Start zur größten Arktis-Forschungsexpedition aller Zeiten | Polarjournal
Die «Polarstern» im Weddellmeer. Einsatz der Bordscheinwerfer. Polarsternexpedition ANT-XXIX/6 vom 8. Juni – 12. August 2013. Die Fahrt war die erste antarktische Winterexpedition seit dem Jahr 2006. (Foto: Stefan Hendricks)

Nach einem Jahrzehnt der Vorbereitungen war es soweit: Am 20. September 2019 um 20:30 Uhr verlies der deutsche Eisbrecher «Polarstern» den Hafen im norwegischen Tromsø. Begleitet vom russischen Eisbrecher «Akademik Fedorov» nimmt er Kurs auf die zentrale Arktis. An Bord erforschen Wissenschaftler eine im Winter nahezu unerreichbare Region, die entscheidend für das globale Klima ist. Sie sammeln dringend benötigte Daten zur Wechselwirkung zwischen Atmosphäre, Ozean und Meereis sowie zum polaren Ökosystem. Dank der Zusammenarbeit internationaler Experten hebt die einjährige Eisdrift vorbei am Nordpol die Klimaforschung auf ein neues Niveau. 

Letzte Beladung der Polarstern, während russischer Eisbrecher «Akademik Fedorov»nach Tromsø kommt. Der russische Eisbrecher ist das erste Versorgungsschiff während der MOSAiC-Expedition, das wissenschaftliche Ausrüstung und Treibstoff für die «Polarstern» liefert. 19. September 2019 (Foto: Alfred-Wegener-Institut)

Kaum eine Region hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so stark erwärmt wie die Arktis. Gleichzeitig fehlen ganzjährige Beobachtungen aus dem eisbedeckten Nordpolarmeer. Die MOSAiC-Expedition bringt nun zum ersten Mal einen modernen Forschungseisbrecher für ein ganzes Jahr in die Eisdrift und ermöglicht Wissenschaftlern dadurch auch im arktischen Winter Forschung in der Nähe des Nordpols. Die Klimaprozesse dort sind ein Puzzleteil, das ihnen fehlt, um bessere Prognosen zum globalen Klimawandel zu erstellen. Denn es wird vermutet, dass die starke Erwärmung in der Arktis enorme Auswirkungen auf die gemäßigten Breiten hat. 

Die MOSAiC-Expedition unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) ist verbunden mit noch nie dagewesenen Herausforderungen. Eine internationale Flotte von 4 Eisbrechern, Helikoptern und Flugzeugen versorgt das Team auf dieser extremen Route. Insgesamt 600 internationale Teilnehmer, davon die Hälfte Wissenschaftler, werden die Mission begleiten.

Prof. Dr. Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar und Meeresforschung (Foto: Alfred-Wegener-Institut)

„Seit 2011 arbeiten unsere Wissenschaftler an der Idee, eine große Mission in die Nordpol-Region zu ermöglichen. Die «Polarstern» wird dazu ins Eis eingefroren, um sie als sichere Unterkunft zu nutzen, wenn draußen auf dem Meereis unter extremen Bedingungen geforscht wird. Wir haben die weltweit besten Arktisforscher aus vielen Disziplinen vernetzt, um diese Mission auf die Beine zu stellen. Noch 2011 hätten wir uns nicht vorstellen können, wie dünn das Meereis und wie warm die Winter geworden sind. Es ist also höchste Zeit für die Expedition aufzubrechen und Daten und Bilder einer Region zu ermitteln, die sich schneller verändert als wir sie erforschen können.“

Markus Rex, Expeditionsleiter MOSAiC, beim MOSAiC-Training in Ny-Ålesund. (Foto: Esther Horvath)

