnenstrahlung aufnehmen und schmolz so das Eis von unten her ab. Ausserdem transportierten die Meeresströmungen die Hitze weiter in den Norden und trugen so zur Schmelze bei. Am 31. Juli betrug die Eisfläche knapp 6.2 Millionen Quadratkilometer, rund 2 Millionen weniger als im langjährigen Durchschnitt. Danach ging es rapid bergab und am 10. August waren bereits weitere 1.1 Millionen Quadratkilometer Eis verschwunden. Noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen war die Eisfläche an diesem Datum kleiner. Sogar 2012, als das Arktische Meereis seine kleinste jemals gemessene Ausdehnung hatte, bedeckte etwas mehr Eis den Ozean. Sollte der Trend anhalten, könnte dieses Jahr ein neuer Negativrekord erreicht werden. Schon jetzt ist sicher, dass 2019 in die Top 7 gelangen wird.
Auch in Grönland wurden die Hitzewellen aus Europa gespürt. Am 31. Juli, als die Hitze ihren Höhepunkt erreicht hatte, lagen die Temperaturen an den verschiedenen Messpunkten weit über den Durchschnitten. Bis zu 10°C höhere Werte wurden gemessen und sogar mitten auf dem Eisschild auf über 2000 Metern Höhe, wo normalerweise zweistellige Minusgrade herrschen, wurde eine Temperatur von nur -4.5°C gemessen. Riesige Schmelzwasserseen und -flüsse bedeckten den Eispanzer. Mittlerweile sind die Temperaturen wieder zurückgegangen, doch das geschmolzene Eis ist weg.
Doch die Eisschmelze geschieht nicht gleichmässig in den verschiedenen Regionen. Im Bereich der Nordwestpassage, vor allem im nördlichen Bereich und am westlichen Ende liegen immer noch weite Teile vom Eis eingeschlossen. Auch in der Barentssee liegt das Eis an der Grenze des 1981-2010 Durchschnittes. Im östlichen Teil Svalbards ist das Eis immer noch weit im Süden zu finden. Dafür sind von Alaska bis nach Murmansk alle Teile praktisch eisfrei. Auch die Meereiskonzentration sieht düster aus: Nur noch drei grosse Bänder vom Nordpol ausgehend in Richtung Svalbard, Grönland und in Richtung Kanada/Alaska zeigen eine beinahe komplett geschlossene Decke. Diese Situation, die schon seit Juli sich abgezeichnet hat, wirkt sich auch auf die arktische Tierwelt aus: In Alaska sind die Walrossliegeplätze noch nie so früh in der Saison bereits gefüllt gewesen, wie dieses Jahr; In einigen Ortschaften in Russland melden die Behörden in den Siedlungen immer häufiger Eisbären, die dort nach Nahrung suchen. Beide Arten sind sehr stark von Meereis abhängig und müssen nun, da kein Eis mehr da ist, an Land. Der Konflikt mit Menschen und auch untereinander ist vorprogrammiert.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal