Warum Eisbären dünner werden und weniger Junge bekommen | Polarjournal
Ein Eisbär im Tiefschnee auf der zugefrorenen Baffin Bay aufgenommen aus der Luft. Foto: Kristin Laidre/University of Washington

Eisbären verbringen mehr Zeit an Land als in den 1990er Jahren, was auf die Verringerung des Meereises zurückzuführen ist, wie neue Forschungsergebnisse der Universität von Washington zeigen. Die Bären in der Baffin Bay werden immer dünner und die erwachsenen Weibchen haben weniger Junge als zu Zeiten, als das Meereis noch verfügbar war.

Das Leben eines Eisbären scheint einfach: Robben fressen, sich paaren und Junge aufziehen. Eine kürzlich durchgeführte Studie zeigt jedoch, dass einige Subpopulationen von Eisbären aufgrund der abnehmenden Konzentrationen des arktischen Meereises Schwierigkeiten haben, diese grundlegenden Aufgaben zu erfüllen.

Die arktische Meereiskappe ist ein großes Gebiet mit gefrorenem Meerwasser, das auf der Oberfläche des Arktischen Ozeans und den umliegenden Meeren und Meerengen schwimmt. Für Eisbären ist das Meereis eine unverzichtbare Plattform für das Leben. Sie nutzen das Eis, um weite Entfernungen zu neuen Gebieten zu überwinden. Sie jagen nach Robben, indem sie ihre Höhlen im Eis finden oder neben Atemlöchern im Eis sitzen und darauf warten, dass die ahnungslose Beute auftaucht. Manchmal bauen trächtige Weibchen Höhlen im Meereis, in denen sie gebären und ihre Jungen versorgen.

Mit schwindendem Meereis verlieren die Eisbären den Zugang zu ihrer Nahrungsquelle, den im Eis lebenden Robben. Foto: Julia Hager

In den letzten Jahrzehnten ist dieser wichtige Lebensraum jedoch geschrumpft. Die Meereiskonzentrationen sind seit 1979 aufgrund der steigenden globalen Temperaturen in jedem Jahrzehnt um 13 Prozent zurückgegangen. Die arktischen Regionen haben sich doppelt so schnell erwärmt wie der Rest der Welt, so dass sich das saisonale Meereis auch später im Herbst bildet und früher im Frühling aufbricht.

Die neue Studie, die vor kurzem in der Fachzeitschrift Ecological Applications veröffentlicht wurde, umfasst die Überwachung per Satellit und die visuelle Überwachung von Eisbären in den 1990er Jahren im Vergleich zu den letzten Jahren.

„Die klimabedingten Veränderungen in der Arktis wirken sich eindeutig auf die Eisbären aus“, sagt die Hauptautorin Kristin Laidre, Dozentin für Aquatische und Fischereiwissenschaften an der University of Washington. „Sie sind eine Ikone des Klimawandels, aber sie sind auch ein früher Indikator für den Klimawandel, weil sie so abhängig vom Meereis sind.”

Das internationale Forschungsteam konzentrierte sich auf eine Subpopulation von Eisbären um die Baffin Bay, die große Meeresfläche zwischen Nordostkanada und Grönland. Das Team verfolgte die Bewegungen erwachsener weiblicher Eisbären und bewertete die Wurfgröße und den allgemeinen Gesundheitszustand dieser Subpopulation zwischen den 1990er Jahren und dem Zeitraum von 2009 bis 2015.

In den 1990er Jahren (links) erstreckte sich das Meereis Mitte Juli noch über die Baffin Bay, wo Eisbären eine große Eisfläche für die Jagd und für Wanderungen zur Verfügung stand. In jüngeren Jahren (rechts) war die Baffin Bay zur selben Zeit fast eisfrei und die Eisbären saßen nahe der Küste fest. Grafik: Joshua Stevens, NASA Earth Observatory/National Snow & Ice Data Center

Die Wanderungen der Eisbären folgen in der Regel dem jährlichen Wachstum und Rückzug des Meereises. Im Frühherbst, wenn das Meereis sein Minimum erreicht hat, landen diese Bären auf Baffin Island, auf der Westseite der Bucht. Sie warten an Land bis zum Winter, wenn sie sich wieder auf das Meereis hinauswagen können.
Wenn die Baffin Bay mit Eis bedeckt ist, nutzen die Bären die feste Oberfläche als Plattform für die Jagd auf Robben, ihre bevorzugte Beute, für ihre Wanderungen und sogar um Schneehöhlen für ihre Jungen zu bauen.

„Diese Bären bewohnen eine saisonale Eiszone, was bedeutet, dass das Meereis im Sommer vollständig verschwindet und das Wasser offen ist“, sagte Laidre. „Die Bären in diesem Gebiet geben uns eine gute Grundlage für das Verständnis der Auswirkungen des Meereisverlusts.”

Satellitensender die die Bewegungen der Bären verfolgen, zeigen, dass die Eisbären in den letzten Jahren durchschnittlich 30 Tage mehr an Land verbrachten als in den 1990er Jahren. Der Durchschnitt in den 1990er Jahren lag bei 60 Tagen, in der Regel zwischen Ende August und Mitte Oktober, verglichen mit 90 Tagen an Land in den 2000er Jahren. Das liegt daran, dass sich das Meereis in der Baffin Bay im Sommer früher zurückzieht, wobei in den Sommern der jüngeren Vergangenheit mehr offenes Wasser beobachtet wurde.

Die Autoren verglichen die Wanderungen von 43 erwachsenen Weibchen mit Satellitensendern im Zeitraum von 1991 bis 1997 (links) mit Wanderungen von 38 erwachsenen Weibchen im Zeitraum von 2009 bis 2015 (rechts). Mit weniger Meereis sind die Wanderungen der Bären auf eine kleinere Fläche begrenzt und sie verbringen mehr Zeit in Küstennähe, vor allem in Grönland. Grafik: Joshua Stevens, NASA Earth Observatory und Kristin Laidre/University of Washington

„Wenn die Bären an Land sind, jagen sie keine Robben und sind stattdessen auf Fettvorräte angewiesen“, so Laidre. „Sie haben die Fähigkeit, über längere Zeiträume zu fasten, aber mit der Zeit werden sie dünner.”
Um den Gesundheitszustand der Bärenweibchen zu beurteilen, quantifizierten die Forscher den Zustand der Bären, indem sie ihren Fettgehalt nach der Betäubung oder durch eine visuelle Einschätzung aus der Luft beurteilten. Die Forscher klassifizierten den Körperumfang auf einer Skala von 1 bis 5. Die Ergebnisse zeigten, dass die körperliche Verfassung der Bären mit der Verfügbarkeit von Meereis im laufenden und im Vorjahr zusammenhing – nach Jahren mit mehr offenem Wasser waren die Eisbären dünner.

Die Bewertungsskala für die körperliche Verfassung von Eisbären: von mager bis sehr fett. Grafik: Stirling et al. 2008

Der Körperkondition der Mütter und die Meereisverfügbarkeit beeinflussten auch, wie viele Junge in einem Wurf geboren wurden. Die Forscher fanden größere Wurfgrößen, wenn die Mütter in guter körperlicher Verfassung waren und wenn das Eis später im Frühjahr aufbrach – das heißt, die Bären hatten im Frühjahr mehr Zeit auf dem Meereis, um Nahrung zu finden.

Dieses Eisbären-Weibchen ist laut der Bewertungsskala in durchschnittlicher körperlicher Verfassung. Foto: Julia Hager

Die Autoren verwendeten auch mathematische Modelle, um die Zukunft der Eisbären in der Baffin Bay vorherzusagen. Die Modelle berücksichtigen die Beziehung zwischen der Verfügbarkeit von Meereis und dem Körperfett der Bären und der variablen Wurfgröße. Sie fanden heraus, dass die normale Wurfgröße innerhalb der nächsten drei Eisbärengenerationen (37 Jahre) abnehmen könnte, hauptsächlich aufgrund eines prognostizierten anhaltenden Meereisrückgangs während dieses Zeitraums.

„Wir zeigen, dass Würfe mit zwei Jungen – für gewöhnlich die Regel für ein gesundes erwachsenes Weibchen – in den nächsten Jahrzehnten in der Baffin Bay wahrscheinlich verschwinden werden, wenn der Meereisverlust anhält“, sagte Laidre. „Dies ist bisher nicht dokumentiert worden.“

Laidre untersucht, wie sich der Klimawandel auf Eisbären und andere Meeressäuger in der Arktis auswirkt. Sie leitete eine Studie aus dem Jahr 2016, die zeigt, dass Eisbären in der Arktis weniger Zugang zum Meereis haben als vor 40 Jahren. Das bedeutet, dass sie auch weniger Zugang zu ihrer Hauptnahrungsquelle und ihren bevorzugten Lebensräumen haben.
„Diese [aktuelle] Studie ergänzt die immer zahlreicher werdenden Beweise dafür, dass der Verlust von Meereis ernsthafte, langfristige Probleme in der Erhaltung dieser Art mit sich bringt“, sagte Laidre. „Nur der Mensch kann durch sein Handeln gegen den Klimawandel etwas tun, um das zu ändern. Eisbären sind Vorboten für die Zukunft. Die Veränderungen, die wir hier dokumentieren, werden sich auf alle Menschen rund um den Globus auswirken“.

Koautoren der Studie sind Eric Regehr und Harry Stern von der UW; Stephen Atkinson und Markus Dyck von der Regierung von Nunavut in Kanada; Erik Born vom Grönländischen Institut für natürliche Ressourcen; Øystein Wiig vom Naturhistorischen Museum in Norwegen und Nicholas Lunn von Umwelt und Klimawandel Kanada. Zu den Hauptförderern der Forschung gehören die NASA und die Regierungen von Nunavut, Kanada, Grönland, Dänemark und den Vereinigten Staaten.

Quelle:  University of Washington, NASA Earth Observatory

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