Das Weddellmeer pumpt mehr Wärme in die Ozeane | Polarjournal
Das Südpolarmeer und besonders das Weddellmeer gehören zu den immer noch am wenigsten erforschten Bereichen der Weltmeere. Die klimatischen und geografischen Bedingungen machen den Ort zu einer grossen Herausforderung. Die Langzeitdaten des AWI sind daher unglaublich wertvoll. Bild: Michael Wenger

Die Tiefsee des antarktischen Weddellmeeres hat sich in den zurückliegenden drei Jahrzehnten fünfmal schneller erwärmt als alle Ozeane in Tiefen von mehr als 2000 Metern. Zu diesem Forschungsergebnis kommen Ozeanographen des AWI. In der Studie werten sie eine für das Weddellmeer einzigartige ozeanographische Langzeitdatenreihe aus und zeigen, dass die Erwärmung der polaren Tiefsee vor allem auf Wind- und Strömungsveränderungen über und im Südpolarmeer zurückzuführen ist. Die Wissenschaftler warnen zudem, dass die Erwärmung des Weddellmeeres die dort stattfindende Umwälzbewegung gigantischer Wassermassen langfristig abschwächen könnte – mit weitreichenden Folgen für die globale Meereszirkulation.

Die Weltmeere haben in den zurückliegenden Jahrzehnten mehr als 90 Prozent der durch Treibhausgasemissionen in der Atmosphäre festgehaltenen Wärme aufgenommen und den Anstieg der globalen Lufttemperatur somit wirkungsvoll gebremst. Das Südpolarmeer hat dabei rund dreiviertel dieser Wärme aufgenommen, obwohl es nur 15 Prozent der gesamten Meeresfläche ausmacht. Um diese Wärme messen zu können, verwenden Forscher sogenannte CTD-Sonden, die Leitfähigkeit, Temperatur und Tiefe messen und damit die Wärmemengen, die in die Tiefsee gelangen, berechnen.

Mit Hilfe solcher CTD-Sonden können Wissenschaftler in den Ozeanen verschiedene Parameter messen und so die Wärmemenge in der Tiefsee, die dort ankommt, berechnen. Das AWI hat in den vergangenen 30 Jahren im Weddellmeer damit eine einzigartige Messreihe erhalten. Bild: Thomas Steuer, AWI

Was mit der Wärme in der Tiefsee des Südpolarmeeres geschieht, war mangels ausreichend langer Messreihen bislang weitestgehend unbekannt. AWI-Ozeanographen führen solche Temperatur- und Salzgehaltsmessungen seit nunmehr 30 Jahren auf Expeditionen des deutschen Forschungseisbrechers Polarstern in das antarktische Weddellmeer durch – immer an denselben Positionen, immer von der Meeresoberfläche bis zum Meeresgrund, immer mit sehr hoher Messgenauigkeit. Auf diese Weise ist eine für den Südatlantik und das Weddellmeer einzigartige Langzeitdatenreihe entstanden, die es den Forschern nun ermöglichte, die Erwärmung des Weddellmeeres bis ins Detail nachzuverfolgen und mögliche Ursachen zu identifizieren.

Das Weddellmeer ist eine der wichtigsten Teile im globalen Netz der Meeresströmungen, da hier die Tiefenströmungen bis in die Arktis ihren Anfang haben und so die Temperaturen weltweit beeinflusst werden. Eine Erwärmung dieser Wassermassen kann weitreichende Folgen für das Weltklima haben. Bild: Michael Wenger

