Mit den massiven Schneemassen im Januar und Anfang Februar und den plötzlich eintretenden Kältewellen, die darauf gefolgt sind, waren viele Länder in Europa und Nordamerika ziemlich überfordert. Das durch COVID-19 bereits eingeschränkte öffentliche Leben war fast komplett zum Stillstand gekommen, viele Menschen wähnten sich in den polaren Regionen statt zuhause. Der Grund für die Turbulenzen findet sich nach Ansicht der Experten in der Arktis und dem schwachen Polarwirbel, angetrieben nicht zuletzt durch die Meereisentwicklung im Arktischen Ozean.
Wie «Meereisportal», das Informationsportal des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung und der Universität Bremen schreibt, hat sich die Meereisausdehnung im Dezember und Januar zwar im gleichen Rahmen befunden wie in den vergangenen zwei Jahren. Aber der Abwärtstrend ist auch mitten im Winter (Dezember / Januar) weiterhin ersichtlich und beträgt rund 3 Prozent pro Jahrzehnt. Gegenwärtig melden die Wissenschaftler eine Meereisfläche von knapp 14.3 Millionen Quadratkilometer mit einem täglichen Zuwachs von etwas mehr als 47’500 Quadratkilometer pro Tag. Regional sieht aber die Situation ganz unterschiedlich aus: Während in der Region um Svalbard bis Nowaja Zemlya weniger Eis im arktischen Ozean treibt und die Wassertemperaturen dort über dem Normalen liegen, haben sich Eismassen in Ostgrönland und im zentralen Beringmeer weiter nach Süden bewegt als sonst. Und in Russland ist die Packeiskante entlang der Küste Tschukotkas, Kamtschatkas und im Ochotskischen Meer weit ins Meer gewandert.
Betrachtet man die Temperaturabweichungen vom Durchschnitt in den vergangenen Monaten, sieht man, dass in diversen Gebieten, die eigentlich eiskalt sein sollten, die Temperaturen um mehrere Grad höher waren als im Durchschnitt. Dafür lag sie an anderen Orten wie beispielsweise Sibirien viel tiefer. Das wiederum führte dazu, dass der jährlich auftretende Polarwirbel, ein gigantisches Tiefdruckgebiet über der Zentralarktis, kaum aufgetreten ist. Dadurch wurde in der Atmosphäre, wo sich die Wetterlagen abspielen, kein stabiler Polarjetstream aufgebaut, sondern ein schwankender Gürtel, der es erlaubte, dass kalte arktische Luft bis nach Griechenland und in den USA nach Texas stossen konnte. Wenn diese Luftmassen wieder zusammenbrechen, kommen sofort wieder südlicher gelegene wärmere Luftmassen nach Norden und führen zu den schnell steigenden Lufttemperaturen wie jetzt gerade.
Die Anomalien, die also jetzt beobachtet werden, haben nach Meinung verschiedenere Forscher ihren Ursprung im Meereisverlust der Arktis, bzw. in der Erwärmung der Wassermassen im Arktischen Ozean. Diese wiederum sind das Resultat der Klimaerwärmung. Doch wirklich einig ist man sich nicht, denn andere Wissenschaftler betrachten die gegenwärtige Situation als eine Ausnahme, die aufgrund des Zusammenspiels verschiedenere Ausnahmesituationen zustande gekommen ist. Doch sind solche Ausnahmesituationen in Zukunft die Regel oder zumindest häufiger, was sie wiederum nicht mehr zu Ausnahmen machen würde? Es ist wahrscheinlich, dass extremere Wetterphänomene häufiger auftreten werden, sagen immer mehr Klimatologen.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal