Der Petermann-Gletscher im Nordwesten Grönlands ist in den vergangenen Jahren mehrfach in die Schlagzeilen geraten, weil zum einen sich an seiner 70 Kilometer langen Zunge 2012 ein Eisberg von der doppelten Grösse Manhattans abgelöst hatte. Ausserdem wurde letztes Jahr bekannt, dass sich seine Fliessgeschwindigkeit auf über 1 Kilometer pro Jahr beschleunigt habe. Doch auch, was unter dem Gletscher liegt, scheint rekordverdächtig zu sein. Denn Modellsimulationen zweier US-Forscher an der Universität Hokkaido deuten darauf hin, dass sich ein riesiger Fluss unter dem Eisschild und dem Gletscher verbergen könnte.
Die Modellierungen der Studie kommen zum Schluss, dass die durch Radardaten bereits bekannte lange Schlucht im Nordwesten Grönlands sich bis zur Mitte des Eisschildes ziehen könnte und nicht, wie bisher angenommen, aus Teilen besteht, sondern komplett durchgehend wäre. Das hätte grosse Konsequenzen für das Schmelzwasser, welches unter dem Eis in dieser Schucht fliesst. Denn es würde praktisch ungehindert bis an die Küste gelangen und sich dort in rund 500 Metern Tiefe in das Hall-Becken, das unter der Petermann-Gletscherzunge liegt, ergiessen. Christoper Chambers, der Hauptautor der Studie, sagt: «Unsere Resultate (die rein mathematischer Natur sind, Anm. d. Red.) sind konsistent mit einem langen, subglazialen Fluss.» Die Ergebnisse der Studie, an der auch Forscher der Universitäten Oslo und Utrecht beteiligt gewesen sind, wurden nun in der Fachzeitschrift The Cryosphere veröffentlicht.
Das Resultat der Simulation hat nicht nur mögliche Konsequenzen für den Untergrund Grönlands, sondern auch für die Fliessgeschwindigkeit des Gletschers, die in den vergangenen Jahren zugenommen hatte. Eine frühere Untersuchung des Alfred-Wegener-Instituts hatte gezeigt, dass durch das Abschmelzen an der Oberfläche die Bremskraft an den Rändern verloren gegangen war. Würde noch ein riesiger Fluss unter dem Eis liegen, könnte dies zusätzliches Beschleunigen bedeuten. Doch Chambers warnt vor voreiligen Schlüssen: « Ziemliche Unsicherheiten bleiben immer noch bestehen. Beispielsweise wissen wir nicht, wieviel Wasser, wenn überhaupt, zur Verfügung steht, um durch das Tal zu fliessen und ob es wirklich im Petermann-Fjord austritt oder wieder gefriert oder auf dem Weg aus dem Tal verschwindet. Auch Ralf Greve, der das Modell entwickelt hatte, meint: «Weitere Radarbeobachtungen sind notwendig, um zu bestätigen, dass die Simulationen exakt sind. «Das könnte ein fundamental anderes hydrologisches System für den grönländischen Eisschild bedeuten.» Die Resultate der Simulation könnten dann helfen, das Verhalten des Eisschildes unter verschiedenen Bedingungen besser zu modellieren und so genauere Aussagen im Hinblick auf die Auswirkungen des Klimawandels erlauben.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal