Stürmische Woche für Polarreisen-Industrie | Polarjournal
Der Vergleich zwischen dem geplanten Relaunch der Expeditionsreisen und einem Sonnenaufgang in der Arktis ist nicht abwegig: Nach einer langen Phase der Dunkelheit zeigte sich ein Silberstreif am Horizont des Tourismus. Doch wie in der Arktis häufig, zerschlug ein plötzlich auftauchendes Schlechtwettersystem den sanften Lichtschein. Bild: Michael Wenger

Nachdem in vielen europäischen Länder die COVID-Massnahmen wieder gelockert wurden, schien auch bei den Polarreisen wieder ein sanftes Licht aufzugehen, ähnlich wie am Himmel nach der Polarnacht. Die ersten Firmen machten sich auf, wieder Expeditionsfahrten auf ihren Schiffen anzubieten, nachdem sie ein umfangreiches Sicherheitskonzept bei den Behörden vorgelegt hatten. Die ersten Fahrten verliefen auch vielversprechend. Doch seit Ende letzter Woche hat sich der ursprüngliche Traum eines Re-Starts von Expeditionsreisen in einen globalen Albtraum verwandelt. Diese Woche wurden auf mehreren Schiffen trotz der Sicherheitsmassnahmen COVID-19-Ausbrüche registriert, sowohl bei den Mannschaften wie auch bei Gästen.

Den heftigsten und wahrscheinlich am weitreichendsten Ausbruch verzeichnete die «Roald Amundsen», eines der beiden neuesten Expeditionsschiffen von Hurtigruten. Da dieser Fall der grösste und komplexeste in dieser Woche war, hier nochmals eine Zusammenfassung der Ereignisse:

Erste COVID-Infektionen

Nachdem am Ende einer Expeditionsfahrt nach Svalbard das Schiff wieder in Tromsø angekommen war, wurden vier erkrankte Mitglieder der Crew positiv auf COVID-19 getestet. Daraufhin ordnete die Firma an, die gesamte Mannschaft zu testen. Jedoch waren 177 Gäste, die auf der Reise waren, im Vorfeld bereits von Bord gelassen worden. Was nun folgte, musste sich wie ein übler Albtraum für die Firmenleitung angefühlt haben: Mit jeder Stunde erhöhte sich die Zahl der positiv getesteten Crew-Mitglieder (die meisten davon Staatsangehörige von den Philippinen, welches auf der roten Liste Norwegens steht), das Schiff wurde unter Quarantäne gestellt und die Gäste, die bereits auf dem Heimweg waren, teilweise noch in Tromsø waren, mussten informiert und in Selbstisolation geschickt werden.

… ziehen immer weitere Kreise

Doch das war nur der Anfang einer noch grösseren Misere: Kurz darauf wurde bekannt, dass ein Gast von einer vorherigen Abfahrt bereits Tage vorher positiv auf COVID-19 in seiner Heimatstadt getestet worden war und Hurtigruten aber nicht umgehend die anderen Gäste derselben Abfahrt informiert hatte. Je länger die Affäre dauerte, desto mehr Details kamen ans Licht, die Polizei begann mit Ermittlungen wegen Verstosses gegen das Infektionskontrollgesetz.

«Hurtigruten war eine der treibenden Kräfte für die Regierung, sich für diese Art von Aktivitäten zu öffnen.»

Bent Høie, Gesundheitsminister von Norwegen

Hurtigruten-CEO Daniel Skjeldam, der sich von Anfang an den Medien gestellt hatte und Fehler in der Kommunikation und der Anwendung des Gesetzes zugegeben hatte, wurde von allen Seiten gerügt, besonders von der norwegischen Regierung. Der norwegische Gesundheitsminister Bent Høie erklärte vor den Medien, dass das Vertrauen in Hurtigruten geschwächt sei. «Hurtigruten war eine der treibenden Kräfte für die Regierung, sich für diese Art von Aktivitäten zu öffnen, und hat sehr überzeugend dokumentiert, wie ernst sie dies nehmen sollten. Es ist daher schade, dass wir in diese Situation geraten sind. Es ist traurig, dass wir jetzt hier sind.»

… und enden im Desaster

Was als hoffnungsvoller Neustart der Expeditionsindustrie begann, endete mit 41 kranken Crew-Mitglieder und 21 Gästen der «Roald Amundsen» (Stand 06.08.20), der Isolation von 386 Menschen in 69 norwegischen Gemeinden, einem kompletten Stopp der Hurtigruten-Expeditionsreisen (nicht der Postschiffroute), einem Norwegen-weitem Anlandeverbot für Schiffe mit über 100 Personen während 14 Tagen, polizeilichen Ermittlungen, dem Verdacht von Vertuschung der Vorfälle durch Hurtigruten und mittlerweile weiteren COVID-19-Verdachtsfällen auf zwei weiteren Schiffen der Firma, die sich, zumindest beim gegenwärtigen Stand, als negativ erwiesen haben.

