Arktisches Phytoplankton vermehrt sich explosionsartig | Polarjournal
Eine Phytoplanktonblüte färbte das Wasser der Barentssee im Juli 2016 milchig-blau. Foto: Jeff Schmaltz und Joshua Stevens, LANCE/EOSDIS Rapid Response, NASA

Im Arktischen Ozean sind offenbar große Veränderungen im Gange — in den vergangenen 20 Jahren nahm die Produktivität des Phytoplanktons um enorme 57 Prozent zu, wie Wissenschaftler der Stanford University herausfanden. Und eine höhere Phytoplankton-Konzentration im Arktischen Ozean bedeutet unter anderem, dass größere Mengen Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufgenommen werden können. Eine gute Nachricht für das Klima?

Die kleinen einzelligen Algen an der Basis des Nahrungsnetzes haben sich laut der neuen Studie in ausgedehnten «Planktonblüten» regelrecht explosionsartig vermehrt. Während in der Vergangenheit der Meereisverlust die größte Triebkraft für Veränderungen in der Kohlendioxidaufnahme durch Phytoplankton war, ist es nun das pflanzliche Plankton selbst, das die CO2-Aufnahme beeinflusst.
Kevin Arrigo, Co-Autor und Professor an der School of Earth, Energy & Environmental Sciences der Stanford University, bezeichnet die Beobachtungen als «signifikante Regime-Verschiebung» für die Arktis, die sich viel schneller erwärmt als irgendeine andere Region der Erde.  

Die Forscher analysierten vor allem die Entwicklung der Netto-Primärproduktion (NPP), die anzeigt, wie schnell die Algen anorganisches Kohlendioxid in organische Energie, also Zucker, umwandeln können. «Die Raten sind wirklich wichtig, bezogen darauf, wie viel Nahrung es für den Rest des Ökosystems gibt», erklärt Arrigo. «Es ist auch deshalb wichtig, weil dies einer der Hauptwege ist, auf dem CO2 aus der Atmosphäre in den Ozean transportiert wird.»

Je mehr Licht und Nährstoffe das Phytoplankton – winzige einzellige Algen – bekommt, umso mehr Kohlendioxid wird der Atmosphäre entzogen. Foto: Julia Hager

Eine dicker werdende Suppe
Der Anstieg der NPP in der Arktis um 57 Prozent zwischen 1998 und 2018 hat Arrigo und seine Kollegen überrascht. In keinem anderen Ozeanbecken wurde solch ein Sprung in der Produktivität je beobachtet. Anfangs profitierte das Phytoplankton vom Rückgang des Meereises und den somit größeren offenen Wasserflächen und längeren Wachstumsperioden. Doch die Produktion nahm auch dann noch zu, als um das Jahr 2009 weniger Eis schmolz. Jetzt wachsen die Algen konzentrierter und bilden eine Art dickflüssige Algensuppe.

Kate Lewis, Hauptautorin der Studie, die als Doktorandin im Department of Earth System Science arbeitet, sagt: «In einem bestimmten Wasservolumen konnte jedes Jahr mehr Phytoplankton wachsen. Dies ist das erste Mal, dass so etwas in der Arktis beobachtet wurde.»

Neue Nährstoffquellen
Ohne Licht und Nährstoffe kann Phytoplankton nicht wachsen. Deren Verfügbarkeit in der Wassersäule hängt jedoch von zahlreichen Faktoren ab. Das Forscherteam aus Stanford stellte daher eine umfangreiche neue Sammlung von Messungen der Farbe des Arktischen Ozeans zusammen und entwickelte neue Algorithmen, um daraus die Phytoplanktonkonzentration  abzuschätzen. Demnach ist die Zunahme der Produktion möglicherweise nicht so stark durch die Nährstoffverfügbarkeit begrenzt wie ursprünglich vermutet. «Es ist noch früh, aber es sieht so aus, als gäbe es jetzt eine Verschiebung hin zu einem größeren Nährstoffangebot», so Arrigo.
Dies liegt vermutlich in einem neuen Zustrom von Nährstoffen aus anderen Ozeanen begründet. Die Forscher hielten es zuerst für möglich, dass die Produktion durch die Wiederverwertung der selben Nährstoffe gesteigert wurde. Doch die Studie zeigte etwas anderes: «Das Phytoplankton nimmt Jahr für Jahr mehr Kohlenstoff auf, da neue Nährstoffe in diesen Ozean gelangen. Das war unerwartet und es hat große ökologische Auswirkungen», erklärt Arrigo.

Links: Die Nährstoffzuflüsse (grüne Pfeile) und -abflüsse (lila Pfeile) im Arktischen Ozean. Rechts: Rate der Veränderung der Chlorophyllkonzentration im Arktischen Ozean zwischen 1998 und 2018 in Milligramm pro Kubikmeter und Jahr. Grafiken: Kate Lewis, Datenquelle: NASA

Neue Algorithmen «dekodieren» die Arktis
Generell kann die Chlorophyll-Konzentration relativ einfach mit Hilfe von Satellitensensoren oder direkt an Bord von Forschungsschiffen gemessen werden. In der Arktis liefern Satelliten jedoch häufig falsche Ergebnisse wegen des Zusammenspiels von Licht, Farbe und Leben in der Arktis, weshalb die neuen Algorithmen nötig wurden.

«Wenn man globale Satelliten-Fernerkundungsalgorithmen im Arktischen Ozean verwendet, führt dies zu schwerwiegenden Fehlern in den Schätzungen.»

Kate Lewis

Eine der größten Schwierigkeiten stellt teefarbenes Flusswasser dar, dass gelöstes organisches Material transportiert, das Satelliten jedoch fälschlicherweise als Chlorophyll erkennen.
Lewis erstellte in mühevoller Kleinarbeit Datensätze von Ozeanfarben- und NPP-Messungen und verwendete dann die zusammengestellte Datenbank, um Algorithmen zu entwickeln, die auf die einzigartigen Bedingungen der Arktis abgestimmt sind. Sowohl die Datenbank als auch die Algorithmen stehen nun zur öffentlichen Nutzung zur Verfügung.

Mit dieser Studie tragen die Wissenschaftler zu einem besseren Verständnis bei, wie der Klimawandel die zukünftige Produktivität des Arktischen Ozeans, Nahrungsmittelversorgung und die Kapazität zur Aufnahme von Kohlenstoff beeinflussen wird. «Es wird Gewinner und Verlierer geben», sagt Arrigo. «Eine produktivere Arktis bedeutet mehr Nahrung für viele Tiere. Aber viele Tiere, die sich an das Leben in der polaren Umgebung angepasst haben, finden das Leben schwieriger, wenn sich das Eis zurückzieht.»
Hinzu kommt, dass durch das verstärkte Wachstum des Phytoplanktons die Synchronisation mit dem restlichen Nahrungsnetz verloren gehen kann, da das Eis früher im Jahr schmilzt. Als abschwächender Faktor im globalen Klimawandel kann das verstärkte Algenwachstum  auch nicht gesehen werden, da die Arktis viel zu klein ist, um einen großen Teil der weltweiten Treibhausgasemissionen zu absorbieren. «Die Arktis nimmt viel mehr Kohlenstoff auf als früher, aber können wir uns nicht darauf verlassen, dass sie uns aus unserem Klimaproblem heraushilft», so Arrigo.

Julia Hager, PolarJournal

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