Globaler Eisverlust entspricht IPCC Worst-Case-Szenario | Polarjournal
Blickt man über die Eisflächen des Arktischen Ozeans oder eines Eisschildes, ist kaum erkennbar, dass diese eisigen Welten massiv unter Druck stehen. Doch trotz der scheinbar unendlichen Eisflächen, sind die Mengen an Eis, die aufgrund der Klimaerwärmung weggeschmolzen sind, unvorstellbar gross und der Verlust hat immer mehr an Fahrt gewonnen. Bild: Michael Wenger

Die polaren und hochalpinen Regionen sind die Welt des scheinbar ewigen Eises. Riesige Gletscher und Eisschilde, die in den Gebirgen, in der Arktis und der Antarktis eine weisse Decke bilden, erscheinen in unseren Gedanken dazu. Doch die Erwärmung des Planeten hat diese eisigen und für das Klima der Welt wichtigen Gebiete massiv unter Druck gesetzt. Wie stark aber war und ist der Eisverlust tatsächlich? Ein britisches Forschungsteam ist der Frage nachgegangen und hat ein erschreckendes Ergebnis erhalten.

Gemäss den Forschungsresultate des Teams unter der Leitung von Dr. Thomas Slater vom Zentrum für Polare Beobachtungen und Modellierung der Universität ins Leeds, hat die Erde seit Mitte der 1990er Jahren rund 28 Billionen (!) Tonnen Eis unwiederbringlich verloren. Ausserdem hat sich die Geschwindigkeit, mit der das Eis wegschmilzt, von 0.8 auf 1.3 Billionen Tonnen pro Jahr beinahe verdoppelt. Die Ergebnisse zeigen auch, dass die Arktis rund 58 Prozent davon beigesteuert hat. Mit rund 7.6 Billionen Tonnen Verlust steht das arktische Meereis an der Spitze, gefolgt von den antarktischen Eisschelfs (6.5 Billionen) und den Gletschern (6.1 Billionen). Der grönländische Eisschild und Antarktika machen zusammen nochmals 6.3 Billionen Tonnen aus. «Die Eisschilde folgen nun den schlimmsten Szenarien der Klimaerwärmung, die von der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) festgelegt wurden», erklärt der Hauptautor der Studie, Dr. Thomas  Slater. Die Resultate der Studie, die für weltweites Aufsehen gesorgt hat, ist im Fachjournal The Cryosphere erschienen.

Der Verlust von Eis an Land geschieht nicht nur durch das Abschmelzen, sondern auch durch Gletscherabbrüche. Dieser Eisverlust ist für den Anstieg des Meeresspiegels verantwortlich, der in den nächsten Jahrzehnten immer weitergehen wird. Bild: Michael Wenger

Die Wissenschaftler kamen zu diesen Ergebnissen, indem sie Satellitenaufnahmen, geodäsische und glaziologische Messungen bis auf lokaler Ebene mit numerischen Modellen verbunden hatten. Dabei nutzten sie Daten, die teilweise bis in die 1980er Jahre reichten. Gemäss Dr. Slater ist die diese Studie die erste, die den globalen Eisverlust anhand von Satellitenfotos und Kombinationen von Messungen und Modellen der einzelnen Beiträge wie Gletschern und Meereis berechnet hat. Neben dem Eisverlust konnten die Forscher auch berechnen, dass der Verlust des landbasierten Eises (Gletscher und Eisschilde) in den untersuchten 24 Jahren zu einem Meeresspiegelanstieg weltweit von knapp 3.5 Zentimetern geführt hat. Davon ausgehend, dass pro ein Zentimeter Anstieg rund eine Million Menschen in den Küstenregionen betroffen werden, sind daher knapp 3.5 Millionen Menschen durch diesen Anstieg direkt betroffen worden.

Arktisches Meereis und Eisschelfs haben gemäss der Studie die grössten Mengen an Eis verloren. Deren Verluste tragen zwar nicht zum Meeresspiegelanstieg bei. Aber ihr Verlust lässt weite Teile des Ozeans offen für die Wärmeaufnahme durch die Sonne, was wiederum den Eisverlust beschleunigt. Bild: Michael Wenger

Mengenmässig sind das arktische Meereis und die Eisschelfs der Antarktis die diejenigen Bereiche der Kryosphäre, die am meisten Eis verloren haben. «Wenn das Meereis schmilzt, kann mehr Sonnenenergie von den Ozeanen und der Atmosphäre aufgenommen werden, was die Erwärmung der Arktis beschleunigt», erklärt Mitautorin Dr. Isobel Lawrence von der Universität Leeds. «Das beschleunigt nicht nur die Meereisschmelze, sondern steigert auch das Abschmelzen der Gletscher und Eisschelfs, die für den Anstieg des Meeresspiegels verantwortlich sind.» Nach Angaben der Forscher macht die Erwärmung der Atmosphäre rund 68 Prozent des gesamten Eisverlustes aus und 32 Prozent die Erwärmung der Ozeane.

«Es können kaum Zweifel bestehen, dass die überwiegende Mehrheit des Eisverlusts der Erde eine direkte Folge der Klimaerwärmung ist.»

Slater et al. (2021) The Cryosphere 15(1)

Doch am schlimmsten hat es gemäss den Ergebnissen der Studie die Gletscher erwischt. Denn nach Untersuchungen der 215’000 Gletscher weltweit, machen diese zwar nur 1 Prozent der gesamten Eismenge auf der Welt aus, haben aber rund 25 Prozent des Verlustes ausgemacht. Dies wiederum hat nicht nur Auswirkungen auf den Meeresspiegel, sondern auch auf die Trinkwasserversorgung von Milliarden von Menschen weltweit. Allein die Gletscher im Himalaya versorgen grosse Teile von Indien und anderen südostasiatischen Ländern mit Trinkwasser. Dasselbe gilt auch für die Länder entlang der Alpen und der Rocky Mountains oder der Anden. Das bedeutet, dass der Eisverlust auch direkte Auswirkungen auf die Länder hat, die sich am weitesten von den Polargebieten gewähnt hatten. Und die Autoren schreiben als Fazit, dass «kaum Zweifel bestehen, dass die überwiegende Mehrheit des Eisverlusts der Erde eine direkte Folge der Klimaerwärmung ist.»

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Slater, T., Lawrence, I. R., Otosaka, I. N., Shepherd, A., Gourmelen, N., Jakob, L., Tepes, P., Gilbert, L., and Nienow, P.: Review article: Earth’s ice imbalance, The Cryosphere, 15, 233–246, https://doi.org/10.5194/tc-15-233-2021, 2021

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