Die Antarktis gilt zwar immer noch als die letzte grosse Wildnis. Doch der menschliche Einfluss ist auch hier nicht mehr wegzudiskutieren. Fischerei und Klimawandel setzen die Region und seine Bewohner vor allem im Südpolarmeer unter Druck. Mit Hilfe von Schutzgebieten sollen aber Gebiete diesem Druck entzogen werden. Mehrere solcher Gebiete wurden bereits von den Antarktisvertragsstaaten eingerichtet. Nun hat eine grossangelegte Studie die ökologisch wichtigen Regionen im Südlichen Ozean identifiziert. Das Resultat der Studie überrascht: nur gerade 27 Prozent der Flächen dieser Regionen liegen tatsächlich in den existierenden Schutzgebieten.
Sollten sich die Antarktisvertragsstaaten auf weitere Schutzgebiete, die zurzeit auf dem Tisch liegen, einigen können, würde sich die Fläche auf 39 Prozent erhöhen, schreiben die Wissenschaftler um Professor Mark Hindell vom Institut für Meeres- und Antarktisforschung der Universität von Tasmanien. Weiter meinen die Forscher in ihrer Arbeit zu dem überraschenden Resultat, dass die von ihnen identifizierten Gebiete dringend mehr Schutz vor menschlichen Aktivitäten und dem Klimawandel benötigen. Nur gerade etwas mehr als 7 Prozent der Fläche unterhalb des 40° südlichen Breitengrades stehen unter Schutz. Eine Umsetzung aller Vorschläge zu den Schutzgebieten würde zumindest das 2010 geforderte Ziel von 10 Prozent geschützter Fläche bis 2020 in der Antarktis erreichen. Doch von diesem Ziel scheint man in der CCAMLR noch meilenweit entfernt zu sein. An der letzten Sitzung in Hobart wurden sämtliche Vorschläge für die Errichtung von Meeresschutzgebieten durch drei Länder abgelehnt. Um sie umsetzen zu können, wäre aber eine einstimmige Annahme nötig.
Hindell und seine Kollegen aus 12 verschiedenen nationalen Antarktis-Forschungsprogrammen sammelten die Satellitendaten von 12 Vogel- und 5 Meeressäugerarten, die in Antarktika oder den subantarktischen Inseln vorkommen. Dabei konnten sie auf Daten zwischen 1991 und 2016 zurückgreifen und erhielten die Wanderrouten von über 4’000 Tieren. Mit dieser Datenmenge konnten die Forscher dann eine Karte erstellen, die zeigte, wo diese Tiere ihre Hauptnahrungsgebiete haben. «Das Prinzip ist ganz einfach», erklärt Mark Hindell. «Die Gebiete im Südlichen Ozean zu finden, in die Räuber hauptsächlich ziehen, zeigt uns, wo ihre Beute ist. Wenn dann viele verschiedene Raubtierarten und ihre unterschiedlichen Beutetiere immer wieder in derselben Region gefunden werden, weist diese Region eine hohe Artenvielfalt und eine grosse Zahl von Tieren auf. Das zeigt uns dann, dass dieses Gebiet von grosser ökologischer Bedeutung ist,» sagt Hindell weiter. Wenig überraschend zeigten die Resultate, dass diese Gebiete in den biologisch produktiven Zonen rund um Antarktika liegen.
Die Lage der ökologisch relevanten Gebiete zeigt nicht nur, dass die Schutzgebiete zu klein oder an den Gebieten vorbeizielen. Die Forscher konnten in ihrer Arbeit zeigen, dass Fischereiregionen und die durch den Klimawandel besonders beeinflussten Gebiete sich mit den sogenannten AES (Areas of Ecological Significance) überschneiden. Während das Problem mit der Fischerei in der Gerichtsbarkeit der einzelnen Staaten liegt, in deren Hoheitsgewässern Fischerei ausgeübt wird, stellt der Klimawandel ein anderes Problem dar. Die Klimamodelle zeigen, dass bis in das Jahr 2100 die AES sich durch den Klimawandel verändert haben werden und gegebenenfalls sich nicht mehr an ihrer heutigen Lage befinden werden. «Das dynamische Management der Meeresschutzgebiete, regelmässig erneuert im Laufe der Zeit aufgrund der fortlaufenden Veränderungen, ist unbedingt notwendig, wenn wir den Schutz der Lebensräume und der Bewohner im Südlichen Ozean aufrechterhalten wollen. Unsere Arbeit zeigt, wo die zukünftigen Anstrengungen am besten hinzielen, sowohl beim Schutz des Lebensraumes wie auch bei verbesserten Fischereikontrollen», sagt Hindell zum Schluss. Ob die CCAMLR-Mitglieder diese Aussage bei ihrem nächsten Treffen miteinbeziehen werden, steht in den Sternen.
Quelle: Hindell et al. (2020) Nature 579;7799 https://doi.org/10.1038/s41586-020-2126-y