Mikroplastik in antarktischen Bodentierchen | Polarjournal
Springschwänze, hier der Antarktische Springschwanz (Cryptopygus antarcticus), sind weltweit typische Bodenbewohner und bilden eine wichtige Komponente in den Stoffkreisläufen zwischen Pflanzen und Boden. Foto: Pete Bucktrout/British Antarctic Survey

Mikroplastik wurde bereits mehrfach in arktischen und antarktischen Ökosystemen nachgewiesen. Wissenschaftler der Universität Siena untersuchten in einer aktuellen Studie, ob Plastik, das an Stränden angespült wird, den Weg in das Nahrungsnetz der Landlebewesen findet. Auf der antarktischen Insel King George Island wurden sie fündig: winzige Bodentierchen hatten Mikroplastikfragmente aufgenommen.

King George Island, die größte der Südlichen Shetlandinseln, liegt 120 Kilometer vor der nördlichsten Spitze der Antarktis. Es ist ein rauer Ort — die Heimat von Robben, Pinguinen, einigen wenigen wissenschaftlichen Stationen und nicht viel mehr. Obwohl das Klima im Vergleich zum Festland mild ist, reichen die Temperaturen in den Sommermonaten kaum über den Gefrierpunkt, und die Insel ist fast vollständig mit Eis bedeckt. Wenn Mikroplastik hier in das Nahrungsnetz eindringen kann, dann wird das wahrscheinlich überall auf der Erde der Fall sein.

Und genau das haben Tancredi Caruso, Professor an der School of Biology and Environmental Science am University College Dublin, und seine Kollegen entdeckt, als sie nach Mikroplastik in Kleinstlebewesen von King George Island suchten. Ihre Ergebnisse, die in der Fachzeitschrift Biology Letters veröffentlicht wurden, zeigen, dass Mikroplastik zu einem integralen Bestandteil des Nahrungsnetzes im Boden wird.

Unter Mikroplastik versteht man Kunststoffteile, die kleiner als fünf Millimeter sind; die meisten sind noch viel kleiner mit Größen im Mikrometerbereich. Diese Bruchstücke lösen sich von den Hunderten von Millionen Tonnen Kunststoffen, die jedes Jahr produziert werden und bilden zusammengenommen eine riesige Abfallmenge. Und da sich Plastik nur sehr langsam abbaut, hat es sich in der Umwelt dramatisch akkumuliert − von den tiefsten Meeresgräben bis zum Nord- und Südpol.

Ein mit fast zwei Millimeter Länge besonders großer Vertreter der Springschwänze (Bildmitte), der in einem Eichenwald in Irland gefunden wurde. Foto: Tancredi Caruso

Die meisten Beweise für die Auswirkungen von Kunststoffen auf die Umwelt stammen aus aquatischen Ökosystemen, aber es gibt immer mehr Anzeichen dafür, dass sich die Verschmutzung durch Kunststoffe auch auf Pflanzen und den Boden auswirkt. Es ist jedoch noch nicht klar, in welchem Umfang Kunststoffe tatsächlich in die Nahrungsnetze an Land eingedrungen sind — und hier setzt die neue Forschung der Wissenschaftler an.

In dieser Studie, die von Carusos Kollegen Elisa Bergami und Ilaria Corsi von der Universität Siena geleitet wurde, konzentrierten sich die Forscher auf Cryptopygus antarcticus, den Antarktischen Springschwanz. Collembola, die wissenschaftliche Bezeichnung für Springschwänze, sind Millimeter-große Tiere, die Insekten sehr nahe stehen, und sind ein wichtiger Bestandteil aller Böden auf der ganzen Welt.

Die besondere Art, die sie analysiert haben, ist von zentraler Bedeutung für die Nahrungsnetze des antarktischen Bodens. Sie ist aber auch ein gutes Beispiel der zahlreichen mikroskopisch kleinen Tiere, die die Böden auf der ganzen Welt bewohnen. Caruso selbst untersuchte die Populationen antarktischer Collembola im Jahr 2005, hatte aber damals nicht daran gedacht, dass diese Tiere Kunststoffe aufnehmen könnten, vor allem wenn man bedenkt, wie weit antarktischer Boden von Verschmutzungsquellen entfernt zu sein schien.

Doch dieses Mal nahm Bergami Proben von King George Island. Dort fand sie Tiere, die sich von Algen, Moos und Flechten ernährten, die auf Styropor wuchsen. Der Schaumstoff, der aus den gleichen Polystyrolarten bestand, aus denen auch gewöhnliche Verpackungen hergestellt werden, lag als angespülter Müll am Strand. Dieselben Plastikabfälle finden wir heute angespült an Stränden auf der ganzen Welt.

Die Antarktischen Springschwänze ernährten sich von Algen, Moosen und Flechten, die auf angespültem Styropor wuchsen (links). Kleinste Styroporpartikel ließen sich mit dem Infrarotspektrometer im Innern der winzigen Tiere nachweisen (Mitte). Abbildung: Bergami et al. 2020

Die Forscher wollten wissen, ob die kleinen Bodentierchen Polystyrol aufgenommen haben, wobei es nicht einfach ist, winzige Plastikfragmente im Darm von Tieren zu finden, die man mit bloßem Auge kaum sehen kann. Deshalb nutzten sie Infrarotspektroskopie – die gleiche Technologie, die von Gerichtsmedizinern an Tatorten eingesetzt wird, um winzige Lackkratzer aufzuspalten und auf das Originalfahrzeug zurückzuführen. Mit diesem neuen Ansatz war es ihnen möglich, Mikrofragmente von Polystyrol im Verdauungstrakt der Collembola sichtbar zu machen.

Welche Auswirkungen hat dies? Bodentiere wie Collembola können zwar winzig klein sein, aber es können Zehn- oder Hunderttausende von ihnen pro Quadratmeter Boden vorkommen. Diese hohen Zahlen bedeuten, dass Collembola Mikroplastikfragmente über die gesamte Länge und Tiefe des Bodens transportieren und gründlich umverteilen können. Da sowohl Mikroplastik als auch kleine, aber sehr zahlreiche Bodentiere überall zu finden sind, könnte diese Umverteilung von Kunststoffen ein globaler Prozess sein.

Es gibt noch viel zu tun für die Wissenschaftler, um die Auswirkungen von Mikroplastik im Verhältnis zu anderen schwerwiegenden Umweltbelastungen wie chemische Verschmutzung und Klimawandel wirklich verstehen zu können. Doch wenn selbst die Springschwänze in der marinen Zone der Antarktis Mikroplastik aufnehmen, besteht ein sehr hohes Risiko, dass sie bereits tief in das Nahrungsnetz des Bodens eingedrungen sind, möglicherweise mit negativen Auswirkungen auf die Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Boden. In Zukunft werden die Wissenschaftler diese Auswirkungen quantifizieren und genau herausfinden müssen, wie Mikroplastik in die globalen Stoffkreisläufe eingreift.

Quelle: Tancredi Caruso, University College Dublin

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