Svalbard ist Eisbärenland. Rund um den Archipel und dem angrenzenden Franz-Josef-Land-Archipel sollen rund 3’000 Tiere zuhause sein. Auf der Suche nach Nahrung wandern die mächtigen Räuber praktisch über die ganze Inselwelt, was sie auch in die Nähe der Siedlungen auf der Hauptinsel Spitzbergen bringt. Zum Schutz der Bären und der Menschen dort werden die Bären aber vertrieben, was normalerweise keine grosse Sache ist. Doch nun haben zwei Stationen an der Westküste mehrere Tage lang jeweils einen Bären in ihrer Mitte gehabt, der sich trotz intensiver Methoden nicht abschrecken liess. Eine nicht sehr häufige Situation.
Vergangene Woche waren entlang der Westküste von Svalbard an mehreren Orten Stationen das Ziel von Eisbärenbesuchen geworden. Einerseits vermeldete die holländische Arktisstation, die in Ny Ålesund liegt, dass ein Eisbär am 22. Juli das Feldlager auf Prinz Heinrichøya untersucht und dabei eine der Forschungskameras beschädigt hatte. Gleichzeitig kam von der Station Isfjord Radio, dass sie mehrere Tage lang immer wieder Besuche eines Eisbären erhielten. Die Station, die rund 50 Kilometer Luftlinie westlich von Longyearbyen am Eingang zum Isfjorden liegt, beherbergte zu diesem Zeitpunkt nicht nur Stationspersonal, sondern auch einige Touristen. Nach vier Tagen wurde das Tier dann zum letzten Mal gesehen. Doch nur zwei Tage später meldete die Trapperstation Farmhamna, rund 35 Kilometer weiter nördlich von Isfjord Radio, dass ein Eisbär um die Station schlich, der sich von den Vertreibungsversuchen nicht beeindrucken liess. Immer wieder kam das Raubtier zurück und untersuchte eingehend die Station.
«Wir glauben auch, dass das der gleiche Bär ist – der Modus Operandi spricht schon sehr dafür.»
Besitzer von Farmhamna
Beide Stationen baten die Sysselmannen in Longyearbyen um Hilfe, um den Bären zu vertreiben. Die Verwaltung sendete in beiden Fällen, wie üblich, den Hubschrauber, um das Tier zurück in die Wildnis zu treiben. Doch auch diese Massnahmen blieben ohne den gewünschten Erfolg, der Eisbär tauchte nach ein paar Stunden wieder auf. Man kann davon ausgehen, dass der Eisbär bei Prinz Heinrichøya ein anderes Tier gewesen war als bei Kap Linné, da die beiden Orte mehr als 100 Kilometer Luftlinie auseinanderliegen. Doch die Art und Weise, wie sich das Tier in den beiden Fällen am Eingang zum Isfjorden verhielt, impliziert, dass es sich um denselben Eisbären gehandelt haben könnte. Dieser Meinung sind auch die Besitzer von Farmhamna, die schon seit vielen Jahren auf Svalbard leben. «Wir glauben auch, dass das der gleiche Bär ist – der Modus Operandi spricht schon sehr dafür.»
Besuche von Eisbären in menschlichen Siedlungen auf Svalbard sind keine Seltenheit. Zwischen den beiden Fraktionen herrscht auch mehr Nebeneinander in den meisten Fällen. Normalerweise lassen sich die Tiere durch Knallpetarden relativ rasch aus den Siedlungen vertreiben. Mehrfache Besuche am gleichen Tag sind schon seltener, mehrfach an mehreren Tagen hintereinander eine Ausnahme. Dieses Jahr verzeichnete Svalbard schon mehrere solcher Fälle, an denen ein Eisbär immer wieder sich den Siedlungen näherte. Mehrere Meldungen wurden rund um Longyearbyen vermeldet: Ende des vergangenen Jahres wurde ein Tier von den Behörden in Longyearbyen erschossen, ein anderes Tier starb einige Monate später, nachdem man es eingefangen hatte und in den Osten bringen wollte. Beide Fälle wurden von den Behörden im Nachhinein weiter untersucht, stiessen aber auch auf sehr viel Kritik von aussen.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal