Der Frühling in der Antarktis, wenn die Temperaturen wieder etwas ansteigen, zeigt sich nicht durch blühende Vegetation, sondern durch das Auftauen an der Oberfläche von Gletschern und Eisschelfs. Nun haben Forscher der Universitäten Durham und Lancaster zum ersten Mal grossflächig diese Schmelzwasserseen kartografiert und ihre Resultate in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht.
Die Ergebnisse der Studie sind sogar für die Forscher überraschend: Auf einer Fläche von rund 5 Millionen Quadratkilometer wurden mehr als 65,000 sogenannte supraglaziale Seen entdeckt. Die Ergebnisse wurden mit Hilfe von hochauflösenden Satellitenbildern erstellt. Unter den beobachteten Gebieten sind auch einige, von denen man angenommen hatte, dass dort Schmelzprozesse nicht derart intensiv seien. Mit der Arbeit wurde zum ersten Mal von der grössten Eismasse der Welt, dem ostantarktischen Eispanzer, eine entsprechende Karte erstellt. Gemäss den Forschern bilden sich die Schmelzwasserseen besonders in den Küstengebieten der Eisdecke. Obwohl bisher davon ausgegangen war, dass dieser Teil Antarktikas von der Klimaerwärmung weniger stark betroffen sein würde, zeigt die Studie, dass diese Annahme falsch sein könnte. Denn die Bilder zeigten, dass diese Seen teilweise nur wenige Kilometer von der Groundinglinie, an der die Gletscher und Eisschelfs auf dem Meeresboden noch aufliegen, bevor sie im Meer treiben. Die Wissenschaftler berechneten, dass etwa 60 Prozent aller Seen auf den schwimmenden Eisschelfgebieten, von denen ein paar mittlerweile durch die Erwärmung zusammenzubrechen drohen. Die Schmelzwasserseen könnten diesen Prozess beschleunigen, wenn das Wasser in die Spalten und Risse gelangt.
Eine weitere Überraschung zeigte sich den Forschern im Innern des Kontinents. Die Seen wurden nicht nur an der Küste entdeckt, sondern hunderte von Kilometern im Inland und bis auf eine Höhe von 1,000 Meter über Meer. Die Grösse der Seen umfasste von der Grösse eines Schwimmbeckens bis zu richtige Seengrösse. Der grösste See umfasste eine Fläche von 70 Quadratkilometer. Chris Stokes, Hauptautor der Studie und Professor für Geographie an der Universität Durham meint: «Wir wissen seit einiger Zeit, dass sich in der östlichen Antarktis See bilden. Doch wir waren überrascht, wie viele sich am gesamten Rand des Eisschildes gebildet hatten. Die Dichte in einigen Regionen ähnelt der Dichte, die wir auf dem grönländischen Eisschild und auf der antarktischen Halbinsel, die generell wärmer sind, beobachtet haben. Es ist besorgniserregend, weil wir wissen, dass in anderen Gebieten eine grosse Zahl von Schmelzwasserseen treibende Eisschelfs auseinanderbrechen lassen und so zu einem beschleunigten Abfliessen des Inlandeises führen.»
Die Forscher erklären, die Anzahl der kartierten Seen sei ein lediglich ein Minimum, da einige kleine Seen möglicherweise übersehen wurden, während andere im Dezember oder Februar möglicherweise grösser waren. Mitautorin Dr. Amber Leeson vom Lancaster Environment Center der Lancaster Universität sagt: «Am anderen Ende der Erde haben wir gesehen, wie sich Grönlands supraglaziale Seen mit steigenden Lufttemperaturen im Landesinneren ausbreiteten, und wir sind besorgt über die möglichen Folgen für ein verstärktes Schmelzen und einen erhöhten Eisverlust. Bis vor kurzem gingen wir davon aus, dass die Ostantarktis zu kalt ist, um ähnlich verwundbar zu sein.»
Quelle: Durham Universität / Stokes et al (2019) Sci Rep 9, 13823