Jacques-Yves Cousteau, der dürre, Gitanes-Bleues-rauchende Mann mit der roten Pudelmütze, war der Held meiner Kindheit. Meine Begeisterung für Cousteau teilte ich wohl mit einer ganzen Generation. Taucher, Kapitän, Forschungsreisender, Märchenerzähler – so einen als Onkel hätte sich jedes Kind gewünscht. Seine Reisegeschichten waren das Aufregendste, was am Fernsehen zu sehen war. Bilder von allen Weltmeeren und der Welt unter Wasser.
Die Sonntagnachmittage meiner Kindheit gehörten der Serie «Geheimnisse des Meeres». Man versammelte sich bei jemandem, der schon TV hatte – damals waren das ein paar wenige – und ging an Bord der «Calypso» Seite an Seite mit Cousteau und seinen Mannen auf Abenteuerreise.
Mit grossen Augen und Kiefersperre vor Staunen zogen wir Cousteaus Filme rein, bebend vor Aufmerksamkeit und Wissbegierde, lernfreudig, wie das kein Lehrer hinbekommen hat. Das war Actionkino und Bildungsfernsehen in einem, lange bevor es beides gab. Keiner erweiterte unsere Weltsicht mehr und weckte unser Umweltbewusstsein früher als Cousteau mit seinen Filmen. Er zeigte den Menschen zum ersten Mal eine neue Welt, diejenige unter Wasser. Und wir sahen hin – alle, hingerissen.
Solche Bilder hatte die Welt ja auch noch nicht gesehen: Wir schwammen mit Delfinen und Walen, tauchten in Riffs und Wracks, untersuchten Korallenbänke, sahen Seekühe sich paaren und in einen aufgerissenen Haischlund, entdeckten seltsame Fische, stiessen in unendliche, blaue Tiefen hinab, steckten im arktischen Packeis fest, trieben in Schwärmen von subantarktischen Kalmaren und Krill, bangten um ein verletztes Wal Baby, robbten neben Cousteau auf wütende Walrossbullen zu, glitten unter Eisbergen durch… Wo immer die «Calypso» war, was immer die Männer taten – wir waren dabei. Hautnah. An Deck, unter Wasser, zu Tisch und Bett, im Team der drahtigen Draufgänger.
Dafür liess sich Cousteau (1910–1997) so einiges einfallen. Viele seiner zahllosen Erfindungen, wenn’s ums Tauchen und Filmen ging, sind Pionierleistungen. 1936 präsentierte Cousteau den ersten Unterwasserfilm, für den er ein wasserfestes Gehäuse für die Kamera entwickelt hatte. 1946 stellte er seinen Lungenautomaten vor, der das ganze Tauchen revolutionieren sollte. Er dachte sich die Unterwasser-Scooter aus, propellerbetriebene Schwimmhilfen in Highspeed, die später in Bond-Filmen zu bewundern waren. Und unter der berühmten roten Pudelmütze, die später ins All flog, wurde auch die Idee zu einer tauchenden Untertasse ausgebrütet. All die technischen Dinge interessierten uns Knöpfe damals weniger als die tollen Filme, die dank dessen möglich waren.
Cousteau konnte einfach gute Geschichten erzählen – die halbe Miete für einen guten Film. Zur Story hatte er die denkbar spektakulärsten Bilder. Er liess Drehbücher von Meistern des Kinos (unter anderen von Louis Malle) schreiben und unterlegte als i-Tüpfchen bombastische Orchesterklänge und subtile Musik.
Nicht nur das Publikum, auch das Filmbusiness verehrte Jacques-Yves Cousteau, er holte jeden wichtigen Preis: dreimal den Oscar, die Goldene Palme und einen Bambi. Zu seinem Element Wasser war der Anwaltssohn während des Zweiten Weltkrieges gekommen, wo er als Korvettenkapitän gedient hatte und Mitglied der Résistance war – was ihm das Ehrenkreuz der Legion, Frankreichs höchsten Orden, einbrachte. Neben weltweiter Verehrung durch mehrere Kindergenerationen genoss Cousteau auch Ehrendoktorwürden, UNO-Anerkennung, den Respekt der Regierungen. Für das Allround-Genie hätte man damals schon den Begriff Kult einführen können.
Durch den Kinofilm «Die Tiefseetaucher» mit Bill Murray wissen wir einiges über den Mann, den wir meist nass und immer mit der Pudelmütze sahen: Sein Ego war seinem Charme in nichts unterlegen, er war der Fixstern im Universum der «Calypso», ein Diktator in knapper Badehose. Cousteau war, wenn’s um Umweltschutz und Image-Pflege ging, der U2-Bono der ersten Stunde.
Autorin: Greta Paulsdottir