Gletscherabbrüche gehören zu den spektakulärsten Beobachtungen in Polarregionen. Unzählige Tonnen von Eis krachen mit lautem Getöse ins Wasser aufgrund von Bewegungen des Gletschers und oder Abschmelzereignissen. Wieviel Eis bei solchen Ereignissen tatsächlich abbrechen, konnte bisher immer nur geschätzt werden. Doch weil Abbrüche einer der wesentlichen Bestandteile des Massenverlustes bei Gletschern sind, ist es für Forscher wichtig, genauere Daten zu erhalten. Zwei Wissenschaftler haben nun einen Weg gefunden, die Menge an Eis bei einem Abbruch akustisch zu bestimmen.
Oskar Glowacki und Grant Deane vom Scripps-Institut für Ozeanographie in den USA gelang es mit Hilfe von Unterwassermikrofonen, Time-Lapse-Kameras und komplexen Berechnungen, die Mengen an Eis bei Gletscherabbrüchen zu bestimmen. Dazu platzierten sie Unterwassermikrofone mithilfe von Bojen nahe an der Gletscherkante des Hansbreen auf der Insel Spitzbergen und stellten die Kameras an 3 verschiedenen Punkten auf. Während die Kameras asynchron alle 15 Minuten ein Bild aufnahmen, um Kalbungen des Gletschers zu erfassen, nahmen die Mikrofone die Geräusche auf. Die Mengen an Eis, die abbrachen, wurden mit Hilfe von Bildern berechnet, um später die Resultate des Modells vergleichen zu können. Insgesamt aus den mehr als eintausend Abbrüchen, die die beiden Forscher im Verlauf von 7 Wochen verzeichnet hatten, konnten sie 169 Abbruchereignisse für ihre Berechnungen verwenden.
Die Forscher schreiben in ihrer Arbeit, dass drei Faktoren die Geräusche beeinflussen, nämlich die Temperatur und der Salzgehalt des Meerwassers, das Tiefenprofil entlang der Welle nach dem Aufprall und die Reflektion des Aufschlaggeräusches an der Gletscherwand. Ein weiteres Problem ist der Energieverlust der Geräusche mit steigender Distanz vom Gletscher und die komplexe Struktur einer Gletscherwand mit ihren Nischen, Ecken, Falten und Säulen. Um diesen besonders variablen Faktoren Rechnung zu tragen, verwendeten die beiden Wissenschaftler ein komplexes Akustik-Energie Modell. Auch die Wetterbedingungen spielten eine wichtige Rolle. Zwischendurch verhinderten dichter Nebel, heftiger Regen oder starke Lichteinstrahlung ein sauberes Funktionieren der Kameras. Trotzdem gelang es den zwei Wissenschaftler, zu zeigen, dass ihr Model zumindest beim Hansbreen funktioniert.
Rund 90 Prozent der heruntergefallenen Eisbrocken wogen 20 Tonnen und weniger und mit ihrem Modell konnten sie zeigen, dass die Stärke der Geräusche, die beim Aufprall mit der Wasseroberfläche entstehen, mit der Grösse der Eisblöcke korreliert. Doch die Wissenschaftler schreiben auch, dass das Modell lediglich für den Hansbreen funktioniert zurzeit. Denn um Unsicherheiten in den Messungen und Berechnungen zu reduzieren, seien eine bestimmte Anzahl in an Abbrüchen notwendig, exakte Daten der Meeresbodenbeschaffenheit vor dem Gletscher und exakte Daten über die physikalischen Wassereigenschaften vor dem Gletscher. Auch logistisch müssen verschiedene Fragen geklärt werden, bevor die Technik auch für Langzeitbeobachtungen eingesetzt werden kann. Trotzdem sind die beiden überzeugt, dass ihre Methode eine Grundlage bilden kann, in Zukunft den fortschreitenden Masseverlust der Gletscher in den Polarregionen genauer bestimmen zu können und die Resultate aus Satellitenmessungen zu unterstützen. Doch die Zeit drängt, denn in vielen Gebieten der Arktis, vor allem in Grönland und auf Svalbard ziehen sich die riesigen Eisflüsse in rasanter Art und Weise zurück.
Quelle: Glowacki, O. and Deane, G. B.:The Cryosphere, 14, 1025–1042, https://doi.org/10.5194/tc-14-1025-2020, 2020.