Dänemark schiebt Entschuldigung an Grönland heraus | Polarjournal
22 Kinder wurden 1951 in einem Umerziehungsexperiment von Grönland nach Dänemark gebracht. Das Experiment scheiterte, viele Kinder starben aufgrund der Folgen (Symbolbild). Bild: filmcentralen.dk

In der Vergangenheit wurden in vielen Ländern Kinder aus sozial benachteiligten Familien herausgerissen und anderswo untergebracht, meist für immer. Ein besonderer Fall ereignete sich 1951 in Dänemark mit dem sogenannten «Grönland-Experiment», bei dem 22 Kinder aus grönländischen Familien herausgerissen und nach Dänemark geschickt worden waren. Letztes Jahr kündigte die dänische Premierministerin Mette Frederiksen eine Entschuldigung dafür an. Doch diese muss nun aufgrund der COVID-19-Pandemie warten.

Eigentlich hatte bis zum 1. Juni eine von Mette Frederiksen eingesetzte Forschergruppe die Hintergründe und Details des gescheiterten Experiments aufarbeiten und in einem Bericht veröffentlichen müssen. Danach wollte sich die Premierministerin öffentlich bei den Betroffenen und der Bevölkerung Grönlands entschuldigen. Doch mit dem Ausbruch von COVID-19 und den Lockdown-Massnahmen der dänischen Regierung verzögerte sich die Fertigstellung des Berichts. Die Forschergruppe hatte durch die Massnahmen keinen Zugang mehr zu den Archiven des dänischen Staates und der beteiligten Organisationen. «Das Ministerium für soziale Angelegenheiten und Inneres hat erklärt, dass die Forscher die Untersuchungen begonnen hatten. Aber die Arbeit ist, wie viele andere Teile der Gesellschaft, von der COVID-19-Krise betroffen, einschliesslich der Schliessung von Archiven und der Reisebeschränkungen zwischen Dänemark und Grönland», schreibt die Premierministerin in einer Erklärung an das grönländische Parlament. Der Bericht soll nun Mitte November dieses Jahres eingereicht werden, wenn die Bedingungen es erlauben. Es könnte aber nochmals länger dauern, warnte die Premierministerin.

Familie ist für Grönländer sehr wichtig und Kinder werden als grosser Segen betrachtet und oft verwöhnt. Doch gleichzeitig werden Übergriffe auf Kinder gerad bei sozial benachteiligten Familien häufig verzeichnet, häufig im Zusammenhang mit Alkoholmissbrauch. Bild: Michael Wenger

Das «Grönland-Experiment» war ein zu Beginn der 50er-Jahren initiiertes «Sozial»-Programm der damaligen konservativen Regierung. Das Ziel war, grönländische Kinder mit dänischen Idealen und Sozialnormen aufzuziehen und aus ihnen eine Art «Elite» zu bilden, die das Geschick Grönlands nach dänischem Vorbild leiten sollten und die grönländische Kultur durch die dänische zu ersetzen. Dazu wurden 22 Kinder unter dubiosen Vorwänden und zweifelhaften Zusagen der Eltern aus den Familien gerissen und in Dänemark zur Adoption freigegeben. Einmal in Dänemark angekommen, wurde den 6- 8-jährigen Kindern unter Strafe verboten, ihre grönländischen Wurzeln, ihre Sprache oder andere Aspekte ihrer nativen Kultur auszuleben.

Doch das Experiment schlug fehl und einige Kinder wurden nach einem Jahr wieder zurück nach Grönland geschickt, wo sie statt zu ihren Eltern in ein Waisenhaus in Nuuk gebracht wurden. Andere blieben zwar in Dänemark, hatten aber mit massivem Trauma und psychologischen Folgen zu kämpfen. Nicht einmal die Hälfte der Kinder erreichte das Erwachsenenalter. Das Experiment riss eine tiefe Wunde in die grönländische Gesellschaft und 2009, nach der Abstimmung über erweiterte Autonomie, verlangte die Selbstverwaltungsregierung unter Kuupik Kleist eine offizielle Entschuldigung Dänemarks. Doch während 2010 sich die dänische Organisation Red Barnet, die das Experiment durchgeführt hatte, offiziell entschuldigte, wurde bis 2019 jegliche Entschuldigung der Regierung abgelehnt. Erst kurz vor Abwahl der dänischen Konservativen im Juni 2019 schloss man mit Grönland ein Abkommen zur Aufarbeitung der Geschehnisse ab. Eine Expertengruppe soll einen Bericht dazu verfassen, der aber jetzt eben noch nicht fertig wird.

Die Premieministerin Mette Frederiksen (hier mit Premierminister Kim Kielsen) hatte die Aufarbeitung des Experiments von der Vorgängerregierung übernommen, die im Februar 2019 diese gestartet hatte, zusammen mit Grönland. Bild Mads Claus Rasmussen

Die Aussagen der dänischen Regierungschefin trifft in Grönland nicht überall auf Verständnis. Die im dänischen Parlament sitzende Vertreterin Grönlands, Aaja Chemnitz Larsen, meint dazu gegenüber der Zeitung Sermitsiaq an die Adresse von Frederiksen: «Ich denke, Sie haben die überlebenden Teilnehmer des Experiments damit enttäuscht. Denn wenn Sie weiterhin die Entschuldigung verschieben, werden wir die Situation haben, wo keiner mehr da sein wird, die Entschuldigung anzunehmen.» Die Abgeordnete spricht dabei die Tatsache an, dass von den ursprünglich 22 verschleppten grönländischen Kindern heute nur noch vier am Leben sind (Stand Dezember 2019). Doch für die Premierministerin ist der Bericht, der als Grundlage für das weitere Vorgehen dient, wichtig. «Ich hatte angekündigt, dass sich die Regierung bei den 22 Kindern entschuldigen wird, die 1951 nach Dänemark geschickt wurden. Auf Ersuchen der grönländischen Regierung und hinsichtlich der Übereinkunft über eine historische Aufarbeitung, wird die Regierung zuerst den Bericht abwarten», schrieb Mette Frederiksen an das Parlament.

Quelle: Sermitsiaq

Mehr zum Thema in einem 3-minütigen Video von ARTE TV.

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