UPDATE: Gestern am späten Nachmittag vermeldete Svalbardposten, die lokale Zeitung in Longyearbyen, dass die Justizministerin Monica Maeland die Restriktionen gegenüber Einwohnern in Longyearbyen, die aus Dritt-Staaten stammen, aufgehoben werden. Das bedeutet, dass ALLE Einwohner von Svalbard restriktionslos auf das norwegische Festland reisen dürfen. Svalbardposten hat aber noch genauer nachgefragt. Wir bleiben dran.
Während norwegische Staatsbürger vom Festland ab dem 1. Juni wieder ihre Ferien auf dem Svalbard-Archipel verbringen dürfen, ist es den Bewohnern Spitzbergens, die aus einem Nicht-EU/EWR-Staat stammen, nicht erlaubt, aufs Festland zu reisen – weder für Urlaub noch für Familienbesuche. Und das, obwohl Spitzbergen seit Beginn der Corona-Pandemie virusfrei ist. Die norwegische Einwanderungsbehörde erteilt nur in Ausnahmefällen eine Einreisegenehmigung.
Drittstaatler, die dauerhaft auf Spitzbergen leben und dennoch versuchen, auf das norwegische Festland einzureisen, droht die Deportation in ihre Heimatländer. Die Regierung hat festgelegt, dass die Grenzen für Ausländer bis zum 20. August geschlossen bleiben, wobei am 15. Juni erneut evaluiert werden soll, ob Bürger anderer nordeuropäischer Staaten eventuell früher wieder einreisen dürfen. Für Bürger aus Drittstaaten mit Wohnsitz in Spitzbergen wird die Einreise nur aus medizinischen Gründen erlaubt oder, wenn eine Geburt bevorsteht. EU/EWR-Bürger, die in Norwegen leben und arbeiten, dürfen unter Vorlage entsprechender Dokumente einreisen.
Lokale Beamte, darunter Arild Olsen, der Bürgermeister von Longyearbyen, hoffen auf eine Änderung der Regeln. Aber die Aussichten für die ausländischen Einwohner Svalbards, die etwa 35 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind nicht gut, denn die Richtlinien der Regierung sehen vor, ausländische Einreisende in ihr Heimatland zurückzuschicken anstatt nach Svalbard.
Selbst Ehepaare, bei denen einer der Partner aus Norwegen stammt und der andere aus einem Drittstaat, also Nicht-EU/EWR-Bürger ist und ein Schengen-Visum besitzt, dürfen nicht gemeinsam Urlaub auf dem Festland machen. Laut der norwegischen Einwanderungsbehörde (UDI) sind nur Reisen mit Umsteigen auf dem norwegischen Festland erlaubt, nicht aber das Reisen im Land. Håkon Gausdal, dessen Frau aus der Ukraine stammt, beklagt diese Situation sehr. Laut seiner Aussage gegenüber Svalbardposten war es wohl “unmöglich, angemessene Informationen zu erhalten”. Er sagt, am Telefon wird man nur auf Websites verwiesen, “auf denen es keine Möglichkeit gibt, dies herauszufinden”. Nun hofft er, dass die Regeln für die Bewohner Spitzbergens bis zu den Sommerferien geändert werden.
Der Gouverneur Spitzbergens schreibt auf seiner Webseite: „Eine Reise auf das norwegische Festland, die vor der Corona-Situation möglich war, ist daher ab sofort nicht möglich. In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, ob Ausländer mit ihrem Ehepartner in Spitzbergen oder anderswo auf dem norwegischen Festland leben. Es ist nicht so, dass es auf Svalbard ansässigen Ausländern schlechter geht als Ausländern, die sich in anderen Ländern der Welt aufhalten, was den Zugang zum norwegischen Festland betrifft.”
