Die Region um die Antarktische Halbinsel war bislang nicht für außergewöhnlich hohe seismische Aktivität bekannt. Doch seit Ende August diesen Jahres registrierten Forscher der Universität Chile mit Hilfe automatischer Erkennungstechniken mehr als 30.000 Erdbeben in der Bransfieldstraße, die zwischen den Süd-Shetland Inseln und der Antarktischen Halbinsel liegt. Detailliertere Untersuchungen könnten sogar eine noch größere Anzahl ergeben. Die größte Aktivität war vor allem im September zu beobachten mit mehr als eintausend Beben pro Tag. Bis November nahm die Zahl der täglichen Erdstöße deutlich ab.
In der Region um die Bransfieldstraße treffen sich mehrere tektonische Platten und Mikroplatten, die in Bewegung sind und daher häufiger Erschütterungen auslösen. Die intensive Aktivität in den letzten drei Monaten, die am 29. August mit einem Beben der Stärke 4,9 begann, sei jedoch laut Wissenschaftlern des Nationalen Seismologischen Zentrums (CSN) der Universität Chile ungewöhnlich. Das stärkste Erdbeben registrierten sie am 6. November mit der Stärke 6,0.
Die Erdstöße wurden unter anderem von den seismologischen Stationen auf den umliegenden Forschungsstationen aufgezeichnet und lokalisiert: von JUBA und ESPZ auf den argentinischen Stationen Carlini (ehemals Jubany) auf King George Island bzw. Esperanza an der Nordspitze der Antarktischen Halbinsel sowie von PSMA auf der amerikanischen Palmer-Station auf Anvers Island.
Die Geophysikerin María Constanza Flores vom CSN identifizierte die mehr als 30.000 Beben bei der Analyse der Aufzeichnungen der JUBA-Station unter Anwendung einer speziellen Methode, die auf automatischer Signalerkennung mit Hilfe von Kreuzkorrelation und Detektoren für Veränderungen der Signalamplitude in verschiedenen Zeitintervallen beruhen. So war es möglich, eine große Menge an Daten zu analysieren, die an einer geringen Anzahl von Stationen aufgezeichnet wurden. Zum Beispiel ging aus der Analyse hervor, dass die Sequenz mit einem kaum wahrnehmbaren Beben am 28. August begann.
Die Süd-Shetland-Inseln trennen sich von der Antarktischen Halbinsel
Die Tektonik um die Antarktische Halbinsel ist sehr komplex — es gibt verschiedene Prozesse der Konvergenz, Divergenz und lateraler Verschiebung von größeren und kleineren Platten sowie Plattensegmenten auf einem relativ kleinen Gebiet. Und für die Süd-Shetland-Inseln bleiben diese zahlreichen Beben nicht ganz folgenlos. Die Süd-Shetland-Mikroplatte und die Antarktische Platte bewegen sich seit der gestiegenen Aktivität wesentlich schneller auseinander als vorher. Bisher drifteten die Inseln mit sieben bis acht Millimetern pro Jahr weg von der Halbinsel, nun sind es 15 Zentimeter pro Jahr. «Es ist ein 20-facher Anstieg … was darauf hindeutet, dass sich in diesem Moment … die Shetland-Inseln schneller von der antarktischen Halbinsel abtrennen», sagt Sergio Barrientos, der Direktor des Nationalen Seismologischen Zentrums.
Die Antarktische Halbinsel zählt weltweit zu den Orten, die sich am schnellsten erwärmen. Doch laut dem Klimawissenschaftler Raul Cordero von der Universität in Santiago ist noch nicht klar, welchen Einfluss die Beben auf das Eis in der Region haben könnten. «Es gibt keine Beweise dafür, dass diese Art seismischer Aktivität … signifikante Auswirkungen auf die Stabilität der polaren Eiskappen hat», so Cordero.
Julia Hager, PolarJournal