Rettung auf der Eisscholle | Polarjournal

WSL-Postdoc Reza Naderpour erlebt, wie anspruchsvoll die Planung für eine Expedition wie MOSAiC ist: Neben insgesamt drei Monaten Verzögerungen bei der Hin- und Rückreise der 3. Etappe gestalten sich seine Messungen durch die dynamischen Eisverhältnisse extrem schwierig. Aber guter Teamgeist und eine erfolgreiche wissenschaftliche Mission machen all dies wett.

So sehe ich nach mehrstündiger Arbeit im Freien bei -40 °C aus. Man beachte die Wärmepads, mit denen ich die Wangen vor dem Erfrieren schützen muss.

Wenn man mich fragt, wie lange ich auf der MOSAiC-Scholle geblieben bin, lautet meine Antwort am ehesten „14 Nächte und dann ein sehr langer Tag! “ Nach immer heller werdenden Nächten am Anfang geht jetzt nämlich die Sonne gar nicht mehr unter.

Einer der Schwerpunkte der MOSAiC-Forschung ist die Mikrowellen-Fernerkundung von Meereis und seiner Schneedecke zur Verbesserung der Modelle, die zur Abschätzung von Meereis-Eigenschaften aus Satellitenmessungen verwendet werden. Dazu werden aktive (z.B. Radargeräte, die im L-, C-, X- und K-Band arbeiten) und passive Instrumente (z.B. ELBARA, HUTRAD, SSMI und GNSS-R) eingesetzt, um die Mikrowellensignaturen von Meereis unter verschiedenen Bedingungen zu messen. Diese Fernerkundungsmessungen ergänzen andere in-situ-Messungen von Schnee und Eis, wie Dichte, Dicke, Temperatur und Salzgehalt. Mein Teil des Projekts besteht darin, ein ELBARA-Radiometer zu betreiben, das wir an der WSL entwickelt haben.

Das am WSL entwickelte Gerät ELBARA (links) musste zuerst repariert und umgesiedelt werden, bevor es dann für Messungen verwendet werden konnten. Meereis wurde auch in einem eigens eingerichteten Kältelabor auf dem Schiff gemessen. Hier Reza zusammen mit Steve Fons vom NASA Goddard Space Flight Center.

Die Messungen der Etappe 3 waren in ihrer Art einzigartig, da sie die extremsten Wetter- und Eisdynamikbedingungen abdeckten, die während des MOSAiC aufgezeichnet wurden. Ein bemerkenswertes Extrem waren die Lufttemperaturschwankungen mit Werten von bis zu -42°C in den ersten Märzwochen und bis zu 0,7°C Mitte April. Dies ermöglichte es uns, die Mikrowellenemission von Meereis und Schnee unter arktischen Winterbedingungen zu erfassen und eine partielle Schneeschmelze zu registrieren, die für die zentrale Arktis im April ungewöhnlich ist.

Der großartige Datensatz war jedoch nicht umsonst zu haben. Eines Tages brach das Eis um unseren Beobachtungsort auf, und wir mussten uns beeilen, um unsere Ausrüstung zu retten. Die Verlegung der Anlage war eine große logistische Operation mit Schlitten, Skidoos und Hubschraubern und dauerte eine ganze Woche. Durch diese Erfahrungen wurde mir klar, welche Kosten und Mühen es kostete, unsere Daten zu sammeln. Gleichzeitig machte die intensive Zusammenarbeit aus den einzelnen Teammitgliedern eine Familie.

Die Eisrinne, die in der Scholle auftauchte, kam den Messgeräten bedrohlich nahe. Rettung kam u.a. per Hubschrauber und Skidoos.

Der von Derek Houtz an der WSL gebaute ELBARA auf Schlitten ist sozusagen die arktische Schwester des größeren ELBARA, der im Fernerkundungs-Feldlabor Davos-Laret installiert ist. An dem neuen Standort erhielten wir damit die große Chance, Meereis des zweiten Jahres zu messen und weitere Experimente zu entwerfen, um die Mikrowelleneigenschaften des Meereises und seine Schneebedeckung sowie die räumlichen Variabilitäten des Meereises besser zu verstehen. Dazu mussten wir uns unsere ELBARA- und HUTRAD-Geräten verschieben: Man weiß nie, wie schwer ein Instrument ist, solange man es nicht von Hand auf einem Schlitten ziehen muss!

Das Remote-Sensing-Team an der WSL hat ELBARA-Radiometer entwickelt, zuerst für Langzeitmessungen in Davos und dann in einer kompakten Version für die MOSAiC-Expedition.

Ein weiteres Experiment beinhaltete die Messung der dielektrischen Eigenschaften von Meereis und salzhaltiger Schneedecke mit Hilfe von Resonatorsensoren, was auf dem arktischen Meereis seit vierzig Jahren nicht mehr gemacht worden war. Wir hatten diese Sensoren bereits in Davos und über dem grönländischen Inlandeis eingesetzt und waren begeistert, dies in einem der am wenigsten zugänglichen Gebiete dieses Planeten zu tun. Dies ist zwar ein langwieriger Prozess, der Meereisbohrungen, das Schneiden des Kerns und die Durchführung einer Reihe von Messungen sowohl vor Ort als auch im kalten Labor umfasst, aber es ist auch eine großartige Gelegenheit, mehr mit grossartigen Kollegen aus der ganzen Welt zusammenzuarbeiten.

Nachdem mit viel Aufwand die Messgeräte vor der Rinne im Eis gerettet worden waren, konnte Reza auch mal aufatmen. Das Bild zeigt, wie gross die Rinne war.

Die 3. Etappe war aufregend, manchmal vielleicht zu aufregend, mit zahlreichen Herausforderungen und Überraschungen. Daher hatten unsere Tage und Wochen wenig Sinn für Routine, abgesehen von den Essenszeiten und schönen Kaffeepausen und Planungstreffen. Aber es ist nicht immer Arbeit. Manchmal nehmen wir uns Zeit, um gemeinsam ein Spiel zu spielen oder einen Film zu sehen. Wir hatten auch einige sehr aufregende Momente, als wir einmal von einem freundlichen Eisbären und später von einem Polarfuchs und natürlich von vielen Vögeln besucht wurden. Nach mehr als dreieinhalb Monaten völlig dunkler und völlig heller Arktis zähle ich die Tage, bis ich Grün, Hügel und Berge sehen werde. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass es viel Zeit und Arbeit erfordern wird, um die Informationen, die ich hier gesammelt habe, zum besseren Verständnis des Meereises einzusetzen

Reza Naderpour arbeitet als PostDoc am WSL in Birmensdorf und war zusammen mit Amy MacFarlane an Bord der „Polarstern“ auf dem dritten Abschnitt der MOSAiC-Expedition. Die COVID-bedingte Verzögerung der Rückreise lässt ihn erst Ende Juni wieder in der Schweiz ankommen. Hier teilt er seine Eindrücke mit uns.

Mehr zum WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF findet man auf auf https://www.slf.ch/

Quelle: Medienabteilung des SLF

Weitere Blogs der SLF-Teilnehmer der MOSAiC-Expedition

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