Der Nationalfeiertag in Grönland wird seit 1983 am 21. Juni begangen und ist grundsätzlich ein Tag voller Freude, Feier und Zusammengehörigkeit. Doch in diesem Jahr sind viele Dinge anders in Grönland, wie auch im Rest der Welt und zeigt, wie stark die Insel mittlerweile global vernetzt ist. Nachdem die COVID-Krise auf der grössten Insel der Welt dank strikter Massnahmen sehr mild verlaufen ist, hat nun die Rassismusdebatte und die Hinterfragung der Geschichte, die zurzeit in vielen Ländern wirkt, auch Grönland erreicht. Leider auch mit den negativen Seiten in Form von Vandalismus.
In der Nacht vom Samstag auf Sonntag, dem Nationalfeiertag, wurde in Nuuk die Statue von Hans Egede, des dänisch-norwegischen Priesters und Missionars, mit roter Farbe übergossen. Die Polizei ist gemäss Angaben der Zeitung Sermitsiaq noch mit Untersuchungen beschäftigt und hat bereits mehrere Personen befragt. Der Vandalenakt wurde am Sonntag bemerkt und den lokalen Behörden gemeldet, bevor die Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag begannen. Die Feierlichkeiten wurden wie geplant abgehalten und verliefen fröhlich und friedlich mit Umzug, Musik und verschiedenen Events.
Der Angriff auf die Statue des Missionars und «Apostel von Grönland» ist nicht der erste. In der Vergangenheit wurde mehrfach die Statue Ziel von Farbattacken. Doch im Hinblick auf die zurzeit in vielen Ländern geführten Debatten über historische Figuren und Rassismus gewinnt diese Attacke mehr an Gewicht. Denn auch in den arktischen Regionen sehen sich viele Inuit und Grönländer rassistischen Vorurteilen und Ausgrenzungen ausgesetzt, auch in Grönland. Zwar hat die Insel von Dänemark weitreichende Selbstverwaltungsrechte erhalten. Doch tief sitzen die Narben der jüngeren Vergangenheit, als Dänemark sich als Kolonialmacht aufführte und die traditionelle Lebensweise der Einwohner ausmerzen wollte. Diese Verletzungen aus der Vergangenheit und die Idee, dass Dänemark die Bewohner Grönlands als «Bürger zweiter Klasse» betrachtet, haben in Grönland bei vielen zu einer ablehnenden Haltung gegenüber allem Dänischen geführt. Und Hans Egede, der sich viel und lange mit der grönländischen Kultur und Sprache auseinandergesetzt hatte, wird in nationalistischen Kreisen als Anfang des Endes grönländischer Selbstbestimmung betrachtet.
Die Vorkommnisse rund um den Tod von George Floyd in Minneapolis, USA, hatten eine globale Protestwelle ausgelöst und die Diskussion um Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt gegenüber Nicht-Weissen Teilen der Bevölkerung stark vorangetrieben. Im Zuge davon kam es auch zu Attacken gegen Statuen historischer Persönlichkeiten, was eine hitzige Debatte über deren Sinn und Zweck auslöste. In anderen Regionen der Arktis wurden Demonstrationen über exzessive Polizeigewalt, Willkür und Alltagsrassismus, dem sich viele der arktischen Völker ausgesetzt sehen, abgehalten. Auch in Grönland wird die Diskussion über diese Themen geführt und es wird sich zeigen, ob dadurch das Streben nach Unabhängigkeit Aufwind erhalten wird, oder ob sich die moderaten Kräfte, die für einen Verbleib in der Union mit Dänemark, durchsetzen werden. Auf jeden Fall machen die globalen Geschehnisse auch nicht vor der grössten Insel der Welt und ihren Einwohnern halt.