Auch das norwegische 120-Personen-Kreuzfahrtschiffes «Sea Dream 1 musste in Quarantäne, da bei einem Passagier einer vorigen Fahrt COVID-19 festgestellt worden war, nachdem er wieder zuhause war. Gegenwärtig liegt das Schiff vor Bodø in Quarantäne, bis alle Personen an Bord getestet worden sind. Bild: Gordon Leggett – CC BY-SA 4.0

Neben den Ausbrüchen auf Hurtigruten-Schiffen vemeldeten norwegische Medien Mitte der Woche auch einen positiv getesteten Passagier auf der «Sea Dream 1», einem 120-Personen-Kreuzfahrtschiff, das bei den Lofoten unterwegs gewesen war. Der Passagier war auf der Fahrt zuvor an Bord gewesen und wurde bei seiner Rückkehr nach Dänemark positiv auf das Virus getestet. Das Schiff begab sich nach Bodø, wo es in Quarantäne ging und alle 218 Personen an Bord, Crew und Gäste, wurden in den Tagen darauf getestet. Glücklicherweise waren alle Tests negativ. Doch die Situation war sehr unangenehm. Ausserdem zieht das ganze grössere Kreise, da die Fahrt mit dem positiv getesteten Passagier Anfang der Woche in Tromsø seine Fahrt beendet hatte und alle Passagiere von dort aus heimkehrten. Diese müssen nun alle informiert und auch getestet werden, bzw. in Selbstisolation gehen.

Auch auf der pazifischen Seite der USA wollte man mit den Expeditionsreisen wieder starten. Ausgerechnet auf der ersten Fahrt der «Wilderness Adventurer», die mit 37 Passagieren und 30 Crew unterwegs war, wurde ein Passagier positiv auf das Virus getestet. Bild: UnCruise Adventures via Wikimedia Commons

Auch in Alaska hätte diese Woche der Expeditionskreuzfahrtmarkt wieder öffnen sollen. Als erstes Schiff wollte die «Wilderness Adventurer» der Firma UnCruise Adventures wieder mit Passagieren entlang der Küste von Alaska segeln und die Wildnis erleben. Gemäss der Betreiberfirma wurden sehr strenge und seriöse Massnahmen unternommen, um das Virus vom Schiff fernzuhalten. Doch nur ein paar Tage nach der Abfahrt, die mit viel Hoffnung und Facebook-Liveübertragung gefeiert worden war, musste das Schiff mit einem COVID-positiven Gast zurück nach Juneau fahren. Der Gast, mit einem vier Tage alten, negativen COVID-Test nach Alaska eingereist war, wurde routinemässig am Flughafen nochmals getestet. Dieser war positiv. Aber erst am Dienstag wurde das Schiff von den Behörden kontaktiert, worauf sämtliche Passagiere in ihren Kabinen in Quarantäne mussten. Das Schiff liegt nun wieder in Juneau und die Passagiere wurden in ein Hotel in Quarantäne gebracht, die Crew wird auf dem Schiff in Quarantäne bleiben. Alle Personen werden zurzeit getestet.

Die Antarktis-Saison steht zwar erst in zwei Monaten an, doch aufgrund der Vorfälle dieser Woche und dem immer noch im Lockdown befindlichen Argentinien und den geschlossenen Grenzen Australiens und Neuseelands, zweifeln immer mehr Experten an einer rechtzeitigen Eröffnung. Bild: Michael Wenger

Die oben genannten Vorfälle sind nur die Spitze des Eisbergs von COVID-Ausbrüchen auf Schiffen. Auch die grossen Reedereien wie TUI, AIDA oder Costa hatten positive Fälle unter ihren Crew-Mitgliedern seit Anfang der Woche an Bord. Wie die Webseite Cruiselawnews Anfang der Woche vermeldete, wurden bislang 54 Crewmitglieder auf grossen Kreuzfahrtschiffen positiv auf COVID-19 getestet (Stand 2. August). Einige grosse Reedereien haben begonnen, wieder ihre Schiffe in Betrieb zu nehmen, vor allem in Europa. Doch in der Expeditionsreisenindustrie warten viele Reedereien mit ihren Öffnungen noch, denn gegenwärtig sind in vielen Ländern Europas die Fallzahlen wieder am Ansteigen, in den USA waren sie noch gar nicht gesunken. Andererseits beginnt die nächste Saison erst in ein paar Monaten. Doch wie sieht es da überhaupt aus?

Noch trübere Aussichten auf Antarktis-Saison

Für die bevorstehende Antarktis-Saison sind die gegenwärtigen Situationen und Meldungen schon schlechte Voraussetzungen. Dazu kommt noch, dass Argentinien seine Grenzen immer noch geschlossen hat und seinen Lockdown noch mindesten bis Mitte August aufrechterhalten wird. In Australien und Neuseeland bleiben die Grenzen noch bis Ende des Jahres für Touristen aus Übersee geschlossen. Und in Chile ist die Situation gegenwärtig unübersichtlich. Auch die Falklandinseln haben entschieden, dass die gegenwärtige Quarantäneverordnung und die Restriktionen für die Besucherbewilligungenbis mindestens Ende des Jahres bestehen bleiben (mit kontinuierlicher Überwachung der Situation). Das verheisst für die in zwei Monaten startende Antarktis-Saison nichts Gutes. Einige Anbieter haben bereits ihre Saison komplett abgesagt oder zumindest die ersten Fahrten ausfallen lassen und die Passagiere auf nächstes Jahr umgebucht. In wie weit diese Woche einen Imageschaden für die Polarreisen-Industrie angerichtet hat und sie auch für die nächstjährige Arktis-Saison einen Schaden hervorgerufen haben wird, lässt sich kaum vorhersagen. Doch zumindest eines ist sicher: Die Konzepte, die bisher vorgestellt worden sind, und eigentlich als besonnen und gut betrachtet worden waren, halten der Realität des Virus nicht stand. Und gegenwärtig scheint niemand bessere Vorschläge zu haben.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

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