Auf den russischen Inseln entlang der Nordostpassage sind in den vergangenen Jahren immer wieder spektakuläre Funde von Tieren aus der Vergangenheit gemacht worden. Durch den Klimawandel aufgetaut, gibt der Permafrostboden vermehrt seine archäologischen Schätze frei. Dazu gehörten gut erhaltene Mammuts, Wölfe, Höhlenlöwen und Fohlen. Nun hat ein russisches Forschungsteam auf der Grossen Ljachow-Insel, die zu den neusibirischen Inseln zählt, einen sensationellen Fund gemacht: die fast perfekt erhaltenen Überreste eines erwachsenen Höhlenbären.
«Dieser Fund ist einzigartig auf der Welt: Ein ganzer Bär mit seinen Weichteilen»
Dr. Lena Grigorieva, Northeastern Federal University
Der Bär wurde von Rentierhirten auf der Insel entdeckt, die danach die Behörden informiert hatten. Ein Forschungsteam der Northeast Federal University (NEFU) unter der Leitung der Expertin Dr. Lena Grigorieva unternahmen darauf die Ausgrabungen und entdeckten, dass es sich bei dem Fund um eine wissenschaftliche Sensation handelte. Denn bisher wurden von Höhlenbären nur Knochen und Fellüberreste entdeckt, jedoch keine Gewebeteile. «Dieser Fund ist einzigartig auf der Welt: Ein ganzer Bär mit seinen Weichteilen», erklärt Dr. Grigorieva. «Er ist komplett erhalten mit all seinen Organen an den Stellen und sogar mit seiner Nase. Bisher wurden nur Schädel und Knochen gefunden. Diese Entdeckung ist für die ganze Welt von grösster Bedeutung.»
Auch das Jungtier, das auf dem Festland gefunden wurde, ist ein absoluter Glücksfall für die Wissenschaft. Denn auch hier sind sonst nur Knochenüberreste davon bekannt. Eine erste Analyse der Funde in Bezug auf das Alter ergab, dass die Tiere zwischen 22’000 und 39’500 Jahre alt sind. «Es ist notwendig, eine Radiokarbonanalyse durchzuführen, um das genaue Alter der Bären zu bestimmen», meint Dr. Maxim Cheprasov vom Mammut-Labor in Jakutsk. Die Forscher hoffen, dass sie aus den Geweben auch genetisches Material entnehmen können, um weitere Einblicke in das Leben der Höhlenbären zu erhalten und ihre Verwandtschaft zu den heutigen Bärenarten zu bestätigen. Entsprechend wurden internationale Forschungsteams nun eingeladen, sich an den Untersuchungen zu beteiligen. «Die Forschung ist grossangelegt geplant wie beim berühmten Malolyakhovsky-Mammut», sagt Dr. Grigorieva. Damit meint sie das 2012 gefundene Mammut, bei dem sogar die Muskelgewebe und Körperflüssigkeiten erhalten gewesen waren.
Die Funde der beiden Tiere sind auch aufgrund ihrer Lage faszinierend. Denn die Tiere, die am Ende des mittleren und im ganzen späten Pleistozän lebten (vor ca. 150’000 – 15’000 Jahre), waren in erster Linie Pflanzenfresser und die Funde in den bekannten Regionen liessen daher vermuten, dass sie in den Tundren und Kaltsteppen Eurasiens zuwenig Nahrung gefunden hätten. Neuere Analysen von Zähnen und Schädeln deuteten aber auf eine omnivore, also allesfressende Lebensweise hin. Der Fund dieses Bären könnte darüber weitere Informationen liefern. Genetische Analysen zeigten auch, dass die riesigen Tiere, die bis zu 3.5 Meter lang und eine Tonne Gewicht aufweisen konnten, am nächsten mit Braun- und Eisbären verwandt sind und in drei verschiedenen Arten vorkamen: von Spanien bis zum Alpenraum, östlich der Alpen bis zum Ural und im Kaukasus. Neueste Funde stammen auch aus dem Altai-Gebirge und ein Fund aus Nordsibirien. Die meisten Funde der westlichen Art stammten aus Höhlen in den Schweizer und österreichischen Alpen. Forscher gehen davon aus, dass die Tiere meist in ihrer Winterruhe starben aufgrund von Nahrungsmangel. Zum Aussterben der Bären führte wohl eine Kombination von Kälteeinbruch und menschlichem Jagddruck durch den neu einwandernden modernen Menschen.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal