Krill – Wichtiger Winzling | Polarjournal
Ohne Krill läuft gar nichts in der Antarktis: Das kleine Krebschen ist die Basis der dortigen Nahrungskette. Kein Wunder, färbt sich das Meer rot, wenn ein Schwarm unterwegs ist. (Foto: Wikipedia)

Glück gehabt – die gefürchtete Drake-Passage zwischen Feuerland und der Antarktischen Halbinsel liegt beinahe unbewegt vor uns. Kaum ein Windhauch mag auch nur die Spur einer Welle hervorzubringen, wo sonst Stürme toben und hochgehende See der Normalzustand ist. Die Sonne strahlt makellos aus einem subpolaren Himmel, und wäre dort nicht plötzlich ein riesiger, rötlich schimmernder Fleck auf der Wasseroberfläche zu erkennen gewesen – es hätte eine fast ereignislose Überfahrt werden können.

Den Biologen an Bord des Expeditionsschiffes mit Kurs Antarktis ist sofort klar, was die rötliche Fläche auf dem Meer verursacht – Krill, und zwar in rauen Mengen! Millionen dieser 6 Zentimeter langen Leuchtgarnele verfärben die See… Ein grosser Krillschwarm, der schon Flächen von 450 Quadratkilometern bedeckt hat (immerhin die Hälfte des Kantons Schwyz, oder die Fläche Andorras oder der Seychellen) bleibt natürlich auch den „Konsumenten“ nicht lange verborgen. Die als Hors d’œuvre verkannte Leuchtgarnele ist in grossen Schwärmen die Hauptnahrung vieler Wale, Robben, Fische, Vögel und Tintenfische rund um die Antarktis.

Und schon taucht der Buckelwal auf! Zuerst durchbricht sein riesengrosses Maul die spiegelglatte See. Es ist gefurcht wie das Wellblech eines Garagentores – nur doppelt so gross. Dann schiesst der mächtige, schwere Walkörper bis zur Hälfte seiner Länge aus dem bisher unbewegten Meeresblau in die Höhe.

Im Zurücksinken schliesst der Buckelwal sein überdimensioniertes Maul beinahe im Zeitlupentempo, und wie Wasserfälle läuft das herausgepresste Meerwasser aus den Mundwinkeln, während der Walkörper wieder vollständig ins Wasser der Drake-Passage zurücksinkt. Bevor er ganz untertaucht, bleibt sein prall gefülltes Maul mit den weit gespreizten Furchen noch kurz sichtbar – weg! Die letzten Wasserkringel beruhigen sich, der Südozean liegt wieder so still und unbeweglich vor dem Schiffsbug wie zuvor.

Zwei Buckelwale beim Futtern. Mit ihren grossen Mäulern sieben sie den Krill gleich tonnenweise aus dem Wasser. (Foto: Archiv)

Basis der Nahrungskette

Die Passagiere dieses Antarktisschiffes haben so eben miterlebt, wie die Nahrungskette im Südozean funktioniert. Der Antarktischen Krill (Euphausia superba) nimmt eine zentrale Position im Nahrungsnetz rund um die Antarktis ein. Zum Beispiel ist er für alle sieben dort vorkommenden Bartenwal-Arten die tägliche Einheitskost. Ein Blauwal vertilgt an die vier Tonnen Krill pro Tag, das macht immerhin drei bis vier Millionen einzelner Krillkrebschen. Laut einer wissenschaftlichen Studie konsumieren alle Bartenwale zusammen allein im südatlantischen Sektor des Südozeans jedes Sommerhalbjahr zwischen 1,6 Millionen und 2,7 Millionen Tonnen Krill. Rechnet man den Krill-Verzehr aller Bartenwale des gesamten Südozeans zusammen, kommt man heute auf geschätzte 34 bis 43 Millionen Tonnen pro Jahr – vor der starken Dezimierung der Wale durch den Walfang sollen es gar 190 Millionen Tonnen gewesen sein.

Neben den Walen sind auch andere Meeressäugetiere auf Krill angewiesen, allen voran die Krabbenfresserrobbe, deren Name bereits die Leibspeise verrät. Weil es sich bei dieser antarktischen Robbe um das zweithäufigste Säugetier nach dem Menschen handeln soll, sind auch die vertilgten Krillmengen enorm. Obwohl die Schätzungen weit auseinander gehen, schlagen die Krabbenfresserrobben die sieben Bartenwalarten im südatlantischen Teil der Antarktis bei weitem: sie sollen jährlich 50 bis 130 Millionen Tonnen Krill verzehren – das macht mindestens gleichviel bis drei Mal mehr als die Wale für sich beanspruchen!

Aber auch Pinguine sind Krill-Liebhaber; beinahe alle Arten fressen Krill in unterschiedlichen Mengen. Für Kaiser-, Adélie-, Zügel-, Esels-, Goldschopf- und Felsenpinguin spielt Krill jedoch eine herausragende Rolle. Während ein Pinguin normalerweise höchstens ein Kilogramm Krill pro Tag benötigt, wurde aus dem Ross-Meer ein Beispiel extremer Völlerei publik: ein Adéliepinguin wurde dort mit 4200 Krillkrebsen im Magen ertappt, was über vier Kilogramm an Gewicht ausmachen kann…

Dank Untersuchungen weiss man, dass die vielen Millionen Zügelpinguine, die alleine auf den South Sandwich Islands leben (gut drei Viertel der Weltpopulation), 4000 Tonnen Krill pro Tag verspeisen, was „umgerechnet“ etwa 3,6 Milliarden einzelner Krillgarnelen entspricht. Auch auf einer Insel der South Orkney Islands hat man den dortigen fünf Millionen Adélie-Pinguinen genau auf den Schnabel geschaut und nachgerechnet – sie benötigen in einer Saison bis zu 9000 Tonnen Krill und Fischlarven, um ihre Jungen gross zu ziehen.

Solche Beispiele mögen genügen, um aufzuzeigen, wie wichtig die Stellung von Krill innerhalb der südpolaren Nahrungskette ist, vor allem der Art Euphausia superba, des Antarktischen Krills. Seine enorme Biomasse ist von herausragender Bedeutung für das Meeresökosystem des Südozeans. Die immensen Schwärme, zu denen sich insbesondere zwei Krillarten des Südozeans zusammenfinden, sind die grössten Ansammlungen von Leben im Meer.

In besonders dichten Schwärmen, die man Super-Schwärme nennt, können zwischen 10’000 und 30’000 einzelne Krebschen pro Kubikmeter Wasser gezählt werden. Wenn also Krill so häufig ist – wie viele Tonnen davon gibt es dann insgesamt auf dieser Welt? – Zwischen 60 Millionen und 155 Millionen Tonnen sollen es sein, eine Schätzung, die auf jüngeren akustischen Messungen beruht. Glaubt man der Fischerei-Industrie, die seit den 1960-er Jahren ein ständig wachsendes Interesse am Krillfang bekundet, soll es in den Weltmeeren 400 bis 500 Millionen Tonnen Krill geben. Kurz gesagt, niemand weiss es auch nur annähernd genau, wie viel Krill im Südozean herumzappelt.

Frisch gefangen und vorverdaut: Ein Eselpinguin füttert sein Junges mit einer Riesenportion Krill. (Foto: Heiner Kubny)

Absinken und wieder aufsteigen

Streng systematisch gesehen, gehört Krill zur Klasse der Krebse, innerhalb derer zu den Höheren Krebsen (Malacostraca). Darunter finden sich dann die Zehnfüsserkrebse (Decapoda) sowie die Leuchtkrebse, eben der Krill, welcher ein Kleinkrebs ist und den Garnelen ähnelt. An den Augen und am Rumpf besitzt Krill spezielle Organe, mit denen dank Biolumineszenz ein bläulich-grünes Licht erzeugt werden kann. Weltweit gibt es gegen 90 Arten von Krill, die sich in ihrer Grösse stark voneinander unterscheiden. Die kleinsten werden bloss einige Millimeter lang, die grössten Tiefseearten erreichen 15 cm Körperlänge. Als Tierart der küstenfernen, offenen Meere geht der Krill einer so genannten pelagischen Lebensweise nach und zählt zum Zooplankton.

Obwohl namentlich der Antarktische Krill (Euphausia superba) zu den wohl am besten dokumentierten, pelagisch lebenden Tierarten gehört, besteht weiterhin grosse Ungewissheit über gewisse Schlüsselrollen seiner Lebensweise. Auch ist unklar, welches die treibenden Kräfte sind hinter seiner enormen Häufigkeit und seiner weiten Verbreitung (mit einigen Kerngebieten besonders hoher Dichte) über gut 36 Millionen Quadratkilometer Ozean rund um Antarktika.

