Robben sind an vielen Orten der Erde zu finden. Doch vor allem in den polaren Regionen begeistern die marinen Säugetiere Touristen und faszinieren mit ihrer Anpassungsfähigkeit die Wissenschaftler. Gerade die Gruppe der Hundsrobben hat sich sowohl in der Arktis wie auch in der Antarktis niedergelassen. Aber wie diese Verzweigung innerhalb der grössten Robbenfamilie zustande gekommen ist, war bisher nur teilweise geklärt. Eine Studie an neuen Schädeln aus Neuseeland hat nun die bisherige Theorie auf den Kopf gestellt, dass sich ein Teil der Familie auf der Nordhalbkugel entwickelt hatte.
Das australisch-neuseeländische Forschungsteam mit Doktorand James Rule von der Monash Universität in Australien und Dr. Felix Marx, Paläontologe und Kurator am Te Papa Museum in Neuseeland untersuchten sieben fossile Schädel, die im neuseeländischen Taranaki von Hobby-Fossiliensuchern entdeckt worden waren. Dabei zeigte sich, dass es sich um 3 – 3.5 Millionen Jahre alte Schädel einer bisher unbekannten Robbenart gehandelt hatte. Da die Schädel in einem überraschend guten Zustand befanden, konnten das Team die Schädel detailliert untersuchen. Eine genauere Analyse und Vergleiche brachte dann die Überraschung zutage: Sie hielten einen Vorfahren der Mönchsrobben in den Händen.
Gemäss ihren Untersuchungen waren die Robben rund 2.5 Meter lang und wogen zwischen 200 und 250 Kilo, ähnlich also wie die Seeleoparden oder Krabbenfresser, grösser aber als die heutigen Mönchsrobben. Die Forscher vermuten, dass die Art eher in temperaten bis warmen Gewässern heimisch war. Doch die wahre Entdeckung liegt darin, dass es sich überhaupt um einen Vorfahren dieser Gattung von Robben handelt. Mönchsrobben waren bisher ausschliesslich der Nordhalbkugel zugeordnet gewesen. Aufgrund der Forschungsergebnisse von Rule und seinen Kollegen musste der gesamte Stammbaum der Hundsrobben neu geordnet werden. «Bisher dachten wir, dass alle Hundsrobben von der Nordhalbkugel stammen und sie den Äquator nur ein- oder zweimal in ihrer gesamten Entwicklungsgeschichte überquert hatten», erklärt James Rule, der Hauptautor der Studie. «Doch viele von ihnen scheinen sich im südlichen Pazifik entwickelt zu haben und den Äquator bis zu achtmal überquert zu haben. Diese Entdeckung stellt die Robbenevolution wirklich auf den Kopf.»
Gemäss den Resultaten der Studie ist die Nord-Süd-Verzweigung in der Robbenevolution auch viel früher geschehen, als bisher angenommen, d.h. vor rund 15 Millionen Jahren. Die Forscher schreiben ihrer Arbeit, dass sich die Hundsrobben erst im Nordatlantik geteilt hatten und dann die Monachinae in den Südpazifik gewandert sind, wo sie die Vorfahren der Seeelefanten, Krabbenfresserartigen und Mönchsrobben formten, die dann wieder mehrfach den Äquator überquerten in ihrer Entwicklung. Die Ergebnisse deuten auch darauf hin, dass die Mönchsrobben, die heute unter anderem im Mittelmeer leben, erst vor rund 3 Millionen Jahren dorthin gewandert sind. Das Aussterben der südlichen Mönchsrobben sei auch der Startschuss für die Einwanderung der Vorfahren der südlichen Seelöwen- und Pelzrobbenarten und deren Verbreitung gewesen.
Die Forschungsergebnisse, die in der Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B erschienen ist, stellen nicht nur die Robbenevolution in einem neuen Licht dar. Auch die Tatsache, dass die Schädel nicht von Nicht-Forschern entdeckt worden sind, stellt die Paläontologie in ein neues Licht und ist eine gute Nachricht für Citizen Science Projekte. Dieser Meinung ist auch Dr. Felix Marx, Mitautor der Studie und Kurator am Te Papa Musem, wo die Schädel heute liegen. «Diese Entdeckung war ein Triumph für Citizen Science. Diese neue Art wurde dank der zahlreichen, aussergewöhnlich gut erhaltenen Fossilien entdeckt, die alle von Mitgliedern der Öffentlichkeit gefunden worden sind», erklärt er. Die Forscher hoffen, dass im Boden von Taranaki und anderswo noch weitere Schätze liegen, die ihre bahnbrechenden Resultate der Robbenevolution stützen.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal