In der Arktis treffen zahllose Interessen aufeinander, teilweise ähnliche, teilweise gegensätzliche. Denn ein Markenzeichen des hohen Nordens ist die Vielfalt aufgrund der verschiedenen Anrainerstaaten. Doch auch andere Nationen haben in der Zwischenzeit ihre Interessen in den hohen Norden ausgeweitet. Um dieser Vielfalt eine Plattform zu geben, wurde 2013 die Arctic Circle Assembly ins Leben gerufen, die mittlerweile grösste Konferenz für arktische Belange. In diesem Jahr muss aber auf diese wichtige und wegweisende Konferenz verzichtet werden. Der Grund ist derselbe wie überall: COVID-19.
Am letzten Montag verkündete Ólafur Ragnar Grímsson, der ehemalige Präsident Islands und Gründer des Arctic Circle, via Twitter, dass die diesjährige Konferenz endgültig abgesagt und auf nächstes Jahr verschoben werden würde. Das Treffen, das jedes Jahr im Oktober stattfindet, werde aufgrund der COVID-19 Pandemie verschoben, schrieb er auf Twitter. An seiner Stelle werden verstärkt die nächsten vier Foren in Berlin, Tokyo, Grönland und in Abu Dhabi durchgeführt. Diese regionalen Foren sind eine Art Satellitenkonferenzen, die für spezifische Themen geschaffen worden sind. So ist beispielsweise das Berlin-Forum der Wissenschaft und Politik gewidmet und wird entsprechend vom deutschen Bildungs- und Forschungsministerium und dem Aussenministerium ausgerichtet. Die Absage der Konferenz wurde vom Arctic Circle-Sekretariat mit dem Wiederausbruch von COVID-19 in Island letzte Woche begründet. Das Land, das sich als erstes Land in Europa im Juni als SARS-CoV2-frei bezeichnet hatte, erlebte letzte Woche einen Anstieg der Zahlen mit 23.7 Fällen pro 100’000 Einwohner.
Die Absage der Konferenz ist nicht überraschend, da bereits zuvor einige wichtige Treffen und Konferenzen aufgrund der Virus-Pandemie abgesagt bzw. verschoben worden sind. Trotzdem ist es für einige der teilnehmenden Fraktionen enttäuschend, da in den vergangenen Wochen und Monaten mehrere wichtige Ereignisse stattgefunden hatten, die sich auf die Zukunft verschiedener Gruppierungen und Nationen auswirken werden. Neben dem Hauptthema des Klimawandels und seiner Auswirkungen auf die arktische Region wären auch die Auswirkungen der COVID-Pandemie und die Diskussion über mögliche panarktische oder zumindest bilaterale Massnahmen zum Schutz der arktischen Bevölkerung wichtig gewesen. Auch das Vorpreschen der USA in Grönland und den Färöern in Sachen Bildung, Sicherheit und Wirtschaft, welches durch die Besuche des US-Aussenministers Mike Pompeo in den beiden Ländern offensichtlich wurde, wäre ein wichtiges Thema gewesen, besonders für Dänemark. Denn das Vorgehen der USA und Grönlands Antwort darauf erwischten das nordische Land eiskalt. Auch für Grönland, welches sich am Treffen im letzten Jahr als eine selbstbewusste und aufstrebende Nation gezeigt hatte, ist die Absage etwas unglücklich. Denn man hätte sicherlich gerne den Eindruck des vergangenen Jahres noch einmal unterstreichen wollen.
Doch für Grönland wird sich schon bald die Gelegenheit bieten, sich wieder auf der internationalen Bühne präsentieren zu dürfen. Obwohl das Land aufgrund der neuen COVID-Situation in den Nachbarländern Island und den Färöern seine Öffnungspolitik wieder heruntergefahren hat und diese Woche Einreiserestriktionen erlassen hat, will es bald sein eigenes Arctic Circle-Forum abhalten. Dort sollen dann für Grönland wichtigen Themen wie Geopolitik, Klimawandel, Ressourcenförderung und Tourismus auf der Agenda stehen. Wann und in welcher Art dieses Forum stattfinden wird, ist jedoch noch nicht bekannt. Vieles hängt einmal mehr von der weiteren Entwicklung in Sachen COVID-19 und damit von einem kleinen Virus ab, das es geschafft hat, die ganzen Grossen in die Knie zu zwingen.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal