Künstliche Intelligenz zum Schutz Nordatlantischer Glattwale | Polarjournal
Nordatlantische Glattwale halten sich häufig in Küstennähe und an der Wasseroberfläche auf, wie dieses Kalb beim Fressen von Zooplankton. Dieses Verhalten erhöht die Gefahr von Kollisionen mit Schiffen. Foto: New England Aquarium

Nordatlantische Glattwale gehören zu den am stärksten bedrohten Walarten auf unserem Planeten. Eine der größten Gefahren für sie ist der immense Schiffsverkehr entlang ihrer Wanderrouten. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz soll die Gefahr von Kollisionen nun minimiert werden. Dafür investiert die kanadische Regierung im Rahmen der smartWhales-Initiative 5,3 Millionen Dollar in fünf Projekte, um die Entwicklung innovativer Lösungen voranzutreiben, die helfen sollen die Wale in kanadischen Gewässern zu erkennen, zu überwachen und ihre Wanderrouten vorherzusagen.

Dieser Nordatlantische Glattwal ist Eros, er wurde 2007 geboren. 2008 wurde er vor Florida gesichtet und von Fischernetzen und -leinen befreit, in denen er sich verfangen hatte. Die Narbe auf seinem Rücken stammt von einer Verletzung mit einem Schiffspropeller in 2012. Foto: Christin Khan, NOAA

Weltweit gibt es drei Glattwalarten, auf Englisch Right Whale — der «richtige» Wal. Die gutmütigen Glattwale waren das bevorzugte Ziel von Walfängern, da sie beim Fressen langsam an der Oberfläche schwimmen, meist in Küstennähe bleiben und sie nach dem Töten wegen ihrer dicken Fettschicht nicht absinken. Diese Eigenschaften brachten die Tiere an den Rand der Ausrottung. Bis heute haben sich die beiden nördlichen Arten — Nordpazifischer Glattwal und Nordatlantischer Glattwal — nicht von der erbarmungslosen Jagd erholt. Die östliche Population der Nordpazifischen Glattwale hat wahrscheinlich nur noch 30 Tiere, die Gesamtpopulation wenige hundert. Für die Nordatlantischen Glattwale sieht es nicht besser aus: Laut aktuellen Schätzungen des North Atlantic Right Whale Consortium gab es 2020 nur noch 356 von ihnen (2019 waren es 409), mit weniger als 100 Weibchen im fortpflanzungsfähigen Alter. Die verschiedenen Populationen der Südlichen Glattwale auf der Südhalbkugel konnten sich teilweise erholen. Die Gesamtindividuenzahl wird auf über 13.000 geschätzt.
Alle drei Arten verbringen die Sommer in hohen Breiten, wo sie das gute Nahrungsangebot nutzen und die Winter in gemäßigten Breiten oder den Subtropen, um sich fortzupflanzen und ihre Jungen zu gebären. Zu den größten Gefahren auf ihren Wanderungen zählen Kollisionen mit Schiffen und Fischernetze und -leinen, in denen sie sich verfangen und verletzen.
Zumindest für die Nordatlantischen Glattwale ist nun ein besserer Schutz während ihrer Wanderungen in Sicht.

„Wale im offenen Ozean zu zählen ist wie die Suche nach Nadeln im sprichwörtlichen Heuhaufen. Sie mögen die größten Tiere auf dem Planeten sein, aber sie sind winzig, wenn man auf Ozean-Ebene suchen muss. Die Entwicklung eines KI-Ansatzes, um sie automatisch aus Satellitenbildern zu identifizieren, wird uns helfen, ihre Anzahl, ihre Bewegungen und ihre Bedrohungen in den Meeren zu verstehen, die immer stärker von der Menschheit bevölkert und genutzt werden.“

Dr. Peter Fretwell, Projektleiter «Wildlife from Space» beim British Antarctic Survey

Die kanadische Regierung rief dafür die smartWhales-Initiative ins Leben, die geleitet von der Kanadischen Raumfahrtbehörde CSA in den nächsten drei Jahren fünf Projekte finanziert zum Schutz der Nordatlantischen Glattwale mit Hilfe von Satellitendaten, darunter ein Projekt zur Überwachung der Glattwale und ihres Lebensraums sowie ein Projekt zur Entwicklung eines Systems, das nahezu in Echtzeit Informationen über die prognostizierte Anwesenheit der Glattwale und das potenzielle Risiko einer Begegnung mit einem Schiff liefert.

Große Karte: Das Verbreitungsgebiet der Nordatlantischen Glattwale erstreckt sich theoretisch fast über den gesamten Nordatlantik bis in die Arktis hinein. Sichtungen gibt es jedoch fast nur noch im westlichen Atlantik. (Marine Mammal Commission) Kleine Karte: Positionen von Schiffen im Nordatlantik am 5. Februar 2021, 13:30 Uhr. Grün – Frachtschiffe, Rot – Tanker, Orange – Fischereischiffe (www.marinetraffic.com).

Mehrere Institute und Organisationen, darunter der British Antarctic Survey, das Bigelow Laboratory for Ocean Sciences, die Dalhousie University und das Ocean Frontier Institute, werden gemeinsam an der Entwicklung einer Lösung arbeiten, die mithilfe von maschinellem Lernen und hochauflösenden Satellitenbildern die Wale erkennt. Anhand der Bilder, die auf der KI-basierten Plattform OCIANA™ gehostet werden, können Warnungen und Routenempfehlungen an Schiffe gegeben werden, um Kollisionen mit den Walen zu vermeiden. Als Teil der globalen Routing-Lösung werden Schiffe auch Routen- und Geschwindigkeitsempfehlungen erhalten, wenn sich Wale in dem Gebiet aufhalten.
OCIANA™ ist eine KI-basierte Plattform des Unternehmens Global Spatial Technology Solutions (GSTS), die große Datenmengen von einer Reihe von satelliten- und ozeanbasierten Sensoren aufnimmt, die Informationen zu Ozean, Wetter, Schiffen, Häfen und Aktivitäten von Meeresbewohnern enthalten.

Übersicht über die Todesursachen von Nordatlantischen Glattwalen seit 1970. Blau – Schiffskollision, Orange – Verfangen in Netzen, Leinen o.ä., Gelb – vor/nach der Geburt, Grau – unbekannt, Hellblau – schwere Verletzung. Grafik: U.S. National Marine Fisheries Service

«Dies ist eine Gelegenheit, unsere Vision umzusetzen, ein Katalysator zwischen sinnvoller Ozeanforschung und ihrer realen Anwendung in Regierung, Industrie und Gesellschaft zu sein. Informationen bereitzustellen, die von Entscheidungsträgern genutzt werden können, um sicherzustellen, dass wir diese Wale sicher halten, dass wir so viel wie möglich über sie herausfinden und dass wir alles tun, was wir können, um sicherzustellen, dass alle Wale überleben», so Olivia Pisano, Doktorandin an der Dalhousie University.

Es bleibt zu hoffen, dass die Initiative Erfolg hat und für die vom Aussterben bedrohten Nordatlantischen Glattwale noch rechtzeitig kommt. Vielleicht lassen sich die Entwicklungen dann nicht nur in kanadischen Gewässern und auch auf andere Walarten anwenden.

Julia Hager, PolarJournal

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