Lange dachten Wissenschaftler, dass Pinguine ihren Ursprung in der Antarktis haben und sich von dort aus in Richtung Norden bis in die Tropen ausbreiteten. Einem internationalen Forscherteam gelang es jetzt anhand genetischer Analysen nachzuweisen, dass die Entwicklung der flugunfähigen Vögel in den kühlen Küstenregionen Australiens und Neuseelands vor etwa 22 Millionen Jahren ihren Anfang nahm.
Achtzehn verschiedene Pinguinarten leben heute auf allen Kontinenten auf der Südhalbkugel — vom 30 Zentimeter kleinen Zwergpinguin Eudyptula minor in Neuseeland bis zum 120 Zentimeter großen Kaiserpinguin Aptenodytes forsteri in der Antarktis. Einst erfolgreich in der Eroberung der verschiedenen Lebensräume, sind heute viele Pinguinpopulationen bedroht. So mussten zum Beispiel Brutkolonien von Kaiserpinguinen wegen des zurückweichenden Meereises ihren Standort wechseln und im vergangenen Jahr kam es zum Massensterben von Adéliepinguinküken auf dem antarktischen Kontinent. Die am Äquator lebenden Galápagos-Pinguine leiden unter den immer häufiger auftretenden El Niño-Ereignissen. Und in Neuseeland müssen die Zwerg- und Gelbaugenpinguine mit Zäunen vor verwilderten Katzen geschützt werden, während die Populationen der südafrikanischen Brillenpinguine aufgrund des sich erwärmenden Wassers immer stärker abnehmen.
«Im Moment gehen die Veränderungen des Klimas und der Umwelt für einige Arten zu schnell voran, als dass sie auf den Klimawandel reagieren könnten.»
Juliana Vianna, Professorin für Ökosysteme und Umwelt an der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile in Santiago
«Wir können zeigen, wie die Pinguine in der Lage waren, sich zu diversifizieren, um die unglaublich unterschiedlichen thermischen Umgebungen, in denen sie heute leben, zu besetzen, von 9 Grad Celsius in den Gewässern um Australien und Neuseeland bis hinunter zu negativen Temperaturen in der Antarktis und bis zu 26 Grad auf den Galápagos-Inseln», sagt Rauri Bowie, Professorin für integrative Biologie an der University of California, Berkeley, und Kuratorin am Museum für Wirbeltierzoologie in Berkeley. Diese Anpassungen an die verschiedenen Lebensräume erfolgten allerdings über Millionen von Jahren.
«Im Moment gehen die Veränderungen des Klimas und der Umwelt für einige Arten zu schnell voran, als dass sie auf den Klimawandel reagieren könnten», sagt Juliana Vianna, Professorin für Ökosysteme und Umwelt an der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile in Santiago und Hauptautorin der neuen Studie, die diese Woche in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht wird.
Woher kamen die Pinguine?
Für die neue Studie sammelten Vianna, Bowie und ihre Kollegen an Museen und Universitäten auf der ganzen Welt Blut- und Gewebeproben von 22 Pinguinen, die 18 Arten repräsentierten, und sequenzierten und analysierten dann ihre gesamten Genome, um die Bewegungen und die Diversifizierung der Pinguine über die Jahrtausende hinweg zu erfassen.
Mit den Ergebnissen beantworteten sie lange bestehende Fragen: Wo haben Pinguine ihren Ursprung? Und wann? Die ersten Pinguine gab es demnach vor etwa 22 Millionen Jahren entlang der Küsten Australiens, Neuseelands und auf den nahe gelegenen Inseln des Südpazifiks. Ihre Erkenntnisse aus den genetischen Analysen deuten darauf hin, dass die Vorfahren der Königs- und Kaiserpinguine, die beiden größten heute lebenden Arten, sich früh von den anderen Pinguinen abspalteten und in subantarktische bzw. antarktische Gewässer zogen, vermutlich um die reichhaltigen Nahrungsressourcen zu nutzen.
Dieses Szenario steht im Einklang mit der umstrittenen Hypothese, dass die Kaiser- und Königspinguine – die beiden einzigen Arten der Gattung Aptenodytes – die Schwestergruppe aller anderen Pinguin-Linien sind.
«Es war sehr befriedigend, die Phylogenie auflösen zu können, über die lange Zeit diskutiert wurde», sagt Bowie. In der Debatte ging es um die Platzierung der Kaiser- und Königspinguine: Sind sie innerhalb des Stammbaums anderen Pinguinlinien näher oder sind sie Schwestern aller anderen Pinguine? Die neue Phylogenie bestätigt das letztere, was laut Bowie zur reichen fossilen Geschichte der Pinguine passt.
