Die antarktischen Eisschilde sind die grössten Eismassen der Erde. Ein Abschmelzen und Abbrechen dieser Mengen würden zwar lange dauern, wäre aber ein unaufhaltsamer Prozess, wenn er erst einmal in Gang ist. Dadurch würde der globale Meeresspiegel um über 60 Meter ansteigen, darin ist sich die Wissenschaft mit ihren Modellen einig. Auch dass dies einen Einfluss auf das globale Klima hat, ist unbestritten. Doch über die Geschwindigkeit, mit der die globalen Temperaturen ansteigen würden und welche Rückkopplungsprozesse in der Antarktis dieses Ansteigen wie beeinflussen, ist noch nicht hinreichend geklärt. Ein US-amerikanisches Forscherteam hat nun einen bisher unbeachteten Faktor in die Modelle miteingerechnet und Überraschendes dabei herausgefunden.
Gemäss dem Team um die Masterstudentin Shaina Sadai von der Universität Massachusetts Amherst und Professor David Pollard von der Pennsylvania State würden die Mengen an Schmelzwasser durch die globale Erwärmung in der Antarktis für genügend Abkühlung sorgen, die zu einer Verlangsamung der Schmelze über das Jahr 2250 hinaus führen dürfte. «Wir haben herausgefunden, dass zukünftiges Schmelzwasser aus der Antarktis zu riesigen Mengen an dickem Meereis um den Kontinent führt. Mit höheren Treibhausgasemissionen werden die Eisschilde schneller schmelzen, was wiederum zu mehr Süsswassereintrag in den Ozean führt und zu einer grösseren Meereisproduktion», sagt Shaina Sadai. Dies würde zu einer Verlangsamung der zukünftigen Erwärmung Antarktikas führen.
Die durchschnittliche globale Temperatur wird immer noch rund 3°C höher liegen als heute aufgrund der menschlichen Treibhausgasemissionen, sogar mit den Kühleffekten des Schmelzwassers auf das Klima.
Alan Cordon, Woods Hole Oceanographic Institute
In den gegenwärtig verwendeten Simulationen, die zur Vorhersage des zukünftigen Erdklimas verwendet werden, fehlen die beschleunigten Schmelzvorgänge der antarktischen Eisschilde und Eisberge, wie die Forschergruppe in ihrer Arbeit festhalten. Wann und wo die Schmelzwassermengen in den Ozean fliessen modellierten die Wissenschaftler in ihrer Studie, die in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht wurde. In ihren Berechnungen entdeckten die Forscher auch, dass diese Verlangsamung nicht nur in der Antarktis, sondern weltweit zu spüren wären. Auch in der Arktis würde der Rückgang der Wintermeereismengen um mehrere Jahrzehnte verzögert werden, schreibt das Team. Doch Dr. Alan Condron vom Woods Hole Oceanographic Institute, Mitautor der Studie, beschwichtigt: «Trotz alledem ist es wichtig zu sagen, dass dies nicht ein globales «Cooling» Szenario ist. Die durchschnittliche globale Temperatur wird immer noch rund 3°C höher liegen als heute aufgrund der menschlichen Treibhausgasemissionen, sogar mit den Kühleffekten des Schmelzwassers auf das Klima.»
Die Ergebnisse des Forscherteams gehen noch weiter und zwar nicht in die Richtung «Good News»: Denn ihr neues Modell zeigt, dass die tieferen Wassermassen rund um die Antarktis sich schneller erwärmen würden aufgrund der grösseren Meereismengen. Dieses Eis verhindert nämlich, dass die Wärme an die Atmosphäre abgegeben werden kann, wie Alan Condron erklärt. «Die unter der Oberfläche liegenden Wassermassen erwärmen sich um bis zu ein Grad Celsius, was zu einem Anstieg der Eisschmelze unten führen kann», meint der Forscher. «Das könnte die Eisschilde instabiler machen und den Anstieg des Meeresspiegels über die gegenwärtigen Vorhersagen beschleunigen.» Auch die beiden anderen Autoren der Studie, Rob DeConto von der Universität Massachusetts und David Pollard sind dieser Meinung. Beide fügen an, dass die zukünftige Stabilität der antarktischen Eisschilde davon abhängen, welcher Prozess zuerst gewinnt: die Ozeanerwärmung oder die Abkühlung an der Oberfläche. Die Antwort auf diese Frage ist nun Gegenstand weiterer Untersuchungen.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal