Biber nagen am arktischen Permafrost | Polarjournal
Biber besiedeln gewässerreiche Landschaften und schaffen mit ihren Bauwerken neue Lebensräume und tragen zum Hochwasserschutz bei. In der Arktis könnten sie allerdings zur Verstärkung des Klimawandels beitragen. Foto: Ken Tape, Geophysical Institute, University of Alaska Fairbanks

Hierzulande wird die Rückkehr und Wiederausbreitung der Biber recht ambivalent gesehen: Während sich Natur- und Tierfreunde über die zunehmende Zahl der putzigen Nagetiere freuen, sind beispielsweise einige Landwirte ganz und gar nicht erfreut über die Anwesenheit der Baumeister, wobei Eingriffe in die Landschaft durch Biber hier eher kleinräumig sind. Ganz anders im Norden Alaskas, wo sie einer neuen Studie zufolge mit ihren Landschaftsumbauten für ein schnelleres Auftauen des Permafrostbodens verantwortlich zu sein scheinen und somit ganz wesentlich den Klimawandel weiter anheizen könnten. 

Mit ihren scharfen Zähnen fällen Biber Bäume und Sträucher, legen Staudämme an und gestalten so die Landschaft komplett neu: sie überfluten Senken und schaffen neue Seen, die mehrere Hektar Land bedecken können. Mit ihrer Lebensweise sind sie die besten «Ökosystem-Manager»: wo immer Biber leben, kreieren Sie mit ihren Baumaßnahmen neue, vielgestaltige Lebensräume, die zahlreiche andere Tiere wie Insekten, Kleinsäuger und seltene Vogelarten gern annehmen – die Artenvielfalt nimmt sprunghaft zu.

Die Ausbreitung der Nordamerikanischen Biber (Castor canadensis) in der arktischen Tundra Alaskas dagegen wird von Wissenschaftlern mit großer Sorge betrachtet, da sie befürchten, dass die rege Bautätigkeit der Tiere die globale Erwärmung weiter verstärken könnte. Seit einigen Jahren beobachten Forscher vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, der University of Alaska Fairbanks und der University of Minnesota, Minneapolis den Vormarsch der Biber in Alaska in Richtung Norden. In ihrer Studie, die in der Fachzeitschrift Environmental Research Letters erschien, beschreiben sie einen regelrechten Boom im Dammbau in den vergangenen Jahren.

Für den Permafrostboden ist das keine gute Entwicklung, denn das Wasser der dadurch entstandenen neuen Seen ist wärmer als der Boden und führt zum Auftauen der Dauerfrostgebiete. Die Wissenschaftler sind besorgt, dass die Freisetzung von Methan und Kohlendioxid aus dem Permafrost in die Atmosphäre durch die Ausbreitung der Biber noch beschleunigt wird.

Biberdämme, wie hier im Algonquin Provincial Park in Kanada, stauen größere und kleinere Fließgewässer und lassen neue Seen entstehen. Foto: Ingmar Nitze, Alfred-Wegener-Institut

Mithilfe hochauflösender Satellitenbilder konnten die Wissenschaftler zahlreiche Dämme lokalisieren und stellten dabei fest, dass die Tiere ihre Dämme genau an den Stellen bauen, wo neue Seen das Auftauen des Permafrostes am ehesten verstärken könnten. Laut Benjamin Jones, Erstautor der Studie und Wissenschaftler an der University of Fairbanks, und Ingmar Nitze, Geowissenschaftler am Alfred-Wegener-Institut in Potsdam, gehören ehemalige Seebecken, die inzwischen ausgetrocknet sind, zum bevorzugten Baugrund der Biber. «Die Tiere haben intuitiv herausgefunden, dass das Aufstauen der Abflusskanäle an den Stellen der ehemaligen Seen eine effiziente Methode ist, um Lebensraum zu schaffen. So entsteht ein neuer See, der den eisreichen Permafrost im Becken abbaut, was zusätzlich dazu führt, dass die Tiefe des künstlichen Wasserkörpers zunimmt», fügt Jones hinzu.

«Die Sache mit dem Permafrost ist, dass das Wasser sehr stark mit dem gefrorenen Boden unter ihm in Wechselwirkung tritt. Je mehr Oberflächenwasser man hat, desto schlimmer ist es für den Permafrost – denn im Winter kann die kalte Luft nicht wieder in den Boden eindringen und das Wasser speichert einen Großteil der Wärme und kann sogar in den Boden eindringen.»

Ingmar Nitze, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, Potsdam
Das Studiengebiet auf der Baldwin Halbinsel im Nordwesten Alaskas. (a) Übersichtskarte. (b) Landbedeckungskarte, die die Tundra- und Feuchtgebietsvegetation hervorhebt (hellbraun und hellblau). Bewaldete Gebiete sind grün gekennzeichnet. (c) Digitales Terrainmodell für die Untersuchungsgebiete Kotzebue (100 km²) und nördliche Baldwin Halbinsel (430 km²). Abbildungen: Jones et al. 2020 

In dem etwa hundert Quadratkilometer großen Studiengebiet im Nordwesten Alaskas nahe der Stadt Kotzebue auf der Baldwin Halbinsel ist die Zahl der Dämme von zwei im Jahr 2002 auf 98 in 2019 angestiegen — ein Zuwachs von 5000 Prozent. Die Biberdämme in dem größeren Untersuchungsgebiet mit 430 Quadratkilometern im Norden der Baldwin-Halbinsel sind von 94 im Jahr 2010 auf 174 im Jahr 2013 und 409 im vergangenen Jahr angestiegen. «Wir sehen da ein exponentielles Wachstum», erklärt Nitze. «Ungefähr alle vier Jahre verdoppelt sich die Zahl dieser Strukturen.» In den 17 untersuchten Jahren hat sich die Wasserfläche in der Region Kotzebue um 8,3 Prozent vergrößert und zwei Drittel dieses Zuwachses gehen auf das Konto von Bibern.

Luftaufnahmen der Tundra in Nordwest-Alaska. Die oberen Bilder wurden innerhalb des Untersuchungsgebiets im Jahr 2016 aufgenommen und zeigen die Tundraregion. Die unteren Bilder stammen aus einer ähnlichen Tundra am Hotham Inlet aus den Jahren 2015 (unten links) und 2011 (unten rechts) und zeigen Biberdämme in einem entwässerten Seebeckenauslauf bzw. entlang eines Perlenbachlaufs. Fotos: Jones et al. 2020

Mehrere verschiedene Faktoren erklären, weshalb die Biber in eine Region eingewandert sind, die sie normalerweise nicht ihr Zuhause nennen würden, sagt Nitze. Einer davon ist der Klimawandel, der die typisch baumlose Tundra verändert. 

«Wir sehen eine Zunahme der Vegetation. Es kommen mehr Sträucher hinzu, so dass alles, was die Biber zum Bau ihrer Dämme oder als Nahrung brauchen, vorhanden ist»“ sagte er. Darüber hinaus bieten die Seen, die früher fest gefroren waren, jetzt bessere Bedingungen für Biber, da sie im Winter eine dünnere saisonale Eisdecke haben.

Da die Tundra nicht der übliche Lebensraum der Biber ist, müssen sie auch keine Raubtiere oder Konkurrenz um Ressourcen fürchten. Zudem sind die Tiere jetzt durch das US-Bundesgesetz besser geschützt und werden weit weniger von Menschen gejagt als früher.

Mit dem Klimawandel hat sich die ursprünglich baumlose Tundra bereits so verändert, dass Biber ausreichend Nahrung und Baumaterial finden. Foto: Ken Tape, Geophysical Institute, University of Alaska Fairbanks

Die Autoren gehen davon aus, dass die Biber in Kanada und in Sibirien in ähnlicher Weise am Werke sind. «In Kanada zum Beispiel sind die Zuwächse wahrscheinlich noch größer», sagt Nitze. Jeder zusätzliche See taut den Permafrost an seinen Ufern und an seinem Grund an. Der gefrorene Boden kann sich zwar theoretisch auch wieder erholen, wenn die Biberdämme brechen. Aber ob es dann noch kalt genug dafür sein wird, weiß niemand.

Laut Nitze gibt es viele Leute, die versuchen, die Methan- und CO2-Emissionen von Seen in der Arktis zu quantifizieren, aber noch nicht speziell von Biberseen. «Das ist ein sehr neues Thema und etwas, das wir in den letzten Jahren aufgedeckt haben. Biber können einen ganz erheblichen Einfluss auf diese Landschaften haben, daher gibt es noch keine wirkliche Quantifizierung für diese Seen, aber das wird in Zukunft geschehen.»

Julia Hager, PolarJournal

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