In der Arktis existiert das giftige Vermächtnis des Kalten Krieges auch weiterhin. Die ehemalige Sowjetunion hatte dazumal ihre nuklearen Abfälle tonnenweise in den Tiefen des Meeres versenkt. Seit mehr als fünfzehn Jahren haben westliche Staaten Russland dabei geholfen, nuklearen Brennstoff von ausgemusterten U-Booten zu entfernen und zu entsorgen. Nicht ganz ohne Eigennutz, denn die Kola-Halbinsel ist die am nächsten zu Skandinavien gelegene russische Region.
Aber weiter östlich liegt ein beinahe intaktes nuklear-betriebenes U-Boot, die K-27, auf dem Grund der Kara-See und sein hoch angereicherter Brennstoff, nämlich Uranstäbe, sind eine potentielle Zeitbombe. Die K-27 war ein Versuchs-U-Boot, das erste der sowjetischen Marine, welches von zwei Reaktoren angetrieben wurde. Das Unglück ereignete sich 1968 während Reparaturarbeiten, als radioaktive Gase aus einem der Reaktoren entwichen und Besatzungsmitglieder vergifteten. Neun Seeleute starben durch Strahlenkrankheit. Die Marine versuchte vergeblich die K-27 zu reparieren und versenkte das U-Boot 1982 illegal vor Nowaja Semlja. Das sowjetische Militär behielt das Unglück für Jahrzehnte unter Verschluss. Das Boot liegt nur rund 30 Meter unter der Oberfläche im Stepovogo-Fjord, obwohl internationale Richtlinien verfügen, dass ausgemusterte Schiffe mindestens in 3‘000 Meter Tiefe versenkt werden müssen. Im Sommer 2012 haben die russischen Behörden mal nachgesehen, ob die K-27 sicher geborgen werden kann. Im Januar 2016 wurde angekündigt, dass das in Italien hergestellte Bergungsschiff «Itarus» für die Bergung des U-Bootes und der Atommüllcontainer genutzt werden soll. Passiert ist bis heute noch nichts. Die Uranbrennstäbe liegen noch im «Versiegelten» Inneren des Reaktors.
Die Behörden planen auch weitere zahlreiche Nuklearabfalldeponien in der Kara-See zu inspizieren, da dort der russische Energiekonzern Rosneft nach Gas und Öl suchen will. Daher möchte Russland keine radioaktive Bedrohung, welche diese Pläne überschatten könnte. Denn es geht um viel: Rosneft schätzt, dass die vor der Küste liegenden fossilen Reserven rund 21.5 Milliarden Tonnen umfassen. In einer Erklärung sagten die Behörden, dass vor einer Offshore-Bohrung «es in der Branche üblich ist, extensive Untersuchungen auf und unter dem Meeresboden durchzuführen», um nach möglichen Risiken zu suchen. Dabei werden Techniken wie Fernecholotung und ein Magnetometer benutzt. Weiter habe auch eine Untersuchung stattgefunden, die sich mit dem Nuklearabfall in der Kara-See befasst. «Man sei zuversichtlich, dass wir sicher in der Kara-See bohren können und keine Gefahren durch radioaktives Material auf dem Meeresboden bestehe».
Geheime Deponien in der Kara-See
Die westliche Seite der Kara-See, der Nowaja Semlja-Archipel, ist immer noch militärisches Sperrgebiet. Hier hatte die UdSSR ihr Wasserstoffbomben-Testgelände, zuerst noch oberirdisch, später unterirdisch. Hier liegt auch die K-27. Neben diesem U-Boot belegen offizielle Zahlen auch, dass die militärische Führung hier auch riesige Mengen an Nuklearabfällen entsorgt hatte: 17‘000 Container und 19 Schiffe mit radioaktiven Abfällen und 14 Kernreaktoren, von denen 5 noch mit gefährlichen abgebrannten Kernstäben versetzt sind. Daneben wurden schwach radioaktive Flüssigkeiten einfach ins Meer gekippt. Norwegische Experten und die IAEA (Internationale Atomenergiebehörde) sind zurzeit zufrieden, dass es keine Hinweise gibt auf ein oder mehrere Lecks – die radioaktiven Isotopenwerte in der Kara-See sind normal. Aber Ingar Amundsen, ein Mitarbeiter der norwegischen Strahlenschutzbehörde (NRPA), sagt, dass weitere Kontrollen nötig seien. Das Risiko eines Lecks aufgrund von Korrosion durch das Salzwasser hänge wie ein Damokles-Schwert über dem Ganzen – und das wäre im Falle der K27 besonders schwerwiegend, sagte er. «Man kann nicht die Möglichkeit ausschliessen, dass da unten noch mehr Abfall liegt, von dem wir gar nichts wissen», meinte er.
Weitere Wracks möglich
Mit internationaler Hilfe gelang es Russland, das Wrack des U-Bootes «Kursk» zu bergen, nachdem es in der Barents-See während einer Übungsfahrt im Jahr 2000 gesunken war. Eine Torpedo-Explosion und ein Feuer kostete damals 118 Seeleute das Leben. Die russische Marine geriet wegen ihrer schleppenden Hilfe stark unter Kritik. Aber ein weiteres gesunkenes U-Boot, die K-159, liegt immer noch in internationalen Gewässern auf dem Grund der Barents-See. Und in der Norwegischen See liegt die K-278 Komsomolets seit 1989 inklusive atomare Brennstäbe und Sprengköpfe, zu tief für eine Bergung. Am 5. Juli 2019 haben Wissenschaftler mit einem Roboter eine Tauchfahrt zur K-278 Komsomolets unternommen. Die von Norwegen und Russland gemeinsam durchgeführte Expedition zum Wrack hat erfolgreich erste Proben vom U-Boot und der Umgebung nehmen können. Die Resultate zeigen, dass teilweise sehr hohe Konzentrationen von Radioaktivität austreten. Diese werden jedoch gemäss Aussagen der Expeditions-Leiterin Hilde Elise Heldal von den Wassermengen sehr schnell und stark verdünnt. Doch das Wrack muss weiter unter Beobachtung bleiben.
Heiner Kubny, PolarJournal