Auch in den arktischen Regionen ist seit Monaten die Diskussion um Rassismus und Ungleichbehandlung der indigenen Bevölkerungen im Gange. Daraus ist auch eine Debatte um die geschichtliche Aufarbeitung der Kolonialisierungen der Regionen entbrannt. Auch in Grönland, wo vor kurzem in der Hauptstadt Nuuk die Statue eines dänischen Missionars kurz vor dem Nationalfeiertag einem Farbangriff ausgesetzt worden war. Die Bürgermeisterin von Nuuk, Charlotte Ludvigsen, hat nun eine Debatte über die Umsiedlung der Statue in Gang gesetzt und will dazu auch praktisch die gesamte Bevölkerung der Hauptstadt befragen.
Die sozialdemokratische Politikerin, die der Partei Inuit Ataqatigiit angehört, hatte die Diskussion vor einiger Zeit eröffnet und ein Konsultationsverfahren zur Anhörung der Bevölkerung in Gang gesetzt. Dazu hat die Verwaltung einen Fahrplan ausgegeben, wie die Bürger von Nuuk ihre Meinung über eine mögliche Umsiedlung der Statue einbringen können. Entweder via Online-Abstimmung oder per Brief kann die Bevölkerung mitreden. Besonders wichtig ist für die Kommunalverwaltung, dass auch Alte und Kinder in den Prozess eingebunden werden sollen. Denn diese seien ja auch Teile des sozialen Lebens. Gerade für die Kinder sei es wichtig, «im Hinblick auf die Kinderrechte als Bürger am Prozess teilzunehmen», wie die Verwaltung auf ihrer Homepage schreibt. Charlotte Ludvisgen, die auch der Kommunalverwaltung «Kommuneqarfik Sermersooq» vorsteht, möchte eine möglichst breit abgestützte Entscheidung.
«Die Debatte ist jetzt am Laufen und wir möchten hören, was die Öffentlichkeit über die Statue denkt, so lange das Thema noch heiss ist.»
Charlotte Ludvigsen, Bürgermeisterin in Nuuk
Doch das Vorgehen der Politikerin trifft nicht überall auf Zustimmung, besonders was den Zeitplan anbelangt. So hat beispielsweise die Siumut Nuuk, der lokale Ableger der Siumut-Partei für eine Verlängerung der Konsultationsperiode plädiert, um mehr Bürgern, vor allem den Alten, Zeit zu geben, sich mit der Abstimmung zu befassen und zu registrieren. Gegenwärtig beläuft sich die Zeitspanne auf drei Wochen und daran wird auch festgehalten gemäss Charlotte Ludvigsen. Ihres Erachtens würde eine Verlängerung auf drei Monate die Diskussion absterben lassen. «Die Debatte ist jetzt am Laufen und wir möchten hören, was die Öffentlichkeit über die Statue denkt, so lange das Thema noch heiss ist», erklärte sie der Zeitung Sermitsiaq gegenüber. Dieses Vorgehen hat ihr die Kritik eingebracht, sie wolle das Thema zu ihrem eigenen Vorteil nutzen.
«Wenn eine grosse Mehrheit die Statue an einem anderen Ort haben will, werden wir das miteinbeziehen.»
Charlotte Ludvigsen, Bürgermeisterin in Nuuk
Doch Ludvigsen winkt ab und meint in einem Interview mit der Zeitung: «Wir beginnen mit der Befragung, so dass wir die Meinung der Bürger über den Standort der Statue erhalten. Wenn eine grosse Mehrheit die Statue an einem anderen Ort haben will, werden wir das miteinbeziehen.» Auf die Frage, was eine grosse Mehrheit sei, gab sie etwa 75 Prozent an. Gegenwärtig (Stand: 09. Juli) sind aber 493 Bürger für einen Verbleib, nur 318 für eine Umsiedlung. Nuuk’s Bevölkerung umfasst zurzeit 17,984 Einwohner, die Kommune Sermersooq, die auch ostgrönländische Gemeinden einschliesst, rund 22,800.
Um eine möglichst transparente Debatte zu schaffen, hat die Verwaltung einen 4-Punkte-Plan verfasst, bei dem die Bürger jeweils 3 Wochen Zeit haben, um abzustimmen und später Vorschläge für die Hügelgestaltung und ggf. den neuen Standort der Statue. Danach werden die Antworten ausgewertet, von den Politikern miteinbezogen und Anfang September soll die endgültige Entscheidung veröffentlich werden. Neben den Informationen auf der Webseite der Kommunalverwaltung soll am 21. Juli auch ein Dialogtreffen stattfinden, an dem die Leute ihre Meinungen diskutieren können, während für die Jugendlichen und Kinder im August ein Workshop zum Thema «Identität, unsere Kultur, Geschichte und Zukunft» gehalten werden soll. Damit möchte die Verwaltung eine Stärkung der grönländischen Identität erreichen. Denn viele Gebiete wurden zuerst durch christliche Missionare besucht, die in den Augen von Experten die Türöffner waren für den kulturellen Niedergang und Identitätsverlust der indigenen Bevölkerung Grönlands. Und Hans Egede, der zeitlebens versucht hat, diese Identität zu untersuchen und niederzuschreiben, war eben der erste Missionar im Auftrag des dänischen Königs im Jahr 1721. Heutzutage sind neben den Statuen und Büsten Egedes auch Plätze, Hotels, geografische Punkte und sogar Schiffe mit seinem Namen versehen. Ob die gegenwärtige Diskussion rein bei Statuen bleiben wird, wird sich noch zeigen, nicht nur in Grönland.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal