Kleiner Krebs, ganz gross: der antarktische Krill Euphausia superba ist technisch gesehen zwar ziemlich klein (und kein echter Krebs). Doch im antarktischen Nahrungsnetz steht das Tier ganz oben. Praktische jede andere antarktische Tierart, von Fischen über Pinguine zu Blauwalen und Seeleoparden, hat das Krebstier auf dem Speiseplan. Mittlerweile zählt auch der Mensch (wieder) dazu. Um mehr über Euphausia zu erfahren, hat die Australian Antarctic Division eine monatelange Expedition ins Südpolarmeer gestartet und nutzt dabei auch neueste Kameratechnologie, um mitten in Krillschwärmen mitzuschwimmen.
«Was uns wirklich gefreut hatte, war das Darstellen von einzelnen Individuen in Stereoskopie»
Rob King, Krillexperte Australian Antarctic Division
Vom australischen Forschungsschiff Investigator aus wurde die Anlage aus mehreren stereoskopischen Kameras bestehend zu Wasser gelassen und zu einem Krillschwarm hinuntergebracht. In einer Tiefe zwischen 30 bis 60 Meter konnte die Kamera erste Aufnahmen von Krill erstellen, nachdem das Schiff aus der Zone gebracht worden ist. Entstanden sind erste Stereoskopie-Live-Aufnahmen eines Krillschwarmes, die auch die Forscher an Bord begeistern. «Was uns wirklich gefreut hatte, war das Darstellen von einzelnen Individuen in Stereoskopie, wie sie mit dem Schwarm interagieren. Das erlaubt es uns, die Regeln für Schwarmbildung in 3D zu analysieren», erklärt Rob King, Experte für Krill bei der AAD. Mit diesem Erfolg habe man nun zum ersten Mal Arbeiten aus dem Labor ins Feld hinaustragen können, erklärt er weiter.
Krill ist nicht einfach nur ein Krebstier, sondern die wichtigste Nahrungsquelle in der Antarktis. Von den grossen Blauwalen bis hin zu kleinen Fischen sind hinter den nur 6 Zentimeter grossen und 10 Gramm schweren Tieren her. Praktisch alle antarktischen Pinguinarten, zahlreiche Seevögel und auch Robben ernähren sich jeden Sommer von den rosa scheinenden Krebstieren. Mittlerweile hat aber auch der Mensch sich wieder auf die Krilljagd gemacht. Die Kommission zum Schutz der marinen Antarktischen lebenden Ressourcen CCAMLR ist innerhalb der Antarktisvertragsregion für die Regelungen und Einhaltung von Fangquoten von Krill in der Antarktis verantwortlich. Wieviel Krill es tatsächlich gibt, ist nicht bekannt. Schätzungen zufolge könnten bis zu 500 Millionen Tonnen Krill im Südpolarmeer treiben. Vorsichtigere Kreise gehen eher von etwa 100 Millionen Tonnen aus. Das Projekt TEMPO (Trends von Euphausiden nahe Mawson, ihre Predatoren und Ozeanographie) will mehr Licht in das Mysterium Krill bringen. Ausserdem sollen aktuellere Daten in dem CCAMLR-Bereich 58.4.2 gesammelt werden, da dort die Krillfischerei wieder aufgenommen werden soll. Ziel soll eine nachhaltige Fangpolitik für das kleine Krebstier sein.
Die CCAMLR legt die Fangquoten und die Fangregionen von Krill basierend auf den Schätzungen der Forschung fest. Gegenwärtig sind dies rund 620’000 Tonnen im gesamten Bereich zwischen Südgeorgien und der antarktischen Halbinsel. Tatsächlich werden aber weniger als das gefischt. Die letzten veröffentlichten Zahlen weisen rund 440’000 Tonnen gefangener Krill aus. Doch der Druck steigt. Die grossen Fangnationen zurzeit sind Norwegen, Russland, Korea, China, Japan, Chile, Polen und die Ukraine, wie die CCAMLR schreibt. Ihre Produkte finden dann den Weg in die Aquakulturen der Welt und die Nahrungsmittelproduktion und sogar in die Kosmetik- und Wellnessproduktion (Krillkapseln, Krillöl etc.). Viele Staaten sehen da ein «big business», denn Krill wird als scheinbar endlose Ressource betrachtet. Und dies obwohl Forscher seit einigen Jahren Alarm schlagen: Ozeanversauerung und höhere Wassertemperaturen gepaart mit schwindendem Meereis in einer der Hauptzonen von Euphausia superba setzen die kleinen Tiere unter Druck.
Um diesen Druck von der antarktischen Halbinsel etwas zu nehmen und gleichzeitig dem höheren Bedarf gerecht zu werden (und so illegale Fischerei zu minimieren), wurde auch die Region nahe der Mawson-Station geöffnet (Region 58.4.2). Doch seit mehr als 25 Jahre hat dort niemand mehr gefischt. Die Forschung der AAD an Bord der Investigator soll diese Lücke füllen. «Diese Ozeaneinsätze geben uns ein Verständnis dafür, wie sich Krill in Schwärmen orientiert und wie sie Schwärme bilden. Dies ist der Schlüssel zur besseren Vorhersage der Biomasse von Krill – oder wie viel Krill es gibt – in einer Untersuchungsregion», erklärt Rob King. Dazu soll auch untersucht werden, welche Rolle die Tiefsee im Leben von Krill spielt. Denn neuesten Forschungen zufolge ist Euphausia nicht nur ein echter Schwärmer, sondern auch ein Tieftaucher. Kleiner Krebs, ganz gross eben.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal
Link zur Webseite der Australian Antarctic Division: Krill matters