Die grösste Arktis-Expedition der Geschichte, MOSAiC (Multidisziplinäres Drift-Observatorium zum Studium des Arktischen Klimas) hat sich zu Ziel gesetzt, während eines ganzen Jahres den arktischen Ozean, das Meereis und das Klima zu erforschen. Dadurch sollen die Lücken in den Klimamodellen und -vorhersagen etwas verkleinert oder sogar teilweise geschlossen werden. Festgemacht an einer mehr als ein Quadratkilometer grossen Scholle treibt der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern von der russischen Arktis her am Nordpol vorbei in Richtung Atlantik, wo das Projekt im Oktober 2020 enden soll. Gemäss einer neuen Studie eines internationalen Forschungsteams könnte aber das Ende früher eintreten aufgrund fehlenden Eises.
Die Wissenschaftler rund um Alice DuVivier vom National Center for Atmospheric Research NCAR in Colorado haben mit Hilfe von verschiedenen Klimamodellen Simulationen erstellt. Dabei unterschieden sie die «alte» Arktis und die neuen Bedingungen, die in den vergangenen Jahrzehnten weit von den Standardwerten abgewichen waren und für viele Schlagzeilen rund um die Welt gesorgt hatten. «Die Veränderungen des arktischen Systems sind so unglaublich schnell abgelaufen, dass sogar unsere Satellitenbeobachtungen von vor 15 Jahren völlig von der heutigen Arktis abweichen», erklärt Marika Holland vom NCAR und Mitautorin der Studie. «Heutzutage sehen wir viel dünneres Eis, das sich schneller bewegt und die Schneedecke ist auch geringer. Es herrschen komplett andere Eisbedingungen.» Deswegen wollte die Forschungsgruppe ein neues Modell zur Vorhersage der Bedingungen für mögliche Routen der MOSAiC-Expedition heranziehen. «Der Punkt von MOSAiC ist es, die neue Arktis zu verstehen und wie sich die Dinge in den vergangenen zehn Jahren verändert haben», sagt Hauptautorin Alice DuVivier vom NCAR. «Dieses Modell bietet uns ein Verständnis über die Bandbreite an Driftmöglichkeiten die der Expedition unter den neuen herrschenden Eisbedingungen blühen könnte.»
Die Forscher modellierten zuerst mögliche Driftwege der Polarstern aus den alten Satellitenaufnahmen und benutzten dazu ihr spezifisches Modell. Danach verglichen sie diese Resultate mit den neuen, dünneren Eisbedingungen, die in den vergangenen Jahren in der Arktis vorgeherrscht hatten und modellierten noch mehrjähriges, dichteres Packeis zur Kontrolle. Dabei zeigte sich, dass die dünneren, der Realität entsprechenden Eisschollen sich schneller bewegten und damit die Polarstern weiter und schneller vorwärts kam, als unter den dichteren oder den «alten» Bedingungen. In der «neuen» Arktis öffneten sich auch grössere Kanäle und Rinnen. Insgesamt 30 verschiedene Bahnen konnten die Forscher auf diese Art für den Eisbrecher berechnen. Dabei zeigte sich, dass in 17 Prozent der Fälle das Eis vor dem Ende der Expedition verschwunden ist. Die Bandbreite reichte von Ende Juli bis September. Ob das aber tatsächlich eintreten wird, lässt sich zu diesem Zeitpunkt nicht sagen. Die Forscher weisen auch ganz klar darauf hin, dass ihre Arbeit in keiner Weise als Vorhersage dient, welche Route die Polarstern nehmen wird. Die Leiter von MOSAiC sind auch darüber im Vorfeld von DuVivier informiert worden. «Modellieren ist eine Art, viele Welten zu erforschen», erklärt sie. «Vorausgehende Erfahrungen sind nicht immer bezeichnend für die Dinge, die passieren werden.»
Da die Resultate der Arbeit vor der Fahrt bekannt gewesen sind (Veröffentlichungen in Fachmagazinen dauern immer lange), konnten nun die Daten tatsächlich validiert werden. Und hier zeigte sich, dass die Drift den Eisbrecher sogar noch weiter getragen hat, als von den Forschern berechnet. Dazu meint DuVivier: «Die Modellberechnungen unserer Arbeit haben vergleichbare Routen zu der von der Polarstern zurückgelegten Route. Aber alle diese Routen schmelzen früh in der Saison gemäss unserem Modell.» Wie sich die Situation entwickeln wird, ist aber nicht klar. Denn ironischerweise sammelt MOSAiC zurzeit Daten, die eine bessere Vorhersage liefern könnten in Zukunft. «Deswegen brauchen wir MOSAiC. Modelle können dieser Art von Projekten Informationen liefern und diese Porjekte liefern Informationen für unsere Modelle», erklärt Marika Holland. «Wir haben in dieser neuen Arktis nicht viele neue Beobachtungen gemacht und diese (von MOSAiC) werden für unser zukünftiges Verständnis der Arktis von grundlegender Bedeutung sein.»
Die Zeit wird zeigen, ob die Berechnungen von DuVivier tatsächlich richtig waren, oder ob ein weiterer Extremfall, wie sie im Zuge des Klimawandels in der Arktis immer häufiger auftreten, der MOSAiC-Expedition das Meereis frühzeitig entziehen könnte. Einer in Kürze erscheinenden Arbeit sind die Aussicht so oder so düster für den Arktischen Ozean. Mehr dazu im geteilten Artikel vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung AWI.
Quelle: National Center for Atmospheric Research
Zur Originalveröffentlichung: https://www.the-cryosphere.net/14/1259/2020/
Mehr zu den Erlebnissen der MOSAiC-Expedition findet ihr in den Gastbeiträgen des SLF