Svalbard hat eine längere und reichere Geschichte, als man vielleicht denkt. Bereits kurz nach der Entdeckung 1596 kamen die ersten Walfänger hoch, um rieche Beute zu machen. Doch viele von ihnen bezahlten diese Arbeit mit ihrem Leben und blieben in Holzsärgen auf den Inseln. Diese Särge gelten heute als historisch wertvolle Funde. Einen solchen zu öffnen, bietet immer die Gelegenheit, einen Blick in die Vergangenheit zu werden und mehr über diese Zeit zu lernen. Nun hat eine Forschergruppe in Longyearbyen einen Sarg, der 2016 gefunden wurde, geöffnet. Der Inhalt überraschte alle Beteiligten.
Mit Spannung wurde unter Anwesenheit der Projektleiterin Lise Loktu, Archäologische Verantwortliche des Gouverneurs, dem Leiter der Feldforschung des Svalbardmuseum, Mikael Bjerkestrand, dem Leiter des Museums, Tora Hultgreen und zwei weiteren Mitarbeitern der Sarg geöffnet. Der Sarg selber wurde 2016 bei Likneset, im äussersten Norden Spitzbergens, ausgegraben. Der Ort ist ein bekanntes Gräberfeld aus der Walfangzeit Svalbards. Rund 200 Gräber sind an dem Ort bisher ausgemacht worden. Man schätzt, dass es noch mehr waren. Viele gingen aber wahrscheinlich durch Küstenerosion verloren. Aufgrund der Erwärmung der Region wurde im vergangenen August eine Notfallexpedition durchgeführt. «Wir sahen 2016 bei einer Untersuchung, dass die Textilien in mehreren Särgen sich aufzulösen begonnen hatten. Daher durften wir keine Zeit verlieren und holten letztes Jahr Särge aus ihren Gräbern», erklärt Lise Loktu, die verantwortliche Archäologin des Gouverneurs.
Die ausgegrabenen Särge waren nach Angaben der Archäologen nicht von der Erosion betroffen. Daher erhofften sich die Forscher wertvolle Informationen von deren Inhalt. Weiter lagen sie nicht nahe beieinander, so dass man davon ausgeht, dass sie aus verschiedenen Zeitabschnitten stammen dürften. Obwohl die Archäologen seit den 1980er Jahren an der Stelle geforscht haben und damit genügend Material für Untersuchungen gehabt haben durften, sind die neuen Särge jetzt untersucht worden. Denn die Erwärmung begünstigt das Wachstum von Pilzen und Bakterien, die für die Zersetzung der organischen Teile im Sarg sorgen würden.
Der Sarg wurde aus der Kältekammer des Museums genommen und langsam aufgetaut, bevor er geöffnet wurde. Der ganze Prozess wurde filmtechnisch begleitet, um vom Sarg später ein dreidimensionales Modell zu erstellen. Das Öffnen wurde sehr vorsichtig durchgeführt, um das Holz oder den Inhalt zu beschädigen. Das Holz wurde während der ganzen Prozedur mit Wasser benetzt, um ein Austrocknen zu verhindern. Als die Forscher den Deckel gehoben hatten, erwartete sie ein spezieller und überraschender Anblick: statt eines Leichnams war der Sarg fast randvoll mit Samen gefüllt. Nur die Spitze einer Mütze und ein Knochenstück auf Kniehöhe ragen aus der Samenschicht heraus. «Ich habe so etwas noch nie gesehen», erklärt Loktu erstaunt. «Das, was dem hier am nächsten kommt, war Sägemehl, das ich gesehen hatte.» Analysen der Samen und der DNA des Toten werden weitere Aufschlüsse zulassen. «Es wird sehr spannend sein. Denn so werden wir herausfinden, woher die Person kam. Wir werden auch erkennen können, ob der Mann, was wahrscheinlich ist, unterernährt war und wie sein Gesundheitszustand im Allgemeinen war», sagt Loktu weiter. Der Sarg selbst wird geleert, gefriergetrocknet und dann ausgestellt werden. Doch dies wird noch eine Weile dauern. Für den Sarg wird das keine Rolle spielen, schliesslich überdauerte er bereits mehr als 300 Jahre.
Quelle: Morten Fredheim Solberg, Svalbardposten