Auf jeden Fall beginnt ein Jungkrill sein Leben als Larve: befruchtete Weibchen setzen im antarktischen Sommer während bis zu zehn Stunden zwischen 1600 und 4000 Eier im Wasser ab und fördern das Absinken ihrer Eier durch kräftige Schläge mit ihren Brustbeinchen. Bald entwickeln sich aus den Eiern in unterschiedlichen Wassertiefen bis maximal rund 3000 m unter der Meeresoberfläche die Naupliuslarven, welche wieder aufzusteigen beginnen und gut einen Monat nach der Ablaichung die Wasseroberfläche erreichen. Hier wächst der Kleine weiter, und alle zwei bis drei Wochen wird es dem Krilljüngling zu eng in seinem Chitingehäuse: er häutet sich regelmässig. Und wenn er nicht vorher gefressen wird, kann er bis 6 Zentimeter gross und fünf bis sechs Jahre alt werden.

Eine aussergewöhnliche Entdeckung gelang den Forschern des British Antarctic Survey (BAS) und des National Oceanography Centre in Southampton. Sie, beziehungsweise ihr ferngesteuertes Unterwasservehikel, begegnete ausgewachsenem Krill, einschliesslich Weibchen im Ablaichstadium, in einer Tiefe von 3000 m vor der Antarktischen Halbinsel. Bisher hatte man angenommen, dass Krill – einmal erwachsen – nur in den obersten 150 Metern des Meeres leben würde.

Klein und leicht: Ein paar Dutzend Krill-Krebse. (Foto: Simon Wright, BAS)

„Grasen“ unter dem Eis

Und was, wenn das Meer im Südwinter zufriert? Je mehr Meereis, desto besser für die Krillgemeinschaft! Die Forschung hat unterdessen nachgewiesen, dass Dauer und Ausbreitung des Meereises die Ei-Ablage beeinflussen. Gute winterliche Meereisbedingungen führen zu einer frühzeitigen Fortpflanzung. Damit ist dann auch eine erfolgreiche Laichablage im Sommer garantiert.

Gute Eiswinter im Bereich der Antarktischen Halbinsel, wo die bedeutendsten Laich- und Aufzuchtgebiete des Antarktischen Krills zu finden sind, beeinflussen demnach nicht nur die Krilldichte in jener Zone, sondern schliessen noch Regionen mit ein, die weit nördlich der im Winter vereisten Meere liegen, so etwa die Gewässer um Südgeorgien.

Untersuchungen des deutschen Forschungsschiffes Polarstern haben verdeutlicht, dass sich Krill im Frühwinter, wenn der Südozean rasch zufriert, unter den Eisschollen sammelt. Auf der rauen, gezackten, unebenen Unterseite des Meereises beginnen Mikroalgen zu wachsen, die grosse Flächen bedecken. Während oben an der wahrlich frischen Luft alles stocksteif gefroren ist und höchstens ein paar Kaiserpinguine zwischen Brutkolonie und Wasserkante übers Eis watscheln, müssen sich die Krillschwärme unter dem Eisdeckel wie im Schlemmerparadies vorkommen: Sie weiden die Algenflächen ab. Ein einziges Krillkrebschen, dem der Magen knurrt, knabbert eine Eisfläche von der Grösse eines Briefpapiers in gut zwanzig Minuten sauber. Ist Gefahr im Anzug, versteckt sich der Krill in den Rissen und Spalten des Eises.

Ein junger Krill beim «Grasen». In 20 Minuten frisst er die Algen auf der Fläche eines A4-Blattes vom Eis. (Foto: Hauke Flores)

Gefahr durch Erwärmung

Es ist den Forschern noch nicht ganz klar, wie Krill den antarktischen Winter übersteht, zumal er offensichtlich keine Energie in Form von Fett speichern kann und auch die Algenrasen unterm Eis nicht überall und immer gleich ausgebildet sind. Bekannt ist, dass der Stoffwechsel auf ein nötiges Minimum herabgefahren wird. Im Labor hat man zudem herausgefunden, dass der Antarktische Krill bis zu 200 Tagen ohne Nahrung überstehen kann. Das schafft er aber bloss, weil das Tierchen schrumpft und den eigenen Körper aufzuzehren beginnt; das alles, um den Stoffwechsel in Gang zu halten.

Ohne Eis kein Krill im Südozean! Und das hätte verheerende Folgen für die Nahrungskette, in welcher derart viele Tiergruppen eingebunden sind. Besorgte Stimmen weisen darauf hin, dass es just die Antarktische Halbinsel ist, die sich im Zuge der globalen Klimaveränderung noch stärker erwärmt als der ganze Rest des Weissen Kontinentes. Die Zeichen dafür sind deutlich: In den letzten fünfzig Jahren stieg die Lufttemperatur in der Region der Halbinsel um 2,5°C – eine Rekordzunahme im weltweiten Vergleich! Die Anzahl der frostfreien Tage (mit Temperaturen über 0°C) hat um drei Viertel zugenommen, die UV-B-Strahlung hat sich verstärkt, das Wasser wird wärmer, und im gleichen Zeitraum sind fast 90 Prozent aller Gletscher auf der Halbinsel zurückgewichen.

Dem Schelfeis geht es laut dem British Antarctic Survey (BAS) nicht besser: sieben dieser bis zu einem Kilometer dicken Eisplatten sind allein an der Antarktischen Halbinsel durch die Wärme beeinflusst und zerfallen (z.B. Larsen- und Wilkins-Schelfeis). Vorausberechnungen lassen erwarten, dass die Fläche des Meereises weiterhin um rund 250’000 Quadratkilometer pro Jahrzehnt abnehmen wird.

Am Krill ist diese Entwicklung nicht spurlos vorübergegangen. Allerdings ist nicht gesichert, ob die Abnahme der Krillbestände um 80 Prozent seit Mitte der Siebzigerjahre im südwestlichen Atlantik, wo über die Hälfte des antarktischen Krills vorkommt, einzig auf die klimatische Erwärmung zurückzuführen ist. Wie auch immer: Tierarten, welche sich von Krill ernähren, reagieren bereits auf das magere Nahrungsangebot – ihre Bestände werden kleiner.

Krillbestände werden immer zielstrebiger befischt. Wieviel Nahrung die Menschen damit den Tieren wegnehmen, weiss niemand. «Skyfrost», der in Griechenland registrierte Kühlcontainer, neben dem russischen Kühlfrachter «Pamyat Ilicha» in der Discovery Bay in der Antarktis. (Foto: Paul Hilton / Greenpeace)

Krilljagd mit Fangschiffen

Ausgerechnet an diesem Punkt taucht nun die Fangflotte der Krill-Industrie am sich verdunkelnden Horizont auf. Zu einer Zeit, in der sich das Klima ändert, das Eis schmilzt, die Forscher noch an wichtigen Zusammenhängen aus dem Leben des Krills herumrätseln und die Krillpopulationen abgenommen haben, bekommen die Menschen Lust auf Krill.

Angefangen hat das Interesse an der Krillfischerei bereits anfangs der sechziger Jahre, als Fischereinationen wie die damalige Sowjetunion ein ernsthaftes Interesse am Krillfang in der Antarktis entwickelten. Die Zahlen der Wissenschaft klangen verlockend: weil die vielen hunderttausend Robben und Wale, die man seit der Entdeckung der Antarktis und bis in die 1960er Jahre dort abgeschlachtet hatte, nun keinen Krill mehr wegfressen, soll es einen Überschuss von 150 Millionen Tonnen Krill geben.

Die Annahme, dass diese Menge – weil von niemandem mehr konsumiert – einfach irgendwie verrottet, war allzu simpel. Doch allein das Rechenbeispiel genügte, um den Fangnationen ein schier unerschöpfliches Potential vorzugaukeln.

Kam hinzu, dass Ende der siebziger Jahre die 200-Meilen-Zone als Hoheitsgebiet der jeweiligen Küstenländer eingeführt wurde. Nicht so in der Antarktis, deren internationale Gewässer keine solche Zone kannten – und mit ihrem Krillreichtum deshalb geradezu als willkommene Alternative lockten.

Nach einer Anfangsphase setzte 1973 die kommerzielle Nutzung der Bestände des Antarktischen Krills ein, expandierte rasch, erreichte 1982 mit 530’000 Tonnen ihren ersten Höhepunkt und bildet seither, trotz augenblicklich geringeren Fangmengen, den grössten Anteil der Fischerei im Südozean. Die Fangsaison dauert jeweils vom 1. Dezember bis 30. November.

Betrug die durchschnittliche Fangmenge an Krill für die Jahre 2004 bis 2013 rund 156’000 Tonnen pro Jahr, so stieg der Ertrag allein für das Jahr 2019 auf über 380’000 Tonnen, wie die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) in einem Bericht zur globalen Fischerei festhält. Dies seien die höchsten Fangmengen seit den frühen 1990-er Jahren.  Sie werden von einem guten Dutzend Fangschiffen erzielt. Die mögliche jährliche Höchstfangmenge allein im südatlantischen Sektor des Südozeans wurde bei 620’000 Tonnen festgelegt.

