Sind arktische „Zombie“-Feuer neues Normal? | Polarjournal
Die Brände in den meist abgelegenen Gebieten Sibiriens verkohlten eine Fläche grösser als Belgien. Nur dank Satellitenbilder konnten die Behörden erkennen, welche Gebiete brannten, da viele Regionen mitten im Nirgendwo liegen. Bild: NASA Earth Observatory

Letztes Jahr brannte die Arktis sprichwörtlich. Ausgetrocknet durch wenig Niederschläge und hohe Temperaturen, reichten schon Blitzeinschläge oder ein unbeachtetes Campfeuer, um riesige Taiga- und Tundraflächen in Brand zu setzen und in Schutt und Asche zu verwandeln. Fast den ganzen Sommer über standen überall in der Arktis Millionen von Quadratkilometer in Flammen. Dann verschwanden die Feuer, nur um im diesjährigen Frühjahr wieder aufzulodern. Wissenschaftler und die NASA entdeckten, dass die Feuer letztes Jahr nicht ausgegangen waren, sondern im trockenen Tundraboden «weitergelebt» hatten.

Die Medien, die dankbar für anderweitige Neuigkeiten waren, als die üblichen Corona-News, nannten die wieder aufflackernden Brände dramatisch «Zombie»-Feuer. Denn in den ausgetrockneten Böden der Tundra, die häufig aus Torf bestehen, konnten die letztjährigen Feuer weiter schwelen und beim erstbesten Moment sich wieder erheben. Dies bestätigten auch Experten wie Dr. Mark Parrington, Wissenschaftler beim Copernicus Atmosphärenüberwachungsservice (CAMS) der EU. «Wir wissen von Klimadaten, dass die Regionen um den Polarkreis, die 2019 am stärksten von Feuern betroffen waren, viel wärmere und trockenere Bedingungen hatten und so die idealen Umgebungen für Feuer, die weiterbestehen, bildeten», erklärte er in einer Pressemitteilung im Mai.

Die Karte zeigt die globalen Temperaturdifferenzen zwischen Januar und Juni 2020 zum Durchschnitt von 1951 – 1980. Dabei zeigt sich, dass Russland die massivsten Anomalien zu verzeichnen hatte. Grafik: Berkeley Earth

Die Auswirkungen der Brände waren enorm gemäss den Angaben von Wissenschaftlern. Besonders die Mengen an Kohlendioxid, die zusätzlich in die Atmosphäre gelangten und die Mengen an «Black Carbon», also an Russ, die mit Winden verdriftet worden sind, wurden im Megatonnenbereich berechnet. Alleine für die Zeit zwischen Januar und August 2020 schätzt man einen zusätzlichen Eintrag von 244 Megatonnen CO2 in der Atmosphäre. Diese zusätzlichen Mengen, die schon letztes Jahr neue Rekorde aufgestellt hatten, aber um ein Drittel unter dem 2020-Wert lagen, beschleunigen die Erwärmung weiter. Und die Russmengen, die von den Winden auf die Schnee- und Eisflächen der Arktis getragen werden, können als Wärmespeicher ihren Untergrund schneller abschmelzen lassen.

Russablagerungen von den Bränden können auf Gletschern und auf dem Packeis des Arktischen Ozeans die Sonnenwärme länger speichern und so den Untergrund schneller abschmelzen lassen (Archivbild). Bild: CCAT

Die Frage stellt sich nun, ob diese wiederkehrenden Feuer die neue Realität und das neue Normal sind oder ob es sich dabei um ein Extremereignis handelt, angefacht durch die tatsächlich steigenden Temperaturen in der Arktis. Die Wissenschaftler des CAMS meinen, dass der Klimawandel nicht direkt der Grund für die Brände gewesen ist, wie die BBC berichtet.

«Diese Waldbrände werfen ein Licht auf die Dominoeffekte von zusammenfallenden, vielfältigen, voneinander abhängigen Naturgefahren innerhalb des Polarkreises, insbesondere extremer Dürre und anhaltender Hitzewellen.»

Masoud Irannezhad et al (2020) Science 369 (6508)

Auch eine Gruppe von Forschern aus China, den USA und Schweden schreiben in einen Artikel in der Fachzeitschrift Science, dass mehr Daten erhoben werden müssen, um die Gründe und die Auswirkungen für die Feuer genauer zu bestimmen. Denn gegenwärtig seien nur zwei Jahre an Daten verfügbar. «Uns fehlen genügend Daten über die Standorte und die Grösse der Brandflächen, die Mengen an (freigesetzten) Treibhausgasen (CO2 und CH4 Methan), die Routen der Rauchschwaden und Orte der feuer-bedingte Russablagerungen», schreiben die Autoren. Trotzdem warnen auch sie, dass die wachsende Regelmässigkeit solcher Brände in der Arktis gegeben sei aufgrund der klimatischen Veränderungen, denen die Regionen jenseits des Polarkreises ausgesetzt sind. «Diese Waldbrände werfen ein Licht auf die Dominoeffekte von zusammenfallenden, vielfältigen, voneinander abhängigen Naturgefahren innerhalb des Polarkreises, insbesondere extremer Dürre und anhaltender Hitzewellen.» Diese «Zombies» sind also nicht die wankenden Fantasiegebilde aus Film und Fernsehen, sondern eine reale Gefahr, die globale Folgen für Mensch und Natur haben und tatsächlich häufiger wiederkehren könnten.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zum Artikel: Irannezhad et al (2020) Science 369 (6508) The dangers of Arctic zombie wildfires, DOI: 10.1126/science.abe1739

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