Mit dem Inkrafttreten des Montrealer Protokolls am 1. Januar 1989 verpflichteten sich 198 Staaten, den Einsatz von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) und weiteren bromierten und chlorierten Chemikalien in Kühlmitteln oder als Treibgas drastisch zu reduzieren, um die Emissionen dieser ozonschädigenden Gase so gut wie möglich zu verhindern. Der Ausstieg war erfolgreich, die Ozonschicht über der Antarktis erholte sich. Nun wurde jedoch festgestellt, dass die Ersatzverbindungen in persistente organische Schadstoffe zerfallen, die sich in Wasser, Boden und Eis auf der Nordhalbkugel und wahrscheinlich weltweit anreichern, so eine neue Studie in der Fachzeitschrift Geophysical Research Letters.
Die Studie wurde im Rahmen einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Criscitiello und den Labors der Atmosphärenchemikerin Cora Young von der Universität York und der Wissenschaftlerin Amila De Silva, Wissenschaftlerin für Umwelt und Klimawandel in Kanada durchgeführt. In den vergangenen vier Jahren entnahm das Team vier Eiskerne in der ostkanadischen hohen Arktis.
„In vielerlei Hinsicht können die Abbauprodukte dieser Substanzen genauso besorgniserregend sein wie die ursprüngliche Chemikalie, die sie ersetzen sollten“, sagt Alison Criscitiello, Direktorin des Canadian Ice Core Lab (CICL) an der University of Alberta. „Wir sehen, dass sich signifikante Mengen dieser kurzkettigen Säuren in der Eiskappe auf Devon Island ansammeln und diese Studie bringt einige von ihnen direkt mit FCKW-Ersatzverbindungen in Zusammenhang.”
Ein Eiskern, der auf dem Gipfel der Devon-Eiskappe in der kanadischen Hocharktis gebohrt wurde, zeigt eine zehnfache Zunahme der Ablagerung kurzkettiger Perfluorcarbonsäure (PFCA) zwischen 1986 und 2014. Diese Säuren entstehen durch atmosphärische Oxidation mehrerer Industriechemikalien, von denen einige FCKW-Ersatzverbindungen sind. Die kurzkettigen PFCAs sind hochmobile persistente organische Schadstoffe und gehören zur Klasse der sogenannten „forever chemicals“, weil sie sich nicht abbauen. „Kohlenstoff-Fluor ist die stärkste Bindung, die man haben kann“, sagt Umweltchemikerin Amila De Silva von Environment and Climate Change Canada. „Persistenz ist ein großes Problem für die Umwelt, denn es ist die Dosis, die das Gift ausmacht.”
Derzeit ist nur wenig über das Gesundheitsrisiko von kurzkettigen PFCAs bekannt, aber die Verbindungen sind für einige Pflanzen und Wirbellose giftig und reichern sich in Pflanzen an, auch in Nahrungspflanzen. Zudem erfahren die Eiskappen eine beschleunigte Erwärmung, wodurch diese Schadstoffe schließlich in das Oberflächenwasser freigesetzt werden, was ihre langfristigen Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesellschaft nach Ansicht der Autoren möglicherweise noch verstärken wird.
„Unsere Messungen liefern die erste Langzeitaufzeichnung dieser Chemikalien, die alle in den letzten Jahrzehnten dramatisch zugenommen haben“, sagte Cora Young, eine Atmosphärenchemikerin an der York University in Toronto, Kanada und Co-Autorin der neuen Studie. „Unsere Arbeit zeigte auch, wie diese industriellen Quellen zu den Werten in den Eiskappen beitragen.”
Dieselben Eisbohrkerne enthalten auch bedeutende Mengen an Perfluoralkyl-Säuren (PFAAs). Diese Ergebnisse zeigen, dass sowohl Perfluoralkylcarbonsäuren (PFCAs) als auch Perfluoroctansulfonat (PFOS) trotz nordamerikanischer und internationaler Vorschriften und Ausmusterungen kontinuierliche und zunehmende Ablagerungen auf der Devon-Eiskappe aufweisen. Dies ist wahrscheinlich das Ergebnis der laufenden Herstellung, Verwendung und Emissionen dieser persistenten Schadstoffe sowie ihrer Vorläufer und anderer neuer Verbindungen in Regionen außerhalb Nordamerikas.
Die öffentliche Besorgnis konzentrierte sich auf langkettige PFCAs, die sich als toxisch für Tiere, einschließlich Menschen, erwiesen haben, mit nachteiligen Auswirkungen auf die Fortpflanzung und einer Tendenz zur Bioakkumulation und Konzentration in höheren Stufen der Nahrungskette. Sie binden sich an Blut und können laut De Silva jahrelang im Körper verbleiben. Langkettige PFCAs sind in Lebensräumen aufgrund der breiten Verwendung ihrer Vorläufermoleküle in industriellen und kommerziellen Produkten weit verbreitet.
“Über kurzkettige PFCAs, wie sie in der neuen Studie gefunden wurden, gibt es weniger Informationen. Sie sind schwieriger nachzuweisen und zu analysieren, weil sie so klein sind”, so De Silva.
Die neue Studie zeigt die Allgegenwärtigkeit dieser persistenten Schadstoffe und die Notwendigkeit, verschiedene Umweltgefahren gleichzeitig in internationalen Abkommen zu berücksichtigen, so die Autoren.
„Diese Ergebnisse zeigen die Notwendigkeit eines ganzheitlicheren Ansatzes bei der Entscheidung, chemische Verbindungen zu verbieten und zu ersetzen“, betont Criscitiello. „Chemikalien werden abgebaut und es ist von entscheidender Bedeutung, dass ein umfassendes Verständnis dafür entwickelt wird, wie sie sich in der Umwelt abbauen und zu was sie abgebaut werden.”
Quellen: University of Alberta, American Geophysical Union