Nahrungsversorgung in kanadischer Arktis ungenügend | Polarjournal
In arktischen Gemeinden Kanadas stehen grosse Supermärkte, um die Bewohner mit Frischprodukten und kommerziellen Nahrungsmittel zu versorgen. Trotzdem sind die Jagd und der Fischfang immer noch ein wesentlicher Bestandteil der Nahrungsversorgung. Doch der Klimawandel bedroht diese Versorgung. Bild: Michael Wenger

Das Leben der Arktisbewohner ist schon seit je her von der Natur abhängig gewesen. Man lebte von der Jagd, Fischfang und den Pflanzen, die in der kargen Weite wachsen können. Auch mit der Ankunft anderer Zivilisationen und dem Versuch, deren Ernährungsgewohnheiten den Inuit aufzuzwingen, änderte sich an dieser Praxis nur wenig. Nun hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in Kanada einen Bericht veröffentlicht, der vor einer Unterversorgung der Einwohner im hohen Norden warnt. Gleichzeitig übt sie scharfe Kritik an der Regierung und deren ungenügenden Massnahmen.

Der 122-seitige Bericht der Organisation, der vor kurzem vorgestellt wurde, beschreibt den Klimawandel als eine der grössten Gefahren für die Ernährungssicherheit im kanadischen hohen Norden. Denn er dezimiere die traditionellen Nahrungsquellen der Inuit und First Nation-Angehörigen und zwinge so die Bewohner, auf völlig überteuerte und ungesunde Nahrungsimporte aus dem Süden zurückzugreifen. Damit würden bereits bestehende wirtschaftliche und gesundheitliche Probleme weiter verschärft, schreiben die Autoren. Die Regierung in Ottawa sei mit ihren Massnahmen zur Sicherung der Ernährung seiner Einwohner an den Problemen vorbeigezogen und tue auch nicht genug, um die Situation zu verbessern. Laut dem Bericht und zweier darin zierten Studien ist die Hälfte der indigenen Bevölkerung Kanadas von Nahrungsunterversorgung betroffen, während es für die kanadische Bevölkerung insgesamt nur einer von acht seien. Als Nahrungsunterversorgung gilt ein mangelhafter Zugang zu sicheren und nahrhaften Lebensmitteln.

Viele Orte in der kanadischen Arktis erhalten ihre Produkte nur via Flugzeug oder Schiff. Entsprechend sind die Produkte massiv teurer als im restlichen Kanada, obwohl sie subventioniert werden. Das bedeutet für wirtschaftlich schwache Regionen eine zusätzliche Belastung. Ausserdem greifen die Einheimischen dann zu günstigeren, aber weniger gesunden Nahrungsmittel, die zu grösseren Gesundheitsproblemen führen und die Kassen noch weiter belasten. Bild: Michael Wenger

«Die kanadische Regierung hat versprochen, Klimaschutzmassnahmen zu ergreifen und auch die Rechte der indigenen Völker zu schützen. Bis jetzt sind die Umsetzungen sehr enttäuschend gewesen»

Katharina Rall, Human Rights Watch

Im Bericht geht Human Rights Watch mit der kanadischen Regierung scharf ins Gericht und wirft ihr vor, ihre Versprechen und ihren Auftrag, die Rechte und den Lebensraum der indigenen Bevölkerung zu schützen, nicht eingehalten zu haben. «Die kanadische Regierung hat versprochen, Klimaschutzmassnahmen zu ergreifen und auch die Rechte der indigenen Völker zu schützen. Bis jetzt sind die Umsetzungen sehr enttäuschend gewesen», sagt die leitende Umweltwissenschaftlerin von Human Rights Watch, Katharina Rall. Die Klimaschutzziele und die Wege, wie diese erreicht werden sollen, sind nach Meinung der Expertin, nicht genug und auch nicht richtig umgesetzt worden. Gemäss der Regierung sollten bis 2030 die Treibhausgasemissionen auf 30 Prozent unter den Stand von 2005 gesenkt werden. Im Angesicht der Tatsache, dass Kanada die Nummer 9 auf der Liste der globalen Treibhausemissionsländer ist und sich der kanadische Norden dreimal so schnell erwärmt wie der Rest der Welt, sei dieses Ziel nicht genug. Ausserdem sei der Plan, wie dieses Zeil zu erreichen sei, nicht klar und man sei jetzt schon im Verzug. In Bezug auf die Lebensmittelversorgung im Norden schiesst die Organisation auch scharf. Die Unterstützung der Regierung sei lückenhaft und ein Flickwerk. «Oft genug ist die Finanzierung von Hilfsprogrammen kurzfristig und ungenügend, um alle zu erreichen und den Zugang zu gewähren», erklärt Rall. Die kanadische Regierung dementiert diese Aussagen und bekräftigt, dass sie auch weiterhin mit den Gemeinden und allen Kanadiern zusammenarbeiten werde, um die Ernährungssicherheit zu gewährleisten und die Auswirkungen des Klimawandels abzufedern.

Nahrungsmittel wie Maktak (Walhaut), Robbenfleisch oder Fische sind in der gesamten Arktis sehr beliebt und wichtiger Bestandteil der Ernährung. Sie gelten auch als Teil der Tradition und Kultur, genauso wie Fondue in der Schweiz oder Weisswürste in Bayern. Doch durch den Klimawandel sind diese Nahrungsquellen bedroht. Bild: Michael Wenger

Der Verlust der Lebensmittelversorgung und Ernährungssicherheit in der Arktis ist kein neues Problem. Schon seit Jahren weisen indigene Verbände und Experten darauf hin, dass durch den Klimawandel die traditionellen Nahrungsquellen der Arktisbewohner bedroht sind. Dabei geht es nicht darum, dass keine Nahrungsquellen nachrücken. Doch diese neuen Arten sind weniger nahrhaft als die Originale und liefern daher weniger Energie und Reserven. Das wiederum bedeutet, dass zusätzliche Nahrungsmittel zugekauft werden müssen, oft aus anderen Teilen des Landes oder aus dem Ausland teuer importiert. Doch viele dieser Regionen sind auch wirtschaftlich schwach und daher sind für viele Menschen Dinge wie frisches Gemüse oder Früchte ein kaum erschwinglicher Luxus.

Die traditionelle Jagd auf arktische Tiere wie Robben, Wale, Eisbären und Moschusochsen zur Selbstversorgung wird von Umweltschützern und -organisationen immer stärker in Frage gestellt, weil Jäger sich entweder nicht an Quoten halten oder die lokalen und regionalen Verwaltungen zu hohe Quoten aussprechen und so einen adäquaten Schutz der Tiere verhindern würden. Dies dementieren die Vertreter indigener Organisationen vehement.

«Es geht darum, die Unterstützung für indigene Völker wirklich zu verstärken, um dann Lösungen für die Anpassung in ihren Gemeinden zu finden.»

Human Rights Watch

Darum greift man dann zu den traditionellen Nahrungsmitteln. Doch hier bemängeln Umweltschützer auch den schonungslosen Umgang der Einheimischen mit den Tieren wie beispielsweise Walen, Robben oder Eisbären. Quoten, die von den Verwaltungen und Regionalregierungen festgelegt werden, seien viel zu hoch und tragen zu einem nachhaltigen Schutzkonzept für die Tiere nicht bei. Ausserdem werden illegale Jagd und Fischerei nicht wirklich verfolgt, so der Vorwurf der Umweltschützer. Dies wird von den Inuitorganisationen in aller Vehemenz zurückgewiesen. Katharina Rall und Human Rights Watch fordern in ihrem Bericht einen stärkeren und besseren Input des Staates bei der Sicherung der Ernährung und den Problemen der arktischen Bevölkerung: «Es geht darum, die Unterstützung für indigene Völker wirklich zu verstärken, um dann Lösungen für die Anpassung in ihren Gemeinden zu finden.»

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

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