Die Auswertung der Daten zeigte der Forschungsgruppe unter Dr. Volker Strass vom AWI, dass sich das Weddellmeer flächendeckend um 0.0021 – 0.0024°C pro Jahr in einer Tiefe von unter 700 Metern erwärmt hat. Diese Werte erscheinen im ersten Moment winzig klein. „Weil der Ozean im Vergleich zur Atmosphäre jedoch eine tausendfach grössere Wärmekapazität besitzt, bedeuten sie eine riesige Wärmeaufnahme. Berechnet man aus dem Temperaturanstieg die Erwärmungsrate in Watt pro Quadratmeter, lässt sich erkennen, dass das Weddellmeer in den zurückliegenden 30 Jahren in Tiefen von mehr als 2000 Metern fünfmal mehr Wärme aufgenommen hat als der Weltozean im Durchschnitt“, erklärt Volker Strass. Zum Vergleich: Das Weddellmeer ist rund zehnmal grösser als die Nordsee und zwischen 500 – 5’000 Meter tief (Nordsee: Durchschnittlich 94 Meter).

Die Animation des National Computational Infrastructure Australia zeigt, wie sich die Tiefenströmungen, hervorgerufen durch absinkendes kaltes, salzreiches Wasser im Weddellmeer nach Norden ausbreitet, angetrieben durch die Verdrängung von Tiefenwasser. Damit wird aber auch die aufgenommene Wärme in andere Regionen abtransportiert. Video: NCI Australia

Diese Wärmemengen werden dann über die Tiefenströmungen in andere Ozeane transportiert. Denn das Weddellmeer gilt als wichtiger Antriebsmotor der Meeresströmungen und eine Veränderung der Bedingungen dort hätte massive Auswirkungen in anderen Teilen der Welt. Durch die Erwärmung der Tiefsee des Weddellmeeres könnte dieser an Kraft verlieren, denn wärmeres Wasser besitzt eine geringere Dichte. Es ist demzufolge leichter und schichtet sich unter Umständen höher in der Wassersäule ein. «Unsere Messdaten zeigen bereits eine temperaturbedingte Dichteabnahme der tieferliegenden Wassermassen im Weddellmeer. Am grössten ist diese Veränderung beim Antarktischen Bodenwasser», sagt Ko-Autor und AWI-Ozeanograph Gerd Rohardt. Ob das Bodenwasser auch in Zukunft seine Funktion als Tiefenstrom der globalen Zirkulation erfüllen wird, hängt vor allem davon ab, wie sich die Dichte der darüber liegenden Wassermassen verändern wird.

Die Ursache für die verstärkte Erwärmung in der Tiefe sind die veränderten Wind- und Strömungssysteme in der Antarktis, die aufgrund der Klimaerwärmung stattfinden. Die Auswirkungen auf Schelfeis und Ozeanströmungen können zurzeit nur geschätzt werden. Bild: Michael Wenger

Als Ursache für den verstärkten Wärmeeintrag in die Tiefsee des Weddellmeeres identifizierten die Forscher eine Verlagerung der Wind- und Strömungssysteme über dem Südpolarmeer. „Die Westwindzone und damit auch der Antarktische Zirkumpolarstrom haben sich in den zurückliegenden drei Jahrzehnten nicht nur um ein bis zwei Breitengrade Richtung Süden verschoben; beide sind auch stärker geworden. Dadurch hat sich der Durchmesser des Strömungswirbels im Weddellmeer verengt und die Fließgeschwindigkeit der Wassermassen hat zugenommen. Beides führt dazu, dass mittlerweile mehr Wärme aus dem Zirkumpolarstrom in das Weddellmeer eingetragen wird als noch zu Beginn unserer Messungen“, erläutert Prof. Dr. Torsten Kanzow, Leiter des AWI-Fachbereiches Klimawissenschaften und ebenfalls Ko-Autor der Studie.  Sollte die Erwärmung des Weddellmeeres weiter voranschreiten, hätte das nicht nur weitreichende Folgen für die großen Schelfeise, die an der Südküste des Weddellmeeres weit auf das Meer hinausreichen, und damit langfristig für den Meeresspiegelanstieg, sondern auch für das Förderband der Meereszirkulation insgesamt.

Pressemitteilung Alfred-Wegener-Institut / Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Strass et al (2020) J Climate, E-Pub 10.1175/JCLI-D-20-0271.1.

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