Im Frühling 2020 liess Russland die Welt wissen, dass es bald wieder eigene Fischereischiffe zum Krillfang in die Antarktis entsenden will – seit gut zehn Jahren hat das riesige Land die antarktischen Fanggebiete anderen Nationen überlassen und nicht mehr mitgefischt. Dies soll sich nun wieder ändern.

Im Gegenzug zu den steigenden Fangzahlen hat die Vereinigung für verantwortungsvolle Krillfischerei (ARK) 2018 von sich aus etliche küstennahe Meeresgebiete an der Antarktischen Halbinsel zu Sperrzonen erklärt, hauptsächlich in der Nähe bedeutender Pinguinkolonien.

Krill-Produkte werden für Menschen immer wichtiger: unter anderem als Fischfutter (links) oder als reichhaltiges Öl zur Nahrungsergänzung (rechts). (Foto: Archiv)

Vielfältige Krill-Produkte

Es hat sich unterdessen gezeigt, dass Krill viel Protein und Fette enthält. Vor allem ist er sehr reich an gewissen mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren, die wichtig sind für Stoffwechsel, Herz- und Kreislauffunktionen, Knochen, Gelenke und Gehirn. Obwohl man diese essentiellen Fettsäuren auch in Algenölen und in Obst findet, kurbelt die Krill-Industrie die Vermarktung von Krillöl zur Förderung der menschlichen Gesundheit kräftig an.

So ist zum Beispiel die Zahl der Krillölpatente für pharmazeutische Produkte und Nahrungsergänzungsmittel in den letzten Jahren stark angestiegen. Im Moment ist allerdings gefrorenes Krillschwanzfleisch das wichtigste Produkt für den menschlichen Verzehr.

Auch für pharmazeutische und industrielle Anwendungen wird Krill verarbeitet. Aus seinen Schalen stellt man Chitin und Chitosan her (für Schaumstoffe, medizinische Produkte, Fasern, Folien, Zahnpasta, Papierherstellung u.a.). Enzyme des Krills helfen Restauratoren, Kunstwerke wiederherzustellen.

Allerdings wartet ein noch viel grösserer Markt gierig auf die Krillprodukte: Fischfarmen, von denen es weltweit immer mehr gibt, brauchen Futter. Der Einsatz von Krill als Futter in den sogenannten Aquakulturen scheint Investitionen in die Krillfischerei anzuregen, weil es insbesondere den Lachsfarmen an genügend Futter für ihre Fische fehlt.

Jetzt betreten wir unweigerlich einen Bereich, der die horrende Verschwendung von Ressourcen beim heutigen Fischkonsum offenbart: Bereits stammt jeder zweite Fisch, der auf einem Teller landet, aus einer Fischzucht (meist aus Asien). Es erstaunt deshalb nicht, dass die Fischfarmindustrie beinahe die gesamte Welterzeugung an Fischöl und über die Hälfte des Fischmehls als Futtermittel verbraucht.

Zum Verwechseln ähnlich: Der norwegische Krill (Meganyctphanes norvegica). Das Wort Krill stammt aus dem Norwegischen und bedeutet Walnahrung. (Foto: Wikimedia)

Krillfang nimmt zu

Die weltweit benötigte Futtermenge nimmt zu, der Wirkungsgrad bleibt schlecht: es braucht 20 Kilogramm Fischfutter, um 1 Kilogramm Fisch zu produzieren… Da kommt die Alternative Krill in Zeiten eines schrumpfenden Angebotes gerade recht, denn die Fischereiindustrie kämpft mit stagnierenden Fangmengen. Krill gilt wegen seiner Fülle an Proteinen und Aminosäuren als hochwertiges, attraktives Energiefutter. Seine Pigmente verleihen dem Zuchtlachs eine appetitliche Farbe, sein geringer Gehalt an Giftstoffen lässt den Krill gegenüber den herkömmlichen Fischprodukten hervorstechen.

Die Nachfrage nach Krillprodukten wächst also rasant. Dieser Umstand und die Tatsache, dass die Krillfischerei auf der Nordhalbkugel mit gesetzlichen Einschränkungen zu kämpfen hat, konzentriert das Interesse der Industrie auf die Krillbestände des Südozeans rund um die Antarktis. Dort wird sich der Druck auf diese Krebschen – notabene ein Fundament der dortigen Nahrungskette – innert kurzer Zeit noch erhöhen.

