Wie gefährdet sind antarktische Tiere durch SARS-CoV-2? | Polarjournal
Als das Virus seinen Siegeszug rund um den Globus begann, hatte die touristische Antarktissaison einen zahlenmässigen Höhepunkt erreicht. Fast 74’000 Menschen hatten die antarktische Wildnis besucht. Das führte zu Besorgnis einer Einschleppung von COVID. Doch das Virus auf den Kontinent eingeschleppt hatte dann doch chilenisches Stationspersonal. Bild: Michael Wenger

Das SARS-CoV-2-Virus ist nun seit mittlerweile über einem Jahr das beherrschende Thema weltweit. Das Coronavirus hat auch zwischenzeitlich alle Kontinente erreicht, auch Antarktika. Hier haben sich Wissenschaftler seit dem Beginn der Pandemie auch die Frage gestellt, ob das Virus von Menschen wieder auf Tier rückübertragen werden kann. Ein internationales Expertenteam hat diese Frage wissenschaftlich untersucht und hat verschiedene Übertragungswege und die Risiken identifiziert.

Die 15-köpfige Forschungsgruppe mit dem spanischen Pinguinforscher Andrés Barbosa als Erstautor der Studie kam zum Schluss, dass sowohl Touristen wie auch Stationspersonal, welches mit der antarktischen Tierwelt in Kontakt kommt, ein Risiko für die antarktische Tierwelt darstellen. Gleichzeitig erklärt das Team aber auch, dass die Höhe des Risikos einer Rückübertragung des SARS-CoV-2-Virus nicht hinreichend geklärt ist. Ausserdem veröffentlichten sie eine Liste mit Richtlinien und Massnahmen, unter derer Berücksichtigung das Übertragungsrisiko weiter reduziert werden kann. Die Arbeit der Forschungsgruppe wurde im vergangenen November online und am 10. Februar schriftlich in der Fachzeitschrift Science of the Total Environment veröffentlicht.

In ihrer Arbeit legte die Forschungsgruppe Beweise vor, dass Wale aufgrund ihres genetischen Aufbaus eine höhere Anfälligkeit auf das SARS-CoV-2-Virus aufweisen könnten als Pinguine und Robben. Doch eine Übertragung des Virus im Wasser wurde bisher noch nicht nachgewiesen. Bild: Michael Wenger

Der Ursprung des SARS-CoV-2-Virus liegt nach gegenwärtigem Stand des Wissens in der Tierwelt und ist durch engen Kontakt auf Menschen übergesprungen, eine sogenannte Zoonose. Das Forschungsteam untersuchte nun die Möglichkeit, ob eine Rückübertragung, eine Re-Zoonose, auf die Tiere der Antarktis überhaupt möglich sei. Dazu verglichen sie Studien über die genetische Struktur der verschiedenen Tiergruppen, die in der Antarktis mit Menschen in Kontakt kommen könnten. Sie kamen zum Schluss, dass zwar Wale aufgrund ihrer Genetik und dem Aufbau ihrer Rezeptoren in den Zellen eine höhere Anfälligkeit auf das Virus aufweisen als Pinguine oder Robben. Doch sie schreiben auch, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht genügend Daten über die Übertragungsmöglichkeiten vorliegen. Daher rufen sie auf, das Vorsichtsprinzip walten zu lassen. Denn es sei nicht auszuschliessen, dass besonders Forscher, die aufgrund ihrer Arbeit einen näheren Kontakt zu Tieren haben, eine mögliche Übertragungsroute seien. Auch warnen sie davor, dass das Virus, wenn eingeschleppt durch Menschen, sich auch im Abwasser von Stationen oder Schiffen befinden könnte.

