Arktische Wissenschaftskonferenz in Zeiten von Corona | Polarjournal
Dank Satelliten-Verbindungen und Hi-Speed-Internet kann man zum Glück trotz Krise und Lockdown mit der Welt in Verbindung bleiben und sogar grosse Konferenzen durchführen. Bild: Irene Quaile-Kersken

Während die Welt sich größtenteils in Corona-Isolation befindet und das potenziell tödliche Virus die Nachrichtenagenda dominiert, ist es leicht, sich von anderen wichtigen Themen ablenken zu lassen – zum Beispiel vom Klimawandel in der Arktis.

Es gibt einen Trend, vor allen in den sozialen Medien, darüber zu sinnieren, wie sich die Coronakrise positiv auf das Klima auswirken könnte. Die Industrie steht weitgehend still, es wird nicht geflogen, und so werden die Emissionen gesenkt. Ich persönlich finde solche Überlegungen eher kontraproduktiv. Es gibt andere, bessere Wege, auf denen die Klimaforschung von der Entschleunigung in unserem Alltag “profitieren” kann – zum Beispiel indem man die Gelegenheit wahrnimmt, sich auf solche Themen zu konzentrieren, ohne die übliche Ablenkung durch Fahrten zur Arbeit oder andere alltägliche Pflichten und Gewohnheiten.

Zum Glück haben wir das Internet und eine digitale Technologie, die es uns ermöglicht, in Kontakt zu bleiben. Das ist alles Andere als „business as usual“, aber wir können auf alle Fälle Informationen, Ideen, Meinungen austauschen, und immer wieder Fragen stellen, damit Diskussionen und Forschungsarbeiten über die Arktis weiterlaufen.

Während ich zu Hause in Deutschland in der Selbstisolation sitze, habe ich die Gelegenheit genutzt, an einigen Arktisveranstaltungen online teilzunehmen – Veranstaltungen, die sonst in Island stattgefunden hätten, und an denen ich physisch auch ohne Coronakrise nicht hätte teilnehmen können. Im virtuellen Raum, während die Referenten und Teilnehmer in ihren jeweiligen Wohnungen und Büros, verteilt über den ganzen Globus, gesessen haben, konnte ich an Arctic Summit Science Week 2020 teilnehmen. Ich bin den Organisatoren sehr dankbar. Sie haben die riesige Herausforderung gemeistert, diese ganze Konferenzwoche komplett online zu gestalten, was mir und vielen anderen die Chance bot, von diesem beeindruckenden Wissensaustausch zu profitieren

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Isolation hat auch Vorteile. Bild: Klaus Kersken

Zu den Konferenzteilen gehörte „Science for a Sustainable Arctic“: eine international Zusammenkunft von Entscheidungsträgern und Wissenschaftlern. Ein anderer Teil war Observing for Action”, das Thema des “5th Arctic Observing Summit 2020” (AOS). AOS findet alle zwei Jahre statt und bietet einen Infomationsaustausch über ein langfristiges internationales Netzwerk von Observationssystemen in und für die Arktis.

Eine virtuelle Konferenz kann selbstverständlich kein voller Ersatz für eine persönliche Zusammenkunft sein. Das Treffen mit neuen Menschen, die Wiederauffrischung alter Kontakte, die Möglichkeit, informell in der Pause eine Frage, die sich im Saal ergeben hatte zu klären. Trotzdem besteht die Möglichkeit zu netzwerken. Und das Zusammensein mit um die hundert Experten in einem digitalen “Raum” hat eine gewisse Attraktion.

Als Journalistin habe ich zwar immer die Möglichkeit, Wissenschaftler oder Politiker telefonisch oder per Email zu interviewen, wenn ein persönliches Treffen nicht möglich ist. Aber die Gelegenheit, ihren Ausführungen und Diskussionen online live beizuwohnen ist eine ganz andere Erfahrung.

Die Technologie braucht natürlich am Anfang etwas Zeit und Aufwand. Es ist irgendwie ermutigend mitzubekommen, wie auch einige Referenten ihre Schwierigkeiten mit ihren Mikrofonen und Kameras beseitigen, ohne die übliche Unterstützung durch Konferenztechniker vor Ort.

Leider ist es leichter, abgelenkt zu werden, wenn man nicht physisch mit anderen in einem Raum zusammensitzt. Man kommt in die Versuchung, etwas anderes zu tun. Dazu kommt der Zeitunterschied, wenn die Mitkonferierenden über alle Kontinente verteilt sind.  Und die Audioqualität ist zeitweise “sub-optimal”, was einen dazu verführen kann, mit den Gedanken abzudriften.

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Aufnahmen und Interviews im Wind: die normale Herausforderung. Bild: Klaus Kersken

Trotzdem könnte ich zum Anhänger solcher virtuellen Konferenzen werden. Ich freue mich darauf, die Keynotes und Panels, die ich verpasst habe, online nachzuverfolgen. Es war mir ein großes Vergnügen, Hajo Eicken, Professor für Geophysik und Direktor des International Arctic Research Center der University of Alaska Fairbanks als einer der Konferenzleiter zu “treffen” und im Chat zu begrüßen. Sein Schwerpunkt ist die Geophysik von Meereis. Ich interviewte ihn zum ersten Mal während einer Reportagereise nach Barrow, Alaska 2008. Seine Ausführungen über das Meereis waren meine Einführung in ein Thema, das mich seither nie wieder losgelassen hat. Während dieser Reportagereise entstand auch mein Iceblog.