Doch Probleme zeichnen sich seit längerem ab. So überschneiden sich die Krillfangregionen weitgehend mit den Brut- und Nahrungsgebieten von Pinguinen und Robben, weil die Fangschiffe hauptsächlich in den Küstengebieten aktiv sind. Zudem weiss niemand, wie viel Krill tatsächlich im Südozean vorkommt – die Bestandsschätzungen sind zu ungenau. Wie viel Krill brauchen Wale, Pinguine & Co. tatsächlich zum Überleben? Und in welchem Masse beeinflussen Zu- und Abwanderungen an Krill die Bestandsszahlen in den einzelnen Fanggebieten?

Streit um Regelungen

Im Jahre 1982 wurde im Rahmen des Antarktisvertrages das „Übereinkommen über die Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis“ gegründet (CCAMLR / Convention on the Conservation of Antarctic Marine Living Resources). Dieses Abkommen versucht, den Erhalt und Schutz der Meerestiere mit dem Krillfang in Einklang zu bringen. Die CCAMLR ist das erste internationale Fischereiabkommen, in dem auch ökosystemische und vorbeugende Ansätze einfliessen.

Die Schlüsselposition von Krill im antarktischen Ökosystem spielt bei der Formulierung der Grundprinzipien der CCAMLR eine grosse Rolle. Trotz eines fortschrittlichen Ansatzes sieht sich dieses Abkommen wachsender Kritik ausgesetzt, so etwa deshalb, weil die Fangquoten für riesige Gebiete gelten, die Fänge selbst aber schliesslich auf nur rund einem Fünftel dieser Flächen stattfinden.

Mehrere Fischereinationen sperren sich immer wieder gegen eine Verfeinerung der Quoten-/Gebietsaufteilung trotz Nachweisen, dass die derzeitige Praxis Krillfresser wie Pinguine und Fische negativ beeinflusst. Es fehlt an ausreichender Überwachung der Fangschiffe, und unterschiedliche Umrechnungsfaktoren vom verarbeiteten Fang zurück zum Originalgewicht könnten die effektiv gemeldeten Mengen vier Mal kleiner erscheinen lassen, als was tatsächlich aus dem Meer geholt wurde.

Der Antarktische Krill, die kleine Leuchtgarnele aus den Weiten des Südozeans, hat wie kein anderes Tier dieser Weltgegend die Vorstellungskraft von Biologen, Politikern und Industriellen gleichermassen angeregt. Es bleibt zu hoffen, dass dem Schutzgedanken grösseres Gewicht beigemessen wird als der Profitgier. Nichts wäre schlimmer, als den Walen, Robben und Pinguinen der Antarktis jetzt auch noch die Nahrung streitig zu machen.

Die Krillfresser

Wichtige Tierarten, die unmittelbar vom Krill als Nahrungsquelle abhängen

Vögel

  • Seevögel konsumieren im Allgemeinen grosse Mengen an Krill. Adéliepinguine allein vertilgen über vier Fünftel allen Krills, der von Seevögeln in der Antarktis konsumiert wird.
  • Pinguine: Kaiserpinguin, Adéliepinguin, Zügel- oder Kehlstreifpinguin, Goldschopf- oder Macaronipinguin, Eselspinguin, Felsenpinguin
  • Albatrosse: Schwarzbrauenalbatros, Graumantel-Russalbatros, Graukopfalbatros
  • Sturmvögel: Riesensturmvogel, Hallsturmvogel, Antarktissturmvogel, Kapsturmvogel, Schneesturmvogel, Sturmtaucher (mehrere Arten), Weisskinnsturmvogel
  • Sturmschwalben und Walvögel

Säugetiere

  • Robben: Mit Ausnahme des Südlichen See-Elefanten fressen alle Robben der Antarktis in einem bestimmten Ausmass Krill. Krabbenfresserrobbe, Seeleopard, Weddellrobbe, Rossrobbe, Seebär
  • Wale: Zwergwal, Blauwal, Finnwal, Seiwal, Buckelwal

Fische

  • Fische und Kalmare/Tintenfische. Einige Fischarten und Kalmare im Südlichen Ozean leben von Krill. Genaue Daten über die Population der Kalmare fehlen, man nimmt jedoch an, dass sich diese Tiergruppe auch von anderen Organismen ernährt.

Von  Peter Balwin (Text)

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