«Polarstern» zurück an der Eisscholle | Polarjournal
Die MOSAiC-Scholle von Westen. Luftaufnahme aus dem Helikopter beim ersten Erkundungsflug, zwei Tage bevor die «Polarstern» von der Übergabe und Versorgung vor Spitzbergen zurückgekehrt ist. (Foto: Markus Rex)

Nach einem Monat der ‘Abwesenheit’ hat der Forschungseisbrecher «Polarstern» am 17. Juni die MOSAiC-Eisscholle bei 82,2 °Nord, 8,4 °Ost wieder erreicht. Wegen dem Convid-19 Virus konnte der Crewwechsel nicht wie geplant auf der Eisscholle durchgeführt werden. Dieser fand nun am 17. Mai 2020 vor Spitzbergen statt.

Eine der autonomen Messstationen, die während der Abwesenheit der «Polarstern» auf der MOSAiC-Scholle Daten zu Energieflüssen aufgenommen hat. (Foto: Markus Rex)

Beim Verlassen der MOSAiC-Eisscholle liess man die autonomen Messgeräte zurück. Diese sendeten von dort regelmäßig GPS-Daten der Position der Scholle und durchgehend viele wichtige Daten auch während die «Polarstern» unterwegs war. So wurde gemessen, wie sich die Energiebilanzen, also die Energieflüsse zwischen Atmosphäre, Eis und Ozean und vieles mehr sich verhalten.

Somit konnten wertvolle Zeitreihen grundlegender Parameter auch während der Abwesenheit der Wissenschaftler fortgesetzt werden. Das kann aber natürlich nicht die Forschung vor Ort ersetzen, so dass das Team des vierten Abschnitts jetzt froh ist, die Arbeit aufnehmen zu können.

Julia Regnery und Amy Macfarlane schauen sich die MOSAiC-Scholle an, bevor sie zu einer ersten Erkundung auf das Eis gehen. (Foto: Lisa Grosfeld)

Erste Eindrücke von der Scholle bei der Rückkehr: „Der ursprüngliche feste Bereich der Scholle, unsere sogenannte Festung, hat die Verformungen im Frühjahr größtenteils intakt überstanden und ist auch jetzt weiter eine gute Basis für unser Forschungscamp“, berichtet Prof. Markus Rex, Leiter der MOSAiC-Expedition und Atmosphärenphysiker am AWI. „Hier werden wir auch bis in den Sommer hinein arbeiten können. Mit dem jetzt einsetzenden großen sommerlichen Schmelzen werden wir mit unseren Aufbauten aber sehr mobil sein und uns jeweils an die sich entwickelnden Bedingungen anpassen müssen. Eventuell werden wir das Forschungscamp später im Sommer auch nochmal verlegen – das hängt alles von der Entwicklung der Eisbedingungen ab“, so Rex, der bereits den ersten Expeditionsabschnitt ab September 2019 geleitet hatte. Von den Erfahrungen bei der damaligen Schollensuche konnte er jetzt profitieren: Die «Polarstern» legte wie schon im letzten Herbst zunächst etwas abseits des Messgebiets an, um die Scholle mit Teams auf dem Eis genauer zu erkunden. Erst in ein paar Tagen wird das Schiff dann an die endgültige Position manövriert.

Die Gruppen- und Expeditionsleiter erkunden die MOSAiC-Scholle. (Foto: Lisa Grosfeld)

Das Anlegemanöver ist einer der vielen Momente, in denen Erfahrung und Navigationsgeschick des Kapitäns gefragt sind. Thomas Wunderlich hat beim jetzigen Austausch das Kommando von Stefan Schwarze übernommen. Beide hatten sich – anders als die anderen Besatzungsmitglieder – dafür entschieden, sich nur einmal während der gesamten Expedition abzulösen. „Wichtig ist, wie bereits zu Zeiten der alten Entdecker, nicht sinnlos irgendwo reinzufahren, sondern die richtige Eintrittsposition ins Eis zu finden“, berichtet Thomas Wunderlich von der Anfahrt zur Scholle. „Wir konnten die ersten Tage gut und zügig Wegstrecke zurücklegen. Windrichtung und Sicht haben uns dabei unterstützt.“ Ab 82 ° Nord habe sich dann aber die Situation „verspannt“. Die Dynamik des Eises erhöhte sich, es wurde mächtiger. „So wurden wir am Wochenende des 13./14. Juni auf Grund von Eispressung zum Stillstand gezwungen und mussten die Maschinen abstellen, um wertvolle Ressourcen an Brennstoff zu schonen. So ein Stillstand hat aber auch den Vorteil, dass man sieht: Es ist nichts selbstverständlich und planbar – dass man sich halt den Gegebenheiten unterwerfen muss“, erläutert der Kapitän. Sein größter Wunsch sei es, „dass wir bestmöglich so lange wie möglich an der Scholle bleiben können, und damit die Geburt und deren Lebenszyklus bis zum Ende begleiten können. Auch wenn das für Logistik und Navigation eine enorme Herausforderung sein wird.“

Der «Polarstern» Kapitän Thomas Wunderlich in seinem Büro an Bord während eines Werftaufenthalts in Bremerhaven. (Foto: Esther Horvat)

„Wir werden in dem jetzt beginnenden Sommer in nie dagewesener Detailschärfe die Prozesse im arktischen Klima während der Schmelzsaison erforschen können“, betont Markus Rex. Dazu gehören Wirbel im Ozean, die durch Meeresströmungen unter dem Eis entstehen, wie Dicke und Beschaffenheit des Eises die Klimaprozesse beeinflussen, welche Rolle die Schneeauflage auf dem Meereis spielt und wie das Zusammenspiel mit Atmosphäre und Wolken funktioniert. Momentan beginnt die sommerliche Eisschmelze und auf dem Meereis entstehen Tümpel, die die Strahlungsbilanz verändern. Wo das Eis letztlich aufbricht, entweichen über Spalten und Risse Wasserdampf und Aerosole, die in der Atmosphäre dazu führen, dass sich Wolken bilden. Wie diese Wolken beschaffen sind und ob sie die unteren Luftschichten abkühlen oder wärmen, sind weitere der vielen Fragestellungen, denen die Forschungsteams bis zur Rückkehr der Polarstern in ihren Heimathafen Bremerhaven nachgehen werden, wo der Eisbrecher am 12. Oktober 2020 erwartet wird.

Heiner Kubny, PolarJournal

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