Auf der Konferenz bestätigte Professor Eicken noch einmal die Ernsthaftigkeit der Klimalage, sowohl für die Arktis als auch für die ganze Welt. Veränderungen passierten viel schneller als gewohnt. Die Variabilität des Klimas in der Arktis und der langfristige Trend in Richtung weniger Meereis und mehr offenes Wasser stellten eine riesige Herausforderung dar, erklärte er in einer Präsentation.

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Unterwegs auf Meereis bei Barrow, Alaska. Bild: Irene Quaile

Während ich in den letzten Tagen in die Vorträge und Diskussionen herein hörte, mal live, mal später auf YouTube, fiel mir ein immer wiederkehrendes Thema auf. Wenn es um die Arktis geht, hörte ich immer wieder, brauchen wir bessere Verbindungen zwischen Beobachtungen vor Ort, dem Wissen der indigenen Bevölkerung und Daten, die national, international oder von Satelliten gemessen werden. Das erscheint mir irgendwie paradox. In dieser global verkoppelten Welt, mit allen Möglichkeiten der digitalen Technik, sollte es doch einfacher denn je sein, Daten zu vernetzen? Was machen wir denn falsch?
“Unsere indigenen Völker waren immer Datenexperten”, erklärte Stephanie Russo Carroll von der University of Arizona in einer Präsentation als Teil des Arctic Observation Summit. Wir müssen davon mehr Gebrauch machen, sagte sie weiter. “Vor allem heute, wenn wir fast alles digitalisieren können”.


Als Mitbegründerin des US Indigenous Data Sovereignty Network und der International Indigenous Data Sovereignty Interest Group der Research Data Alliance, sowie als Mitbegründerin und Vorsitzende der Global Indigenous Data Alliance kennt sie sich bestens aus – und sie ist überzeugt, dass es noch viele Unzulänglichkeiten gibt, wenn es um den Austausch von Daten geht.


Unter anderem ging es beim Arktischen Observationgsgipfel in den letzten Tagen darum, eine “Roadmap” zu entwickeln, erläuterte Hajo Eicken. Sie soll den weiteren Ausbau und die Koordination von arktischen Beobachtungssystemen vorantreiben. Die Weiterentwicklung von Forschungszusammenarbeit mit indigenen Experten in Alaska mit ihrem traditionellen Wissen sowie der Ausbau und die Verbesserung von wissenschaftlichen Daten durch Gemeinden in der Arktis und Regierungsbehörden genießen für Eicken hohe Priorität. Die Ergebnisse dieser Woche sollen unter anderem in ein Treffen auf Ministerebene später im Jahr einfließen. Es geht um wichtige Themen, von Nahrungsmittelsicherheit für indigene Arktisbewohner bis hin zu Klimaauswirkungen und Adaptationsmaßnahmen auf der globalen Ebene.

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Sieht so der Klimawandel in Alaska aus? Bild: Irene Quaile

In einer Sitzung, in der die Zwischenergebnisse der Konferenz zusammengefasst wurden, sagte Peter Schlosser, Vizepräsident des Global Futures Laboratory der Arizona State Universitydie Dynamik des Onlinetreffens sei sehr ungewohnt gewesen. Statt physisch an einem Ort versammelt zu sein habe man manchmal “in 20 bis 30 schwarze Rechtecken geschaut”. Trotz alledem habe man einen Weg gefunden, den Dialog weiter zu führen.

Dieser digitale, virtuelle Weg scheint der Weg der Zukunft zu sein, in diesem Jahr, das unseren Lebensstil komplett verändert, überall auf dem Planeten. Die jährliche UN-Klimakonferenz, die im November in meiner Heimatstadt Glasgow stattfinden sollte, wurde verschoben. Das Konferenzzentrum, wo die Klimaverhandler der Welt sich hätten treffen sollen, wird zum Notkrankenhaus für Coronapatienten ausgebaut. Ein angsteinflößendes Zeichen der Dimension der Bedrohung, die uns bevorsteht.

Wir leben in merkwürdigen, “noch nie dagewesenen” Zeiten, wie man immer wieder liest.

Kontaktvermeidung scheint überlebenswichtig zu sein. Virtuelle Konferenzen halten die Kommunikation aufrecht und sorgen dafür, dass wir trotz der Einschränkungen nicht aufhören, an den weiteren Themen zu arbeiten, die für die Zukunft der Erde notwendig sind.

Entschuldigen Sie mich jetzt bitte. Die nächste Konferenzsitzung beginnt.

Zur Autorin Dr. Irene Quaile-Kersken

Die mehrfach ausgezeichnete schottische Journalistin Irene Quaile-Kersken beschäftigt sich mit dem Klimawandel in den Polargebieten und den Auswirkungen auf den Rest der Erde. 2007 besuchte sie im Rahmen eines internationalen Radioprojekts die deutsche-französische Arktisforschungsstation auf Spitzbergen. Fasziniert vom weißen Norden, ließ sie das Thema Arktis und die Bedrohung des zerbrechlichen Ökosystems nicht mehr los. Während einer Reportagereise in Alaska 2008 entstand ihr Ice Blog, zunächst auf der Webseite der Deutschen Welle, heute als eigenständiges Projekt unter www.iceblog.org. Weitere Reisen führten die passionierte Naturliebhaberin immer wieder zurück in die Arktis, auch nach Island, Grönland und auf Forschungsschiffen durch das Nordpolarmeer.

Link zum Blog von Dr. Irene Quaile-Kersken:

Aktueller Blog: https://iceblog.org/

Ältere Blogs: http://blogs.dw.com/ice/

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