„Diese Expedition ist bahnbrechend. Niemals zuvor gab es eine derart komplexe Arktisexpedition. Erstmals werden wir die Klimaprozesse der Zentralarktis im Winter vermessen können. Erstmals wird es uns gelingen, diese Region zu verstehen und in Klimamodellen korrekt abzubilden. Die Arktis ist das Epizentrum der globalen Erwärmung mit dramatischen Veränderungen schon heute. Und sie ist die Wetterküche für unser Wetter in Europa. Extremwetterlagen wie winterliche Ausbrüche arktischer Kaltluft bis zu uns oder extrem heiße Phasen im Sommer hängen mit den Veränderungen der Arktis zusammen. Gleichzeitig sind die Unsicherheiten unserer Klimamodelle nirgends so groß wie in der Arktis. Es gibt keine verlässlichen Prognosen, wie sich das Klima der Arktis in der Zukunft weiter entwickeln wird und was das für das Wetter bei uns bedeutet. Es ist unsere Mission, das zu ändern.“

Kapitän Stefan Schwarze steht vor dem Eisbrecher «Polarstern» im Trockendock der Lloyd Werft in Bremerhaven. (Foto: Esther Horvath)

“Die «Polarstern» wird nun bald 40 Jahre alt – und ist nicht nur ein hervorragender Eisbrecher, sondern besitzt zugleich ein exzellentes Seegangverhalten. Oftmals sind gute Eisbrecher schlechte Seeschiffe. Doch dies gilt nicht für die «Polarstern», und das macht sie einzigartig. Die «Polarstern» ist das Zentrum der MOSAiC-Expedition: worum sich alles dreht, und wohin auch alle zurückkehren, sollte irgendetwas schief gehen. Die «Polarstern» ist sozusagen unser Fels in der Brandung. Selbst wenn alles schief gehen sollte, ist «Polarstern noch da» – und dafür zu sorgen ist meine Aufgabe als Kapitän.“

See und Eis Training in Finnland zur Vorbereitung auf die MOSAiC Expedition (Foto: Roland Kerstein)

Die beiden Eisbrecher werden in Sichtkontakt über die Barents- und Karasee Kurs auf die Zentralarktis nehmen. Nach etwa zwei Wochen erreichen sie voraussichtlich die Zielregion bei 130 Grad Ost und 85 Grad Nord. Das erste von insgesamt sechs Teams wird dort eine geeignete Eisscholle suchen, um darauf ein komplexes Forschungscamp zu errichten. Dabei befinden sich die Wissenschaftler in einem Wettlauf mit der Zeit, denn schon wenige Tage nach ihrer Ankunft steigt die Sonne nicht mehr über den Horizont. Eine weitere Herausforderung wird die kritische Meereissituation in der Zielregion. Die Ausdehnung des Meereises ist in diesem Jahr dort weit zurückgegangen. Auch zeigen Satellitenbilder bisher kaum mehrjähriges Eis mehr, sondern hauptsächlich dünneres einjähriges Eis. 

Das Forschungscamp verbinden die Expeditionsteilnehmer mit einem Netz von Messstationen, welche ein Teil der Wissenschaftler mit dem Begleiteisbrecher «Akademik Fedorov» im Umkreis von 50 Kilometern einrichten. 20 Nachwuchspolarforscher, Studierende und Doktoranden, haben mit der MOSAiC School auf der «Akademik Fedorov» die einmalige Gelegenheit, an der Startphase der Expedition teilzunehmen und die Durchführung von Polarexpeditionen aus erster Hand zu lernen. Sobald das sogenannte Distributed Network fertiggestellt ist, treffen sich die beiden Eisbrecher für einen letzten Austausch von Crew und Material, bevor «Akademik Fedorov» nach Tromsø zurückkehrt, wo sie voraussichtlich am 30. Oktober eintreffen wird. Die Wissenschaftler auf der «Polarstern» bleiben bis Mitte Dezember an Bord und werden dann durch das zweite Team abgelöst. Weitere Versorgungen und Teamwechsel folgen im nächsten Jahr. Für das Frühjahr 2020 ist zudem eine begleitende Flugkampagne geplant, für die eine Landebahn auf dem Meereis errichtet werden soll. Die «Polarstern» wird sich im Spätsommer 2020 zwischen Grönland und Spitzbergen aus dem Meereis befreien und nimmt anschließend Kurs auf ihren Heimathafen in Bremerhaven, wo sie Mitte Oktober 2020 erwartet wird.

Quelle: AWI, Bremerhaven

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