Christopher Columbus wird zwar die Entdeckung Nordamerikas auf dem Seeweg im Jahr 1492 zugeschrieben, doch blaue Glasperlen aus Venedig gelangten offenbar Jahrzehnte vor ihm ins arktische Alaska. Amerikanische Archäologen fanden die heidelbeergroßen Perlen bei Ausgrabungen in der Brooks Range im Norden Alaskas und datierten ihren Fund auf das 15. Jahrhundert. Die Perlen könnten somit die ersten europäischen Gegenstände sein, die Nordamerika erreichten.
Das Ausgrabungsteam fand bei Grabungen in den Jahren 2004 und 2005 drei Perlen zusammen mit Schmuck aus Metall und Pflanzenfasern bei Punyik Point, der aus archäologischer Sicht große Bedeutung hat. Heute ist Punyik Point unbewohnt, doch in der Vergangenheit war dort ein saisonales Lager, das Generationen von Inuit aus dem Landesinneren genutzt haben. Alte Handelsrouten führten hier vorbei und wahrscheinlich war es auch ein guter Platz für die Jagd auf Karibus. Archäologen graben schon seit langer Zeit an dieser Stelle. In den 1950er und 1960er Jahren fand William Irving von der University of Wisconsin bereits zwei dieser Glasperlen in Punyik Point.
Mindestens zehn der kleinen blauen Perlen mit einem Loch in der Mitte, die im italienischen Venedig hergestellt wurden, überstanden die Jahrhunderte an drei verschiedenen Orten weitgehend unbeschadet im kalten Tundraboden. Die Archäologen Mike Kunz und Robin Mills haben vor kurzem das Geheimnis der Perlen in einer Studie entschlüsselt, die in der Fachzeitschrift American Antiquity veröffentlicht wurde, wie die University of Alaska Fairbanks in einer Pressemitteilung schreibt.
Die Pflanzenfasern, die um einen der Metallringe gewickelt waren und in unmittelbarer Nähe der Perlen gefunden wurden, erlaubten den beiden Archäologen eine recht genaue Altersbestimmung mittels Beschleuniger-Massenspektrometrie. Die Kohlenstoffdatierung ergab, dass die Perlen zwischen 1440 und 1480 in Punyik Point angekommen sein müssen, Jahre bevor Columbus überhaupt an seine Reise dachte. Ein Ergebnis, das die Archäologen überwältigte.
«Wir sind fast rückwärts umgefallen. Es kam zurück und besagte, dass (die Pflanze) irgendwann in den 1400er Jahren lebendig war. It was like, wow!»
Mike Kunz, Archäologe an der University of Fairbanks, Alaska
Mit diesem Ergebnis, das später durch ähnliche Funde an zwei anderen Orten in der Arktis Alaskas bestätigt wurde, wussten die Archäologen, dass diese erbsengroßen Objekte eine große Geschichte erzählten. «Dies war das früheste Auftauchen von zweifellos europäischem Material in der Neuen Welt durch Überlandtransport», so Kunz.
Durch das Studium der Geschichte der Glasperlenherstellung in Venedig, fanden sie heraus, dass die Perlen aus der für ihre Glaskunst berühmten Lagunenstadt stammen müssen. Doch wie kamen die Perlen, die an keiner Grabungsstelle westlich der Rocky Mountains gefunden wurden, von den Kanälen Venedigs einmal halb um den Erdball auf ein Plateau in der Brooks Range?
In den 1400er Jahren trieben Handwerker im Stadtstaat Venedig mit Menschen in ganz Asien Handel und Perlen waren damals wertvolle Handelsgüter, die als Währung genutzt wurden. Die Autoren vermuten daher, dass die «Handelsperlen» in einem Pferdewagen entlang der Seidenstraße ostwärts nach China gereist sein könnten. Von dort aus «fanden diese frühen venezianischen Perlen ihren Weg in das Hinterland der Ureinwohner, wobei einige bis in den russischen Fernen Osten gelangten», schreiben sie in ihrer aktuellen Studie.
Laut der Beschreibung in der Pressemitteilung könnte nach dieser großen Reise ein Händler die Perlen in seinem Kajak am westlichen Ufer der Beringsee verstaut haben. Dann tauchte er sein Paddel ein und machte sich auf den Weg in die Neue Welt, das heutige Alaska. Bei der Überquerung der Beringstraße an ihrer engsten Stelle musste er etwa 84 Kilometer offenen Ozean meistern.
Kunz und Mills glauben, dass die Perlen wahrscheinlich in einem alten Handelszentrum namens Shashalik ankamen, nördlich des heutigen Kotzebue. Von dort wurden sie von Menschen zu Fuß, vielleicht mit ein paar Hunden, tief in die Brooks Range getragen.
Bei Punyik Point könnte jemand die exotischen blauen Perlen an einer Kette aufgereiht haben, die er verlor oder zurückließ, als er weiterzog. Die winzigen blauen Kugeln ruhten dann jahrhundertelang am Eingang zu einem unterirdischen Haus nördlich des Polarkreises und warteten darauf, gefunden zu werden.
Julia Hager, PolarJournal
Sehr spannend, was so kleine Gegenstände erzählen können.