Einige der Betroffenen schildern ihre Situation so:
“Ich habe zehn Jahre auf die Sommerferien gewartet”
Seit 13 Jahren lebt und arbeitet Omid auf Spitzbergen. Er kam damals als Flüchtling aus dem Iran erst nach Norwegen, das seinen Asylantrag ablehnte, und reiste daraufhin weiter nach Spitzbergen, wo es damals keine Passpflicht gab. Im kommenden Sommer wollte er seine Familie in Ostnorwegen, die er im November 2019 dank eines endlich genehmigten Visums erstmals nach zehn Jahren wiedersah, mit einem Besuch überraschen. Kurz vor seiner Abreise kontaktierte Omid den Gouverneur von Spitzbergen, um zu erfragen, wie er sich in Bezug auf den Infektionsschutz auf dem Festland verhalten solle. In dem Moment erfuhr er, dass er aufgrund der aktuellen Corona-bedingten Einreisebeschränkungen nicht würde reisen können. Würde er es dennoch wagen, würden die Behörden ihn zurück in den Iran deportieren. Omid, der fließend norwegisch spricht und bei Fruene, dem beliebten Café mit Chocolaterie in Longyearbyen arbeitet, bleibt dennoch positiv und ist froh, dass er den Gouverneur vor seiner Abreise angerufen hat.
“Ich dachte einfach nicht, dass es ein Problem sein könnte, aber mein schwedischer Pass erforderte einen Umweg für die Heimreise.”
Als die Corona-Pandemie begann, hörten der schwedische Student Rasmus und seine norwegische Freundin auf den Infektionskontrollrat der Universität in Longyearbyen und flogen aufs Festland, um in ihre dortige gemeinsame Wohnung zurückzukehren. Doch am Flughafen Oslo wurde Rasmus die Einreise verwehrt. Er müsse auf eigene Kosten in sein Heimatland Schweden weiterreisen, und das auch nur per Flugzeug, nicht mit dem Bus. Da es an diesem Tag bereits zu spät war für einen Weiterflug, wurde er, begleitet von der Polizei, in ein Quarantänehotel gebracht und am nächsten Tag auf dieselbe Weise wieder zum Flughafen eskortiert.
“Im Großen und Ganzen hatte ich das Gefühl, kontrolliert und kommandiert zu werden. Es war wie ein Weckruf und vielleicht ein Hauch davon, wie man sich als Flüchtling fühlt. Es war eine sehr schlechte Behandlung. Dramatisch unnötig”, beschreibt Rasmus seine Erlebnisse.
Drei Wochen verbrachte er daraufhin bei seiner Familie in Schweden und machte sich dann mit dem Bus auf den Weg nach Norwegen zu seiner Freundin, die in ihrer gemeinsamen Wohnung wartete. Die Einreise war unerwartet einfach: “Ich hatte alle Argumente der Welt für den Grenzübertritt vorbereitet. Aber dann hat es nur zwei Sekunden gedauert,” erinnert er sich.
“Ich beschwere mich nicht über die Vorschriften, ich habe großen Respekt vor ihnen, aber die Leute müssen Informationen darüber bekommen.”
Sunniva und Pavel, ein norwegisch-russisches Paar, das im August ein Kind erwartet, war aufgrund der offenbar nicht ganz eindeutigen Informationen verunsichert, ob der russische Vater des Kindes bei der Geburt auf dem Festland dabei sein darf, denn Regelungen für Einreisende aus Svalbard werden nicht explizit erwähnt. Die werdende Mutter kontaktierte daraufhin den Gouverneur von Svalbard, der sie an das Justizministerium verwies, das wiederum die Kontaktaufnahme mit der norwegischen Einwanderungsbehörde (UDI) empfahl. Die Antwort ließ etwas auf sich warten.
Die Spitzbergen-Nachrichtenseite Svalbardposten erhielt schließlich auf Anfrage die positive Aussage von der UDI und dem Gouverneur, dass eine Geburt ein besonderer Grund für die Einreise ist und dass die Grenzpolizei dem Vater unter Vorlage der erforderlichen Dokumente die Einreise gewähren sollte.
Erst danach erhielt die Norwegerin dieselbe Antwort von der UDI. Sie ist sehr erleichtert darüber, aber hätte sich eine bessere Informationspolitik gewünscht.
Viele derjenigen, die – freiwillig oder nicht – in Longyearbyen bleiben, sehen sich langfristig einer großen Unsicherheit ausgesetzt, da trotz der Wiederaufnahme des Tourismus die Einnahmen voraussichtlich nur einen Bruchteil einer normalen Sommersaison ausmachen werden. Hinzu kommen die Verluste aus dem Frühjahr und die, die für den Rest des Jahres und darüber hinaus erwartet werden.
Quellen: Svalbardposten, icepeople.net