Streit zwischen Tourismus und Forschung in Kanadas hohem Norden | Polarjournal

Im Bereich der Nordwestpassage im hohen kanadischen Norden sind viele Gebiet beinahe unberührt. Dadurch sind diese Gebiete sowohl für die Wissenschaft wie auch für Touristen interessant. Die einen möchten dort versuchen, die Arktis in aller ihrer Vielfalt zu verstehen, um sie auch schützen zu können. Die anderen möchten dort der Natur nahe sein und Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum mit natürlichem Verhalten erleben. Während der jüngsten Forschungsreise des schwedischen Polarforschungssekretariat SPRS kam es zu einer Konfliktsituation zwischen den beiden Lagern im Bereich des Cunningham Inlets, bekannt für unzählige Belugas und ihre Kälber.

An der Küste des Inlets, der im Norden von Somerset Island liegt, hat der kanadischer Reiseanbieter seit einigen Jahren sein Lager errichtet, von wo aus Touristen Touren an die Strände und in das Umland unternehmen können. Das Highlight des Camps sind die hunderte von Beluga-Walen, die jährlich in die flachen Gewässer kommen, um dort die Jungen aufzuziehen. Der Inlet bietet aufgrund der niedrigen Wassertiefen Schutz vor Orcas und leichteren Nahrungszugang für die Wale. Diese wiederum sind relativ leichte Fotomotive für die Gäste des Camps, die rund € 11,000 für 9 Nächte im Camp hinlegen müssen, Anreise nicht eingerechnet. Dafür wirbt die Firma mit einem aussergewöhnlichen und ungestörten Naturerlebnis nahe an den Belugas. Diese Aussage hatte in der Vergangenheit schon einige namhafte Fotografen und Filmemacher an den Rand der Nordwestpassage gelockt.

Das Lager besteht aus 16 Zelthütten und einem Hauptgebäude. Vom Lager aus sind Ausflüge und Aktivitäten angeboten während des Aufenthalts. Bild: Heiner Kubny

Auch Wissenschaftler aus den verschiedensten Forschungszweigen und aus unterschiedlichen Ländern sind an diesem Gebiet sehr interessiert. Auswirkungen des Klimawandels können hier genauso erforscht werden wie auch ozeaongraphischen Themen oder sogar paläontologische und kulturelle Aspekte aufgrund der wenigen Siedlungen im weiteren Umkreis des Inlets. Die jüngste Forschungsfahrt wurde vom schwedischen Polarforschungssekretariat SPRS, dem Inner Space Center und verschiedenen Universitäten an Bord des schwedischen Eisbrechers Oden durchgeführt. Die 18-tägige Expedition hatte zum Ziel, die Auswirkungen der Erwärmung im kanadischen Archipel der Nordwestpassage zu untersuchen. Dabei sollten auch verschiedene Live-Übertragungen und ein Dokumentarfilm über die Expedition berichten. Dazu waren wiederum ein erfahrenes Filmteam und Fotografen an Bord. Die Reise sollte von Thule in Grönland aus starten und auch wieder enden. Dazwischen waren Fahrten und Anlandungen an verschiedenen Orten in der Passage geplant, darunter auch im Cunningham Inlet, wo Schlauchboot- und Drohnenoperationen vorgesehen waren. Die Tour startete am 17. Juli in Thule und ab dem 21. Juli waren die Forscher in der Nordwestpassage.

Die unter schwedischer Flagge fahrende Oden fuhr innert 18 Tagen von Grönland aus durch die Nordwestpassage und zurück. Dabei wurden unzählige Proben genommen, Messungen durchgeführt und Bildaufnahmen gemacht. Die Karte rechts zeigt die Route der Zodiacs im Cunningham Inlet selbst. Bild: Schwedisches Polarforschungssekretariat

Ende Juli traf die Oden, der schwedische Eisbrecher mit den Forschern an Bord, drei Seemeilen ausserhalb des Cunningham Inlets ein. Zu diesem Zeitpunkt lag noch sehr viel Eis in der Passage und das Schiff driftete vor Ort. Wissenschaftler und Filmer gingen in zwei Zodiacs von Bord mit dem abgesprochenen und von den kanadischen Behörden genehmigten Plan, im Inlet Proben zu nehmen und Aufnahmen zu machen. Was danach geschah, wird von den beiden beteiligten Seiten unterschiedlich erklärt. Die Camp-Betreiberfirma erklärte auf ihrer Webseite und auf Social Media-Kanälen, die Forscher seien mit ihren Zodiacs in den Inlet gerast und hätten rund 700 Belugas inkl. Kälber dadurch aufgescheucht und in Panik versetzt. Drohnenaufnahmen eines Filmemachers, der vor Ort war, sollten die Behauptungen untermauern. Gemäss den Aussagen der Betreiber, seien innerhalb von 30 Minuten praktisch alle Belugas verschwunden. Die Zodiacs hätten auch nicht auf die am Strand stehenden Mitarbeiter des Camps reagiert, sondern seien in die Mitte des Inlets gefahren und sich nicht weiter gekümmert.

Die Expeditionsverantwortlichen dagegen liessen verlautbaren, dass zwar zwei Zodiacs in die Bucht gefahren seien, aber keine Belugas mehr zu diesem Zeitpunkt dort zu sehen waren. Ein Boot hätte ausserhalb auf einer Eisscholle eine Drohne startklar machen wollen, als zwei Quad-Bikes angebraust kamen und die Fahrer wild gestikuliert hatten. Dabei seien auch zwei Schüsse gefallen. Darauf hätte sich die Zodiacs die Drohnenoperation abgebrochen und seien an die weiter entfernte Ostseite der Bucht gefahren. Dort sei aber auch eines der Boote von den beiden Fahrern schikaniert und mit einer Waffe bedroht worden. Das andere hätte bei Unterwasseraufnahmen im Umkreis von einer Seemeile keine Beluga-Ansammlungen entdeckt. Nach der Bedrohung durch die Campmitarbeiter seien beide Zodiac-Teams zur Oden zurückgefahren, um die Situation nicht noch weiter eskalieren zu lassen. Das SPRS betont, dass alle notwendigen Vorkehrungen und Genehmigungen lange im Vorfeld eingeholt worden waren. Der eigentliche Vorfall wurde der RCMP, der kanadischen berittenen Polizei gemeldet. Weitere Nachrichten wurden seither von beiden Seiten nicht veröffentlicht.

Der schwedische Eisbrecher Oden wurde Ende der 80-er Jahre gebaut. Sie ist über 107 m lang und 25 m breit. Ihr Tiefgang ist mit rund 8 Meter zu tief, um in die Nähe des Inlet-Eingangs zu fahren. Daher blieb das Schiff rund 3 Seemeilen vor der Küste am Eisrand. Bild: Schwedisches_Polarforschungssekretariat

Quelle: Michael Wenger, Polar Journal

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