Auf der Suche nach Erklärungen über Teilchenanomalie in der Antarktis | Polarjournal
Das IceCube-Observatorium an der Amundsen-Scott-Station am Südpol. Bild: Felipe Pedreros / NSF

Die Antarktis bietet nicht nur Biologen, Glaziologen oder Geologen eine spannenden Forschungsregion. Auch Physiker können hier Elementarphysik genauer untersuchen. Dazu sind verschiedene Projekte ins Leben gerufen worden, darunter IceCube und ANTARES. Nun wurden im September 2018 Rahmen von physikalischen Messungen ganz ungewöhnliche Signale aufgefangen. Dies hat Spekulationen über neue, bisher unbekannte Elementarteilchen hervorgerufen. Doch auch einfachere Ursachen könnten das Phänomen erklären.

Das Projekt, welches die rätselhaften Wellen aufgefangen hatte, wird ANITA (Antarctic Impulsive Transient Antenna) genannt. Dabei überwacht ein in 35 Kilometer Höhe treibender Ballon rund eine Million Kubikkilometer Eis auf der Suche nach Neutrinos geisterhafte Elementarteilchen, die Materie in vielen Fällen ungehindert durchdringen können. Eine neue Analyse des ebenfalls am Südpol operierenden IceCube-Observatoriums macht es nun ein wenig unwahrscheinlicher, dass sich die ANITA-Anomalie mit konventioneller Physik erklären lässt. IceCube ist eine Reihe von Messsonden, die an der Amundsen-Scott-Station im Eis bis auf den Boden reichen und auch nach Neutrinos suchen. Bis anhin wurde angenommen, dass Neutrinos für diese Anomalien verantwortlich waren. Doch ein grosses internationales Forscherteam hat diese Theorie untersucht. Das Problem: ANITA kann Neutrinos nur auf Umwegen nachweisen. Das Ballonexperiment spürt Radiowellen nach, die entstehen, wenn sich Lawinen geladener Partikel durch die Erdatmosphäre bewegen. Diese Elektronen und Positronen gehen wiederum auf Kollisionen zwischen energiereichen Teilchen aus dem Weltall – beispielsweise Atomkernen oder Lichtquanten – und Luftmolekülen zurück.

Die beiden Projekte, die sich mit dem Aufspüren von Neutrinos beschäftigen, gehen verschiedene Wege und ergänzen sich dabei in den Messungen. IceCube misst Neutrinos, wenn sie sich durch das Eis bewegen, ANITA misst die Wellen, die beim Aufeinandertreffen von Teilchen mit der Luft entstehen. Neutrinos werden nur indirekt nachgewiesen. Grafik: IceCube / Cosmin Deaconu (ANITA)

Im Fall der ungewöhnlichen ANITA-Kaskaden kommen von den bekannten Elementarteilchen jedoch nur Neutrinos als Auslöser in Frage. Denn gemäss den Messdaten kamen die Verursacherteilchen der verdächtigen Teilchenkaskade nicht etwa aus Richtung Weltall, sondern aus Richtung Erdoberfläche. Sie müssten also die Erde am Nordpol getroffen und sie anschliessend einmal durchquert haben, ehe sie in der Atmosphäre über dem Südpol eine nach oben fliegende Lawine losgetreten haben. Das können allenfalls sehr energiereiche Neutrinos schaffen – oder eben hypothetische neue Elementarteilchen. Sollte es sich um Neutrinos handeln, müssten diese aus einer weit entfernten kosmischen Quelle stammen, etwa einem aktiven Galaxienkern. In den Daten des IceCube-Observatoriums, das Neutrinos direkter nachweisen kann als ANITA, finde sich zum Zeitpunkt des jüngsten verdächtigen Ereignisses jedoch kein derartiges Signal, schreiben die IceCube-Forscher in ihrer Arbeit, die sie nun in der Fachzeitschrift The Astrophysical Journal veröffentlichen. Damit sei es sehr unwahrscheinlich, dass Neutrinos Verursacher der Anomalie sind, stattdessen seien andere Erklärungen gefragt.

Im Video erklärt Dr. Annika Rudolph vom DESY den Aufbau und die Funktionsweise des seit 2010 operierenden Observatoriums tief im Eis Antarktikas. Videolänge: 8 Minuten.

Lösen könnten das Rätsel nicht nur neue Teilchen, wie sie etwa die Theorie der Supersymmetrie vorhersagt. Auch deutlich banalere Erklärungen sind denkbar: beispielsweise Radiowellen, die auf plötzliche Schwankungen im Erdmagnetfeld zurückgehen, oder auf gewöhnliche, aus Richtung All kommende Teilchenschauer, die auf ungewöhnliche Art und Weise von Strukturen im Eis der Antarktis reflektiert wurden. Näheres werden wohl erst neue Messdaten von ANITA verraten, die Forscher im Lauf des Jahres 2020 erwarten.

Quelle: Robert Gast, Spektrum.de

Mehr zum Thema IceCube:

https://fis-landschaft.de/universum/icecube/

Forschungsartikel: https://arxiv.org/abs/2001.01737

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