Weddellrobben-Langzeitstudie trotz Pandemie fortgeführt | Polarjournal
Bei der Geburt wiegt eine neugeborene Weddellrobbe nur etwa 30 Kilogramm. Innerhalb von fünf bis sechs Wochen wächst das Jungtier auf über 100 Kilogramm heran. Foto: Mike Lucibella, National Science Foundation

Eines der wenigen Forschungsteams, die trotz Pandemie ihre Projekte weiterführten, studiert seit Jahrzehnten die Weddellrobben in der Nähe der US-amerikanischen McMurdo Station auf Ross Island in der Antarktis. Das Team um Professor Jay Rotella, Ökologe an der Montana State University, versucht zu verstehen, mit welchen Verhaltensweisen Robbenmütter das spätere Leben ihrer Jungen positiv oder negativ beeinflussen. Eine Unterbrechung ihrer Forschung hätte ein großes Loch in die 52-jährige Datenreihe gerissen.

Die Pandemie zwingt viele Wissenschaftler dazu, wegen der Reisebeschränkungen und der Gefahr, das Virus in die wenigen virusfreien Regionen und Forschungsstationen einzuschleppen, ihre Feldforschung zu verschieben. Doch es gibt Forschungsprojekte, die kann man nicht einfach für ein oder zwei Jahre aussetzen. Manche dieser Projekte haben teilweise über viele Jahre oder gar Jahrzehnte einen Datenschatz gesammelt und es wäre ein großer Verlust, wenn die Langzeitreihen unterbrochen würden. Dazu gehört auch die Langzeitstudie über Weddellrobben im antarktischen McMurdo Sound, die dank der jahrzehntelangen Forschung zu den am besten studierten Säugetieren der Erde zählen. Und so entschied das amerikanische Team im letzten Jahr, die wertvolle Datenreihe nicht zu unterbrechen und seine Untersuchungen an den Robben unter den erschwerten Pandemiebedingungen fortzusetzen. 

Jedes Jahr werden alle 500 bis 600 neugeborenen Welpen in der Kolonie rund um die McMurdo Station von den Wissenschaftlern gezählt, vermessen und markiert. Foto: Parker Levinson

Das Projekt liefert wichtige Erkenntnisse über die Gesundheit des antarktischen Ökosystems angesichts des Klimawandels. Viele andere Forschungsgruppen sind auf dessen Daten angewiesen und selbst eine einjährige Unterbrechung würde laut Aussage des Forschungsteams dem Datensatz irreparablen Schaden zufügen. Um die Studie  auch während der Pandemie weiterführen zu können, wurde die Größe des Teams auf ein Minimum reduziert. Ebenso musste auf das übliche Feldlager verzichtet werden und die Arbeiten wurden von der McMurdo Station aus durchgeführt. 

Zählen und Markieren
Der zentrale Fokus des Projekts liegt auf der Populationsdynamik. In der Vergangenheit lernten Rotella und seine Kollegen viel darüber, wie die Körpermasse eines Tieres mit seiner Fähigkeit zu überleben und sich fortzupflanzen zusammenhängt.
«Im aktuellen Projekt geht es darum, was eine Mutter für ihr Baby tut und wie sich das auf die Chancen des Babys auswirkt, zu überleben und Nachkommen zu produzieren», erklärt Rotella. Seine Doktorandin Kaitlin Macdonald fügt hinzu: «Wir markieren jedes einzelne Jungtier, das im Untersuchungsgebiet geboren wird und das ist so ziemlich das Wichtigste, was wir tun. So wissen wir, wie viele Jungtiere geboren wurden und wir können die Mütter den Jungtieren zuordnen. Wir wissen auch, welche Robben in einem bestimmten Jahr ein Jungtier hatten und welche nicht. Das erlaubt uns, die Reproduktionsraten abzuschätzen und wir können das Alter der Individuen erkennen, wenn diese Welpen als Erwachsene zurückkommen.» Die Markierungen haben jedes Jahr eine andere Farbe, sodass in den Folgejahren, wenn die weiblichen Tiere zu ihrem Geburtsort zurückkehren, um selbst zu gebären, die Altersbestimmung und das Ermitteln der Überlebensrate leicht fällt. Außerdem nehmen die Wissenschaftler auf, wann sich die Weibchen erstmals fortpflanzen, wann ihre Reproduktionsrate höher ist und wann niedriger und ob sich dies im Laufe ihres Lebens ändert.

Jedes Neugeborene bekommt eine Markierung mit einer Nummer, die es den Forschern ermöglicht, die Tiere auch Jahre später individuell zu erkennen. Die Farbe des Markers ist jedes Jahr eine andere, damit die Altersbestimmung schnell und einfach möglich ist. Foto: Mike Lucibella, National Science Foundation

Über die Jahre konnten sich die Forscher so ein sehr genaues Bild über das Leben der Weddellrobben machen und sind nun in der Lage abzuschätzen, welche Faktoren die Population beeinflussen. «Indem wir die Daten intakt halten, tun wir zwei Dinge. Jedes Jahr wissen wir, wie es der Population geht und wie sie auf die jeweiligen Meereisbedingungen, die Fischerei und andere Aktivitäten reagiert», so Rotella. «Wir stellen auch die lebenslange Fortpflanzungsgeschichte aller Weibchen zusammen, die im Untersuchungsgebiet geboren wurden.»

Wäre das Team nicht in der Lage gewesen, in die Antarktis zu reisen, wären die 500 bis 600 neugeborenen Robben im letzten Jahr ohne Markierung geblieben und eine spätere Altersbestimmung wäre unmöglich. Dies hätte einen unwiederbringlichen Verlust für den Datensatz bedeutet.

«Dieses Projekt sammelt seit den 1960er Jahren Daten auf diese Weise und ist eines der am längsten laufenden Projekte über ein langlebiges Säugetier in der Welt. [Sie sind] ein Sentinel des Südpolarmeeres, ein Indikator dafür, wie es dem Ökosystem geht.»

Professor Jay Rotella, Projektleiter und Ökologe an der Montana State University, Bozeman, MT, USA

Zu verstehen, wie Robben auf Umweltveränderungen reagieren und was das über die Gesundheit des sie umgebenden Ökosystems aussagt, hat einen zusätzlichen Impuls erhalten, da sich die weitreichenden Veränderungen, die mit dem Klimawandel verbunden sind, überall auf dem eisigen Kontinent zu manifestieren beginnen.

Professor Jay Rotella ist seit 2002 Projektleiter der Langzeitstudie. Mit seinem Team verbringt er jedes Jahr sechs Wochen bei den Weddellrobben. Foto: Mike Lucibella, National Science Foundation

Normalität bei den Weddellrobben
Für die Robben dreht sich die Welt weiter wie bisher. Wie in jedem Jahr lagen die Mütter mit ihren Jungtieren auf dem Meereis als die Forscher an der Station ankamen. «Es ist interessant zu sehen, wie die Kolonien einfach weitermachen. Sie wissen nicht, dass eine Pandemie im Gange ist», so Macdonald.

Die Wissenschaftler mussten dagegen einige Einschränkungen hinnehmen. Mit drei Forschern war das Team nur halb so groß wie üblicherweise und die Arbeitslast trotz Vernachlässigung weniger wichtiger Aspekte für jeden einzelnen entsprechend höher. Zudem konnten sie das Camp auf dem Meereis nicht aufbauen und mussten so täglich mehrere Stunden mit dem Schneemobil zur Robbenkolonie fahren.

Weddellrobben ruhen sich mit Abstand zueinander auf dem zugefrorenen Rossmeer aus. Foto: Tien Lai, National Science Foundation

Unabhängig davon war die Meereissituation anders als in früheren Jahren. Das Eis war nicht so dick gefroren und die Eiskante war viel näher als sonst, sodass es viel offenes Wasser in der Nähe der Kolonie gab. Dennoch waren die Forscher über die Bedingungen erfreut: «Dieses Jahr ist aus wissenschaftlicher Sicht ein fantastisches Jahr, denn wir haben die geringste Eisbedeckung, die wir in der Zeit, in der wir an dem Projekt arbeiten, hatten, und eines der eisärmsten Jahre seit den späten 1970er Jahren», so Rotella. «Daten darüber zu erhalten, wie die Population in einem Jahr wie diesem reagiert, ist wirklich hervorragend, um zu sehen, wie die Robben auf Veränderungen in der Umwelt reagieren und so sind wir wirklich glücklich, in einem Jahr wie diesem dabei zu sein.»

Die ersten Ergebnisse der letzten Jahre zeigen, dass junge Mütter während der Jungenaufzucht mehr an Gewicht verlieren als Tiere im besten Alter; der Massentransfer wird also mit zunehmendem Alter effizienter. Das könnte daran liegen, dass erstmals gebärende Weibchen physiologisch noch nicht vollständig entwickelt sind. Hingegen konnten die Forscher nur einen schwachen Zusammenhang zwischen dem Gewicht der Jungtiere bei der Entwöhnung und dem Alter der Mutter feststellen.

Auch wenn im letzten Jahr nicht alle Untersuchungen im gewohnten Umfang fortgeführt werden konnten, haben Rotella und sein Team die wichtigsten Daten sammeln können und so die Langzeitstudie ohne große Lücken am Leben erhalten.

Julia Hager, PolarJournal

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