Es dauerte Hunderte von Jahren, bis die Menschheit fähig war, das Antlitz unseres Planeten als exakte Landkarte wiederzugeben. Und auch dann verstrich viel Zeit, bis endlich jemand genau hinschaute und bemerkte, dass die Ostküste Südamerikas wie ein Puzzleteil an die Westküste Afrikas passte. Es war der Deutsche Alfred Wegener, 1880 als Pfarrerssohn geboren, Wetter- und Weltallforscher, Physiker und Familienvater und einer, der die Welt in den ganz grossen Zusammenhängen zu verstehen versuchte.
Wenn also, so dachte Wegener, Südamerika und Afrika zusammenpassen, dann kann es ja sein, dass sämtliche Kontinente einst eine einzige Landmasse bildeten. Wegener nannte diesen Urkontinent Pangäa. Doch, o weh, seine Wissenschaftlerkollegen lachten ihn bloss aus, nannten seine Idee den «Traum eines Poeten» und ihn selber einen «von der Polschubseuche schwer Befallenen». Wegener solle sich doch lieber wieder dem zuwenden, was er kann: Der Meteorologie.
Als erster Forscher beschrieb Wegener nämlich Turbulenzen in der Erdatmosphäre, veröffentlichte Arbeiten über die Entstehung von Zirruswolken und teilte als erster Forscher die Atmosphäre in verschiedene Schichten auf – was ihn zur wissenschaftlichen Erklärung über die Entstehung von Fata Morganas führte. Bloss, dass seine Idee eines Urkontinents keine Fata Morgana war, das konnte er nie hinreichend beweisen. Immerhin: Wegener reiste durch die Kontinente und fand überall dieselben Gesteinsarten.
Sein liebstes Forschungsgebiet aber war Grönland. Hierhin war Wegener 1906 zum ersten Mal gereist als Teilnehmer einer 28-köpfigen Expedition, die den Auftrag hatte, die Ostküste Grönlands zu erkunden und Daten über das Wetter zu sammeln. Zwei Jahre dauerte diese Expedition, und was er (unter vielem anderem) herausfand, stützte seine Urkontinent-Theorie: Man fand Fossilien von Bäumen, die heute am Mittelmeer wachsen.
Auf seiner zweiten Grönlandreise durchquerte er mit seinen Kameraden zum ersten Mal überhaupt die grösste Insel der Welt von Küste zu Küste auf dem ewigen Eis. Eine dritte Expedition 1929 diente zur Vorbereitung der vierten Reise, die ein Jahr später losging.
Wegener war sich der Gefahren des ewigen Eises durchaus bewusst: Auf seinem ersten Grönlandtrip starben der Expeditionsleiter und zwei seiner Kollegen. Die zweite Reise geriet zum Fiasko, die Menschen hatten bereits alle Ponys und Hunde notgeschlachtet und wurden erst im allerletzten Moment von einem Missionar vor dem Erfrieren gerettet. Dass Wegener als Reserveoffizier während des Ersten Weltkrieges zweimal an der Front verletzt wurde, war dagegen eine Bagatelle. Immerhin: Die dritte Expedition verlief ohne Zwischenfälle.
Aber seine vierte war dann definitiv seine letzte: Auf dem Rückweg von einer Station zur anderen starb Alfred Lothar Wegener, vermutlich am 16.November 1930 und ebenso vermutlich an einem Herzversagen infolge Überanstrengung, definitiv nur ein paar Tage nach seinem fünfzigsten Geburtstag. Ein Jahr später fand man sein sauber hergerichtetes Grab. Von seinem damaligen grönländischen Begleiter Rasmus Villumsen, der ihn wohl begraben hat, fehlt bis heute jede Spur. Und mit ihm bleibt leider auch Wegeners Tagebuch verschollen.
So ist es halt: Helden sterben einsam. Vor allem in Grönland. Zum Trost: Ein Superheld wurde Wegener Jahrzehnte später: Seit den 70er-Jahren gilt seine Urkontinent-Theorie als wissenschaftlich anerkannt. Und damit auch Wegeners Ansicht, dass die Bergmassive am Meeresboden eine Folge der Kontinentalverschiebung sind. Sogar seine Theorie, dass die Mondkrater eine Folge von Meteoreinschlägen sind, gilt heute als Selbstverständlichkeit. Nach ihm ist heute das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven benannt, weltweit eines der wichtigsten Zentren für Polar- und Meeresforschung. Und, ach ja: Für die Teilnehmer an seinen letzten Grönlandexpeditionen entwarf Wegener Spezialkleidung nach dem Vorbild des grönländischen Anoraks. Das Modell wurde später im Wesentlichen von der europäischen Wintersportmode übernommen.
Autorin: Greta Paulsdottir