Die Evolution der anderen Pinguine erhielt einen Schub, als sich vor 12 Millionen Jahren die Drake-Passage vollständig öffnete und die schwimmenden Vögel mit dem antarktischen Zirkumpolarstrom den gesamten Südlichen Ozean eroberten, von dem aus sie sowohl die kalten subantarktischen Inseln als auch wärmere Küstengebiete Südamerikas und Afrikas besiedelten, wo kalte, nährstoffreiche Meeresströmungen vorherrschen.
Verbreitung der heute lebenden Pinguinarten:
Antarktis: Zügel-, Adélie-, Esels-, Goldschopf- und Kaiserpinguin
Neuseeland: Gelbaugen-, Zwerg-, Fjordland- und Snares-Pinguin
Australien: Zwergpinguin
Macquarie Inseln: Hauben-, Östlicher Felsen-, Esels- und Königspinguin
Antipodes und Bounty Inseln: Östlicher Felsen- und Kronenpinguin
Campbell und Auckland Inseln: Kronen-, Östlicher Felsen- und Gelbaugenpinguin
Kerguelen, Crozet, Prince Edward Inseln: Goldschopf-, Östlicher Felsen-, Esels- und Königspinguin
Süd-Sandwichinseln: Zügel- und Eselspinguin
Südgeorgien: Goldschopf-, Esels-, Zügel- und Königspinguin
Süd-Orkney Inseln: Zügel-, Adélie- und Eselspinguin
Falkland Inseln: Südlicher Felsen-, Magellan-, Esels-, Goldschopf- und Königspinguin
Tristan da Cunha: Nördlicher Felsenpinguin
Südliches Chile und Argentinien: Magellan-, Südlicher Felsen- und Goldschopfpinguin
Nord-Chile und Peru: Humboldtpinguin
Galápagos Inseln: Galápagos-Pinguin
Dank kürzlich entwickelter leistungsfähiger Analysetechniken konnten die Forscher feststellen, dass sich mehrere Gruppen von Pinguinen im Laufe ihrer Evolutionsgeschichte miteinander gekreuzt haben. Durch den Austausch von genetischem Material haben Pinguine möglicherweise genetische Merkmale geteilt, die ihre Diversifizierung über die starken Temperatur- und Salzgehaltsgradienten, die in den südlichen Ozeanen anzutreffen sind, erleichtert haben. Am stärksten hybridisiert sind die Felsenpinguine und ihre nahen Verwandten, die im Laufe von Millionen von Jahren mindestens vier Übertragungen genetischer Informationen erlebt haben.
Darüberhinaus ermittelte das Team auch genetische Anpassungen, die es den Pinguinen ermöglichten, in neuen und herausfordernden Umgebungen zu gedeihen. Sie stellten Veränderungen in den Genen fest, die für die Regulierung der Körpertemperatur verantwortlich sind und es ihnen ermöglichten, sich an antarktische Temperaturen unter dem Gefrierpunkt sowie an tropische Temperaturen in Äquatornähe anzupassen. Weitere Anpassungen erfolgten beim Sauerstoffverbrauch, der tiefere Tauchgänge ermöglichte und bei der Osmoregulation, so dass sie im Meerwasser überleben konnten, ohne Süßwasser finden zu müssen.
Die Wissenschaftler fanden auch heraus, dass die Populationen der meisten Pinguinarten zur letzten Eiszeit vor 40.000 bis 70.000 Jahren am größten war.
DNA von den am meisten isolierten Vögeln der Erde
Für diese Studie hat Hauptautorin Juliana Vianna Blutproben von Pinguinen in Chile und der Antarktis selbst genommen und weitere Proben von entfernt lebenden Arten von Kollegen aus Frankreich, Norwegen, Brasilien, Australien, den Vereinigten Staaten und Südafrika zusammengetragen. Nur bei den Gelbaugen-, Hauben- und Fjordlandpinguinen musste sie auf Material konservierter Tiere zurückgreifen.
Für jede der Pinguinarten haben die Forscher im Rahmen der Studie ein Referenzgenom angelegt, das ihnen die Datierung und die Klärung der Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den Arten ermöglichte. So konnten sie eine im letzten Jahr veröffentlichte Arbeit widerlegen, die nahelegte, dass die eng verwandten Königs- und Kaiserpinguine eine Schwestergruppe der Esels- und Adélie-Pinguine seien.
Vianna und Bowie verfügen nun über Genomsequenzen von 300 einzelnen Pinguinen und tauchen tiefer in die genetischen Variationen innerhalb und zwischen den verschiedenen Pinguinpopulationen ein. Vor kurzem entdeckten sie eine neue Pinguinlinie, die auf ihre wissenschaftliche Beschreibung wartet.
«Pinguine sind sicherlich sehr charismatisch», sagte Vianna. «Aber ich hoffe, dass diese Studien auch zu einem besseren Schutz führen.»
Julia Hager, PolarJournal