Vieles, das in der Arktis geschieht, führt zu grossen Veränderungen in anderen Teilen der Welt. Vor allem klimatische Auswirkungen werden in Europa gespürt, wenn sich Bedingungen in der Arktis verändern. Dies kann auch zu Veränderungen ganzer Herrschafts- und Politsystemen führen. Ein internationales Forschungsteam mit Schweizer Beteiligung hat Beweise gefunden, dass ein heftiger Vulkanausbruch auf einer Insel der Aleuten mitverantwortlich am Niedergang der römischen Republik und des ägyptischen Ptolemäer-Reiches war.
In der Studie der beiden Hauptautoren Michael Sigl von der Universität Bern und Joseph McConnell vom Desert Research Institute in Reno, Nevada fanden sie die Beweise für die Verbindung in Eisbohrkernen aus Grönland und Russland in Form von Ascheablagerungen, sogenanntem Tephra. Dabei zeigte sich, dass zwei vulkanische Aktivitäten in den Jahren 45 und 43 vor Christus zu den Ablagerungen geführt hatten. Eine geochemische Analyse und Vergleiche mit zu der Zeit bekannten Ausbrüchen führte die Forscher zum Ausbruch des Vulkans Okmok in Alaska. Besonders die zweite Eruption gehört zu den stärksten Ausbrüchen eines Vulkans in den vergangenen 2’500 Jahren. «Die Tephra-Treffer könnten nicht besser passen», meint der Spezialist Dr. Gill Plunkett von der Queen’s University in Belfast.
Erste Hinweise auf eine vulkanische Aktivität fanden die beiden Hauptautoren bei der Untersuchung eines Eisbohrkerns. Darin war eine gut-erhaltene Tephra-Schicht eingelagert. Weitere Untersuchungen in alten Kernen, die teilweise in den 1990er-Jahren herausgebohrt worden waren, lieferten weitere Beweise, dass der Ausbruch «Okmok 2» für die Ablagerungen verantwortlich war. Doch als die Forscher die Auswirkungen des Ausbruchs weiter untersuchten, zeigte sich das wahre Ausmass der damaligen Katastrophe. In den Jahrringen von damaligen Bäumen in Skandinavien, Österreich und Kalifornien und in Höhlenablagerungen in Nordostchina fand das Forscherteam Hinweise auf massive klimatische Veränderungen nach dem Ausbruch. Eine Modellierung zeigte, dass die Temperaturen auf der Nordhalbkugel um bis zu 7°C tiefer lagen im Sommer und Herbst und dass die Sommerniederschläge um 50 – 120 Prozent und die Herbstniederschläge sogar um bis zu 400 Prozent höher lagen im südlichen Europa.
Besonders im Mittelmeerraum, wo zwei der grössten damaligen Reiche lagen, hatten diese klimatischen Veränderungen massive Auswirkungen. Denn Historiker aus der Zeit beschreiben Missernten, Hungersnöte und Krankheitsausbrüche von grossem Ausmass. «Im Mittelmeerraum haben diese feuchten und extrem kalten Bedingungen während des landwirtschaftlich wichtigen Frühlings bis Herbst wahrscheinlich die Ernteerträge verringert und die Versorgungsprobleme während der anhaltenden politischen Umwälzungen dieser Zeit verschärft», beschreibt der Archäologe Dr. Andrew Wilson von der Universität Oxford. «Besonders auffällig war der Verlust der jährlichen Nilflut zum Zeitpunkt des Ausbruchs des Okmok», fügt der Historiker Dr. Joe Manning von der Universität Yale hinzu. «Die Klimaeffekte waren ein schwerer Schock für eine bereits gestresste Gesellschaft zu einem entscheidenden Zeitpunkt in der Geschichte.»
Der Zeitpunkt der beiden Vulkanausbrüche fällt genau in die Zeit der politischen Umwälzungen in Rom und Ägypten, die auch miteinander zusammenhängen. Beginnend mit Julius Cäsars Machtergreifung und seiner Alleinherrschaft und den daraus entstehenden Konflikten und Bürgerkriegen, wandelte sich die römische Republik in ein Kaiserreich und das ägyptische Reich wurde zu einer römischen Provinz. Massgeblicher Faktor waren dabei die Versorgungsprobleme der Legionäre und Veteranen in der Armee und in der Bevölkerung. Die Missernten und schlechten Landbedingungen, die durch die klimatischen Veränderungen hervorgerufen worden waren, führten zu Missstimmung in der Bevölkerung und der Armee, was den Aufstieg einer Führungspersönlichkeit förderte, aber nicht der alleinige Grund war. Die Autoren der Studie sind sich auch bewusst, dass viele verschiedene Faktoren zum Niedergang der römischen Republik und Ägyptens geführt hatten. Doch der Ausbruch des Okmok war sicherlich ein wichtiger Faktor. «Es ist faszinierend, Beweise dafür zu finden, dass ein Vulkan auf der anderen Seite der Erde ausgebrochen ist und effektiv zum Untergang der Römer und Ägypter und zum Aufstieg des Römischen Reiches beigetragen hat», meint Hauptautor McConnell zum Schluss. «Es zeigt, wie vernetzt die Welt schon vor 2’000 Jahren war.»
Michael Wenger, PolarJournal
Link zur Studie: McConnell et al (2020) PNAS, E-Pub: 10.1073/pnas.2002722117