Eisberge schmelzen ganz anders als gedacht | Polarjournal
Wenn Eisberge im offenen Ozean treiben, sind sie den Winden, Wellen und auch den langsam steigenden Wasser- und Lufttemperaturen ausgesetzt. Diese sorgen dafür, dass der Eisberg langsam abschmilzt und in kleinere Teile zerfällt. Diese Prozesse sind auch in die Klimavorhersagemodelle eingebaut worden, die mit den Erkenntnissen von Eric Hester und seinem Team weiter verbessert werden. Bild: Michael Wenger

Antarktische Eisberge haben es in den letzten Jahren häufig in die Schlagzeilen der Weltpresse geschafft, notabene ohne dass Schiffe involviert waren. Wenn gigantische Eisriesen mit mehreren tausend Quadratkilometer Fläche von den Eisschelfs abbrechen, ist das aber nicht nur ein Medienspektakel. Denn weil diese Giganten aus Süsswasser bestehen, beeinflussen sie beim Abschmelzen ihre ozeanische Umgebung. Und dies hat auch klimatisch einen Einfluss. Ein Forschungsteam hat nun zum ersten Mal zeigen können, dass dieses Abschmelzen zum einen nicht ein einförmiger Prozess ist. Und zum anderen geschieht das Abschmelzen viel schneller als bisher angenommen. Interessant dabei: Sie verwendeten kleine Eiswürfel für ihre Experimente.

Eisberge und ihr Abschmelzen ist ein wichtiger Prozess und ist sogar in den Klimamodellen mit eingebaut. Doch bisher ging man davon aus, dass der Schmelzprozess an einem Eisberg ein mehr oder weniger uniformer Prozess ist. «Frühere Arbeiten, die Eisberge in Klimasimulationen eingebaut hatten, verwendeten sehr einfache Schmelzmodelle», erklärt Doktorand und Erstautor der Arbeit, Eric Hester von der Universität Sydney, Australien. «Wir wollten wissen, wie genau diese sind und ob wir sie verbessern können.» Er und seine Kollegen konnten mithilfe von Simulationen und Experimenten mit kleinen Eiswürfeln zeigen, dass beispielsweise die Seite eines Eisbergs, die von den Strömungen direkt getroffen wird, rund zweimal schneller schmilzt als die Unterseite. Und wenn ein Eisberg in der Strömung treibt, sind die Schmelzraten an der exponierten Front sogar zwischen drei und viermal schneller als bisher angenommen. «Treibende Eisberge schmelzen auch ihrer Basis bis zu 30 Prozent schneller als in den alten Modellen», sagt Hester weiter. Die Ergebnisse seiner Arbeit wurden in der Fachzeitschrift Physical Review Fluids veröffentlicht.

Die Form von Eisbergen, die sogenannte Aspect Ratio, hat  gemäss den Ergebnissen von Hesters Arbeit, einen wesentlichen Einfluss auf die Schmelzgeschwindigkeit. Dies scheint auf den ersten Blick trivial. Doch dieses Verhältnis ist nicht die Länge mal die Breite eines Eisbergs, sondern sie greift die horizontale Ausdehnung und die untergetauchte Tiefe eines Bergs auf. Dies bedeutet, dass breite Eisberge viel langsamer schmelzen als schmale Eisberge, da sie mehr Unterseite aufweisen, die ja langsamer schmilzt. Dazu meint Dr. Geoffrey Vasil, der Leiter der Studie: «Unsere Arbeit schlägt ein einfaches Modell vor, das die Form von Eisbergen miteinbezieht, und als Prototyp für ein verbessertes Schmelzmodellierungsmodell fungieren soll.» Eric Hester meint dazu weiter: « Wir sind zuversichtlich, dass dieses Modell genug der Komplexität aufgreift, um viel besser zu erklären, wie ein Eisberg tatsächlich abschmilzt.»

Die riesigen Eisberge der Antarktis sind meist von Eisschelfs der Antarktis abgebrochen und driften durch Wind und Wellem angetrieben im Südpolarmeer. Durch das Abschmelzen werden Nährstoffe frei, die dann eine grosse Vielfalt von Tieren im Umkreis eines Eisbergs unterhält. Bild: Michael Wenger

Die Tatsache, dass Eisberge schneller als bisher vermutet schmelzen, hat auch Auswirkungen auf die Klimamodellierungen. Weil das Abschmelzen von Eisbergen aber nicht im Ozean gemessen werden kann, sind die Ergebnisse des internationalen Forschungsteams von grosser Bedeutung. Denn Eisberge sind für rund 45 Prozent des Süsswassereintrags in die Ozeane verantwortlich, was wiederum die Meeresströmungen und so das Klima in verschiedenen Regionen beeinflusst. Auch für die Ökologie ist dies wichtig, denn durch das Abschmelzen werden im Eis eingeschlossene Nährstoffe frei und der Süsswassereintrag verändert die Chemie des umliegenden Meerwassers. Eisberge düngen häufig so ihre Umgebung und bilden die Basis für ein eigenes Ökosystem im Südpolarmeer. Experten sind sich einig, dass die Arbeit von Eric Hester wichtig für die zukünftige Modellierungen von Klimavorhersagen ist. Sein Betreuer geht sogar noch einen Schritt weiter: «Seine Methoden könnten auch von Astrobiologen verwendet werden, um Eismonde wie Saturns Enceladus, einen Kandidaten für die Suche nach Leben anderswo im Sonnensystem, besser zu verstehen», zeigt sich Dr. Vasil überzeugt. Auf jeden Fall zeigt es sich, dass die kleinen Eiswürfel, die von Eric Hester und seinen Kollegen verwendet worden sind, ihren grossen Verwandten im Südpolarmeer eines ihrer Geheimnisse entreissen konnten.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: E. W. Hester et al., “Aspect ratio affects iceberg melting,” Phys. Rev. Fluids 6, 023802 (2021).

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