Klimawandel begünstigt Ausbreitung der Seehundstaupe | Polarjournal
Bartrobben sind Träger des Seehundstaupevirus. Sie kommen aufgrund der globalen Erwärmung immer häufiger mit anderen Robbenarten in Kontakt, was seine weitere Ausbreitung zur Folge hat. Bild: Julia Hager

Das Seehundstaupevirus (PDV), an dem 1988 und 2002 insgesamt über 50.000 Nordsee-Seehunde starben, wurde in 2004 auch bei Seeottern im Nordpazifik bestätigt. Könnte sich das Virus eventuell aufgrund des schwindenden arktischen Meereises vom Nordatlantik in den Nordpazifik ausgebreitet haben? Wissenschaftler analysierten anhand zahlreicher Daten, die über einen Zeitraum von 15 Jahren gesammelt wurden, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten des Virus im Nordpazifik und der Ausdehnung des arktischen Meereises gibt.

Durch den Klimawandel verursachte Veränderungen in der Arktis wie Meereisverlust und steigende Luft- und Wassertemperaturen beeinflussen die Verfügbarkeit von Lebensraum und die Verbreitung, Fortpflanzung und Nahrungssuche vieler mariner Tierarten. Auch auf ihren Gesundheitszustand wirken sich diese Änderungen immer stärker aus, da es plötzlich neue Wege für die Tiere aber auch für Krankheitserreger gibt.
In den späten achtziger Jahren wurde PDV vermutlich über arktische Kegel- und Sattelrobben, die zwar Träger, aber weitaus weniger anfällig für das Virus sind, auf die Seehunde im Nordatlantik übertragen. Die hohe Schadstoffbelastung in der Nordsee, die das Immunsystem der Tiere schwächt, könnte für das Ausmaß der Epidemie mit diesen verheerenden Folgen eine Rolle gespielt haben.

Im Nordpazifik dagegen wurden 2003 erstmals Robben mit dem Virus infiziert. Um dessen Weg nachvollziehen zu können, werteten Wissenschaftler mehrerer britischer und amerikanischer Institute und Behörden eine Vielzahl von Datensätzen aus, die zwischen 2001 und 2016 erhoben wurden, darunter Blut-, Gewebe- und Nasensekretproben von Eis-assoziierten Robben (Bartrobben, Bandrobben, Largha-Robben) und von Nördlichen Seebären, Steller Seelöwen und Seeottern, insgesamt von 2530 lebenden und 165 toten Tieren. Zudem wurden die Ausdehnung des Meereises im genannten Zeitraum sowie offene Wasserwege vom Nordatlantik zum Nordpazifik ermittelt.

Potentielle Routen von mit PDV infizierten Robben durch eisfreie arktische Gewässer. Die Nordostpassage scheint die wahrscheinlichste zu sein. Bild: VanWormer et al. 2019

Anhand der in den Proben gefundenen Antikörper konnte nachgewiesen werden, dass das Virus bereits in 2003 im Nordpazifik weit verbreitet war und dass die Übertragung über mehrere Arten von Meeressäugern erfolgte. So sind z.B. Ringel- und Bartrobben als zirkumpolar wandernde Arten Träger des Virus. Durch überlappende Verbreitungsgebiete mit weiteren Eisrobben (Largha-Robbe, Bandrobbe) und subarktischen Arten wie Steller Seelöwen, Nördliche Seebären und Seeottern ist das Virus in den Nordpazifik gelangt. Ein weiterer Ausbruch im Pazifik wurde 2009 beobachtet.
Verknüpft man diese Erkenntnisse mit den Eisdaten, wird ein Zusammenhang zwischen Infektionsfällen und der Meereisausdehnung deutlich: in den Sommern 2002 und 2008 war die Nordostpassage eisfrei und kurz darauf kam es zu den PDV-Ausbrüchen im nördlichen Pazifik. Die Nordostpassage ist also höchstwahrscheinlich der Übertragungsweg für das Virus mit arktischen und subarktischen Robbenarten als Vektoren.

Da in Zeiten des Klimawandels das Meereis immer häufiger offenem Wasser weicht, könnte auch die Ausbreitung von Krankheitserregern und die Einführung neuer Keime öfter vorkommen. Bisher waren die verschiedenen Robbenarten räumlich voneinander getrennt, da ihnen die Eisbarriere keinen Kontakt erlaubte. Mit steigenden Temperaturen (und abnehmender Eisbedeckung) müssen die Tiere jedoch weitere Wege zurücklegen, um ihre Beute zu finden. So kommt es zu einer neuen Überlappung ihrer Verbreitungsgebiete und folglich auch zu mehr direktem Kontakt. Die Übertragung des Virus von Tier zu Tier erfolgt vor allem dort, wo sie sich in großen Gruppen zusammenfinden und sehr nah kommen, also an Ruheplätzen oder auch beim Jagen in großen Fischschwärmen, wo mehrere Arten aufeinandertreffen.

Bei Seeottern in Alaska wurde das Virus in 2004 erstmals nachgewiesen. Bild: David McNew/Getty Images

Trotz der umfangreichen Studie bleiben die Auswirkungen des Seehundstaupevirus auf die Gesundheit der pazifischen Arten unbekannt, aber sie scheinen sich sehr von denen im Atlantik zu unterscheiden, wo es zu massenhaftem Sterben der Tiere kam. Auch wenn die Todesfälle unter den pazifischen Meeressäugern nicht klar PDV zugeordnet werden konnten, hat es sicherlich bei einigen Seeottern und Steller Seelöwen zum Tod geführt. In jedem Fall besteht die Möglichkeit, dass es auch im nordpazifischen Raum zu ähnlichen  Ausbrüchen der  Seehundstaupe wie im Nordatlantik kommen kann.

Die Meereisausdehnung in 2019 war die zweitgeringste und das bedeutet möglicherweise, dass Tiere in beiden Ozeanen über neue Wege miteinander verbunden waren und dies erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Wiedereinführung des Virus.

Julia Hager, PolarJournal

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