Die Regeln der IAATO, die den Tourismus in der Antarktis auf nachhaltige und umweltverträgliche Art und Weise durchführt, sorgen schon seit Jahren dafür, dass die Tier- und Pflanzenwelt vor der Übertragung von Krankheiten geschützt ist. Abstand zu Tieren von mindestens 5 Metern gehören dazu. Das Streicheln von Tieren ist grundsätzlich verboten. Bild: Michael Wenger

In ihrer Arbeit führt das Team Empfehlungen auf, wie das Risiko einer Übertragung noch weiter minimiert werden kann. Neben den üblichen Hygiene- und Abstandsmassnahmen, die bereits durch den Antarktisvertrag festgelegt sind und den verstärkten Massnahmen, die von den Antarktisprogrammen zum Schutz vor einer Einschleppung des Virus in die Stationen durchgeführt werden, empfehlen sie, dass zusätzliche Schutzkleindung, Masken und Brillen getragen werden sollte, wenn mit Tieren gearbeitet wird. Für touristische Besuche empfehlen sie, dass auch hier alle Beteiligten im Vorfeld mehrere Tests und Quarantänen durchlaufen sollten, bevor ein Schiff betreten wird, dass die Abstände zu Tieren in jedem Fall eingehalten werden sollen (auch wenn ein Tier auf jemanden zugeht) und alle weiteren IAATO-Regeln strikte umgesetzt werden müssen. Besonderes Augenmerk sollte auf eine Überwachung von SARS-CoV-2-Viren im Abwasser von Schiffen und Stationen gelegt werden. Denn so kann auch festgestellt werden, ob sich das Virus nicht doch in eine Station oder ein Schiff eingeschlichen hat.

Die Tierwelt der Antarktis ist für die meisten Menschen der Hauptgrund, überhaupt in die Antarktis zu fahren. Sei es aus wissenschaftlichen Gründen oder um das Wildniserlebnis zu spüren, Pinguine, Wale und Robben sind die Stars der Antarktis. Gerade Touristen hoffen auf möglichst nahe Erfahrungen. Doch der Schutz der Tiere geht immer vor, mit oder ohne Virus. Bild: Michael Wenger

Kommentar des Autors

Die Arbeit von Andrés Barbosa und den 14 anderen Forschern, die allesamt Experten in ihren Feldern und in der Antarktis sind, ist sicherlich eine wichtige Studie. Denn die Übertragung von Krankheitserregern von Menschen auf die einzigartige Tierwelt der Antarktis ist nicht erst seit COVID ein wichtiger Punkt. Doch das SARS-CoV-2-Virus hat unsere Aufmerksamkeit auf diesen Aspekt wieder verstärkt. Die Risiken einer Übertragung sind auf jeden Fall da und deren Auswirkungen auf die verschiedenen Tierarten nicht zu unterschätzen. Dies schreibt das Team in seiner Arbeit auch. Doch man sollte die Studie relativieren. Denn zum einen zeigt der gegenwärtige Verlauf der Antarktissaison, dass bei einer konsequenten Handhabung der Schutz-, Test- und Quarantänemassnahmen das Einschleppen des Virus auf ein noch minimaleres Risiko reduziert werden kann. Da gleichzeitig eine touristische Saison ohnehin nicht stattfindet und fast alle der von der Arbeitsgruppe vorgeschlagenen Massnahmen IAATO-Standard sind, ist auch diese Übertragungsroute de facto im Moment geschlossen. Doch das Virus zirkuliert immer noch und ab kommendem Herbst wird eine neue Saison menschlicher Aktivitäten in der Antarktis starten. Bis dahin ist es jetzt viel wichtiger, zuhause zeigen zu können, dass wir das Virus dort ernst nehmen und erfolgreich in die Schranken weisen können. Denn der Schutz der Antarktis und seiner Tierwelt fängt vor der eigenen Türe an und nicht erst dort, wo Pinguine, Robben und Wale zuhause sind.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Barbosa et al. (2021) Sci Tot Envi 755 (2), Risk assessment of SARS-CoV-2 in Antarctic wildlife; https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2020.143352

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