Der Wahlkampf 2019 in Kanada, der am vergangenen Montag mit den Parlamentswahlen seinen Höhepunkt erreicht hatte, war dieses Jahr erbitterter und teilweise aggressiver geführt worden, als man es aus Kanada sonst kennt. Premierminister Justin Trudeau und seine Liberalen sahen sich einer stärkeren Opposition ausgesetzt, die nicht nur von den Konservativen ausging, sondern auch von den Neuen Demokraten und sogar den Grünen. Die Wahlen konnten die Liberalen zwar gewinnen, doch Nunavut und die Provinzen rund um die Hudson Bay gingen fast alle verloren. Ein Resultat des Glaubwürdigkeitsverlustes von Trudeau gegenüber den Inuit.
Das grösste Territorium Kanadas wählte dieses Mal nicht die liberale Kandidatin Megan Pizzo-Lyall oder die bekannte ehemalige Ministerin Leona Aglukkaq, sondern die 25-jährige Mumilaaq Qaqqaq von den Neuen Demokraten. Der Sieg von Qaqqaq war nicht knapp, sondern mit über 41 Prozent der Stimmen komfortabel gegenüber der liberalen Kandidatin mit ihren 31 Prozent. Nunavut war aber nicht das einzige Gebiet im kanadischen Norden, welches nicht mehr eine liberale Vertretung in Ottawa wollte. Auch Nunavik, am Ostrand der Hudson Bay gelegen und Teil der Provinz Québéc , liess den Liberalen keine Chance und wählte stattdessen die Vertreterin des Bloc Québécois, Sylvie Bérubé. Nur 3 Regionen von insgesamt 8, die zu den arktischen Provinzen und Territorien gezählt werden, wählten die liberalen Vertreter in das kanadische Parlament.
Mumilaaq Qaqqaq ist mit ihren 25 Jahren eine der jüngsten Abgeordneten, die je ins kanadische Parlament gewählt worden waren. Mit ihrem Alter repräsentiert sie auch das Durchschnittsalter der Bevölkerung ihres Territoriums (24.7 Jahre). Die Jugendlichen und die Probleme der Inuit liegen ihr auch am Herzen und machten ihren Wahlkampf aus. Sie kritisierte wiederholt die Regierungen als zu abgehoben und bezugslos zur Wirklichkeit Nunavuts. «Die Regierung muss mehr in die Verantwortung für die Leben der Nunavummiut (Einwohner von Nunavut) und die restlichen Inuit genommen werden. Und ich glaube, dass viele hier so denken. Wir müssen endlich Veränderungen sehen und vielleicht ist es jetzt Zeit, dass eine andere Partei unseren Sitz im Parlament einnimmt», sagte sie im Interview. Die Neue Demokratische Partei (New Democratic Party) hatte bis 1982 bereits einmal den Abgeordneten gestellt, damals war aber Nunavut noch kein eigenständiges Territorium.
Mit ihrer Kampagne, in der sie zu einem Wandel durch die Jugend in Nunavut aufrief, hatte sie entsprechenden Erfolg. Es war auch das Ziel der New Democratic Party, mehr jugendliche Wähler abzuholen. Besonders stolz ist sie darauf, dass ihr gesamter Wahlkampf auf Freiwilligenarbeit beruhte. «Ich bin sehr stolz sagen zu können, dass meine Kampagne zu 100 Prozent aus Freiwilligen bestand und zu 100 Prozent aus Nunavummiut. Es ist ausgeschlossen, dass ich das ohne mein Freiwilligen-Team schaffen könnte, ohne die Leute, die mich in den Gemeinden bei sich einquartieren und ohne die Menschen, die an mich glauben. Und ich weiss, dass ich es schaffen werde,» sagte sie gegenüber Nunatsiaq News nach ihrem Wahlsieg. Sie war etwas überrascht, fühlte sich aber ruhig, als die Nachrichten ihren Sieg verkündet hatten. Angesprochen auf ihre künftige Rolle im Parlament, sprach sie sich für eine Zusammenarbeit aller Parteien aus. «Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit allen Parteien und Abgeordneten und allen Ebenen und verschiedenen Individuen in der Bundesregierung.» Sie will auch mit verschiedenen Inuit-Organisationen zusammenarbeiten zum Wohl der Nunavummiut. Dabei sind ihre Kontakte aus ihren bisherigen Stellen besonders hilfreich. Auf ihr junges Alter angesprochen, meint sie nur: «Lass dir von niemandem sagen, dass du etwas kannst oder nicht kannst, weil du zu unerfahren oder zu jung bist. Die einzige Person, die die Kraft hat, dass du etwas schaffen kannst, bist du selbst.»
Noch vor vier Jahren war Justin Trudeau und die Liberalen als Heilsbringer betrachtet worden und gewannen die Wahlen haushoch, auch in Nunavut, Yukon und all den anderen nördlichen Regionen. Doch mittlerweile hat die Realität Trudeau und die Liberalen eingeholt. Viele wichtige Punkte und Wahlversprechen, die Trudeau noch während seiner Kampagne 2015 im Norden gemacht hatte, blieben entweder unerfüllt oder wurden verwässert umgesetzt. «Wir hören Trudeau mit seinen Versprechen und Entschuldigungen. Doch wieviel davon wurde danach auch umgesetzt? Ich glaube, dass die Nunavummiut, die Inuit, all die eingeborenen Bewohner das Gefühl haben, dass dies gefehlt hat», sagt die frisch gewählte Qaqqaq. Tatsächlich hatte Premierminister Trudeau den Inuit zwar zu zwei neuen Schutzgebieten verholfen und dadurch auch Arbeitsplätze geschaffen. Doch die Themen Wohnungsbau, Preise, Versorgung und vor allem die immer verfehlte Energiepolitik wurden kaum angepackt oder laufen nur sehr schleppend. Im diesjährigen Wahlkampf wurden zwar viele Themen, die den Norden betreffen angesprochen, doch der Norden selbst kaum erwähnt. Auch das vielversprochene Strategiepapier zur kanadischen Arktispolitik blieb die Regierung lange schuldig und wurde stillschweigend einen Tag vor dem offiziellen Wahlkampfstart veröffentlicht. Die Regierung wird nun zeigen müssen, ob ihr der Norden tatsächlich am Herzen liegt und eine Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg möglich ist oder ob es reine Taktiererei war, die zum Schluss nach hinten los ging. Zumindest Mumilaaq Qaaqaq wird dafür sorgen, dass die Anliegen Nunavuts ein Gehör erhalten.
Quelle: Nunatsiaq News / High North News