Fossile Pflanzenreste zeigen sensiblen grönländischen Eisschild | Polarjournal
Die zweitgrösste zusammenhängende Eismasse der Erde liegt auf Grönland. Geschätzte 2.6 Billionen Tonnen Eis liegen auf der Insel. Kaum zu glauben, dass diese Menge Eis überhaupt wegschmelzen kann. Doch die Resultate der neuen Studie zeigt, wie fragil dieser Eispanzer tatsächlich ist. Bild: Michael Wenger

Das Eis von Gletschern konserviert viele Dinge. Nicht nur Gasblasen, die der Wissenschaft ein Fenster in das Klima der Vergangenheit öffnen oder Körper von Tieren und Menschen aus der Steinzeit, sondern auch Pflanzenreste, die eine spannende und verblüffende Geschichte über den grönländischen Eisschild erzählen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie eines internationalen Forscherteams, die zufälligerweise über vergessenen Bohrproben aus den 1960er Jahren gestolpert waren. Das aufsehenerregende Ergebnis der Studie: Der Eisschild Grönlands ist mindestens einmal für längere Zeit weitgehend weggeschmolzen in den vergangenen 1 Million Jahre, wahrscheinlich sogar zweimal.

Es sind zwar Fossilien, aber sie sehen aus, als ob sie erst gestern abgestorben sind.

Andrew Christ, Hauptautor, Universität Vermont

Das Forschungsteam unter der Leitung von Paul Bierman von der Universität Vermont, Joerg Schaefer von der Columbia Universität und Dorthe Dahl-Jensen von der Universität Kopenhagen kamen zu diesem Schluss, nachdem sie in Sedimentproben aus Eisbohrkernen teilweise perfekt konservierte Pflanzenreste entdeckt hatten. Die Proben stammten aus Bohrkernen von Camp Century, der ehemaligen US-Basis im Eisschild Grönlands, rund 120 Kilometer von der Küste entfernt. Andrew Christ von der Universität Vermont und Hauptautor der Studie, hatte die Reste in den Sedimentproben entdeckt und erklärt dazu: «Eisschilde pulverisieren und zerstören normalerweise alles auf ihrem Weg. Doch was wir entdeckt haben, waren zarte Pflanzenstrukturen. Es sind zwar Fossilien, aber sie sehen aus, als ob sie erst gestern abgestorben sind. Eine Zeitkapsel davon, was auf Grönland einst existiert hatte und die wir nirgends sonst finden würden.» Die Studie des Teams ist in der neuesten Ausgabe der Proceedings of the National Academy of Sciences PNAS veröffentlich worden.

Das Video erklärt, wie und wo die Überreste gefunden worden sind und zeigt auch einige Aufnahmen der Pflanzenreste, die im Boden entdeckt worden sind. Normalerweise wären da nur Sand und Steine übrig. Das zeigt, wie schnell sich die Eisdecke über die Pflanzen gelegt und nicht zerstört hatte.
Videosprache: Englisch, Länge: 2:35 min Video_ University of Vermont

Die Bedeutung des Fundes wird klar, wenn man bedenkt, dass die Bohrkerne, an deren Ende die Sedimentproben gefunden worden waren, aus einer 1.4 Kilometer dicken Eisschicht stammten, mitten im grönländischen Eisschild. Die Pflanzen zeigen deutlich, dass dieser Eisschild für längere Zeit nicht dagewesen war, so dass sich eine Waldgesellschaft hatte aufbauen können. «Unsere Analysen zeigen, dass die Reste aus einem borealen Wald, also Nadelbäume, Birken, und Weiden wie in Kanada und Alaska, stammten», erklärt Professor Dorthe Dahl-Jensen. «Das sind widerstandsfähige Pflanzen und Bäume und überstehen kalte Bedingungen.» Um mehr über die Umstände zu erfahren, nutzen die Forscher verschiedene Isotopen-Analysen, also verschiedene chemische Formen desselben Elements und konnten so zeigen, dass an der Stelle kein Eis gegeben haben konnte. In Verbindung mit Beleuchtungsmessungen der Bodenproben, Radiokarbonmessungen der Pflanzen und die Anordnungen der Eis- und Schmutzschichten kamen die Forscher zum Schluss, dass der grösste Teil Grönlands in den letzten Million Jahre mindestens einmal komplett eisfrei gewesen sein muss. Vielleicht sogar mehrfach während der Zwischeneiszeiten.

Grönland war und ist zwar ein Synonym für Eis, Schnee und Eisberge. Doch rund 20 Prozent der Fläche der Insel liegt frei und besteht aus einer reichhaltigen Flora von kälte-resistenten Pflanzen wie Weiden und anderen Zwergbäumen, Sträuchern und Blütenpflanzen, Moosen und Flechten. Durch den Klimawandel werden diese Flächen wieder grösser. Bild: Michael Wenger

«Das ist nicht ein zwanzig-Generationen Problem, sondern ein dringendes Problem in den nächsten 50 Jahren»

Professor Paul Bierman, Studienleiter, Universität Vermont

Bisher ging man zwar davon aus, dass in diesen Warmzeiten der Eisschild kleiner gewesen sein könnte. Doch die neuen Ergebnisse zeigen, wie sensitiv dieser eigentlich mächtige Eispanzer auf Erwärmungen reagiert und viel stärker abgeschmolzen ist, als bisher vermutet. «Unsere Studie zeigt, dass Grönland viel sensibler auf die natürlichen Klimaerwärmungen reagiert hatte, als wir bisher gedacht haben. Und wir wissen, dass die gegenwärtige ausser Kontrolle geratene Erwärmung des Planeten massive die natürliche Rate übertrifft», sagt Andrew Christ weiter. Derselben Meinung ist Professor Paul Bierman: «Das ist nicht ein zwanzig-Generationen Problem, sondern ein dringendes Problem in den nächsten 50 Jahren». Auch Professorin Dahl-Jensen sieht die Notwendigkeit, jetzt zu agieren, um zu verhindern, dass der Eisschild derart schmilzt, so dass sich wieder Pflanzengesellschaften bilden würden.

Das Camp Century war eine geheime US-Militärbasis, die in den grönländischen Eisschild gebaut worden war. Unter anderem bohrte man auch durch das Eis in den Boden (rechts). Doch die Proben gerieten in Vergessenheit. Als Energielieferant baute man einen kleinen Atomreaktor ein, der am Ende wieder mitgenommen worden war. Doch die restlichen nuklear-verseuchten Abfälle liess man liegen. Bilder: Archiv US Army via Wikicommons

Auch die Geschichte der Sedimentproben selbst ist in sich spannend. Denn die Proben wurden in den 1960er Jahren im damals geheimen US-Militärlager Camp Century erstellt. Das Camp war in den Eisschild Grönlands eingebaut und sollte als Test für Raketenabschussbasen im Eis dienen. Daher untersuchte man den Eisschild, unter anderem mit Bohrproben. Dabei förderte man die Proben zutage und lagerte sie in einem Gefrierschrank der US-Armee. Auf verschlungenen Pfaden fanden sie den Weg nach Kopenhagen, wo sie bis vor ein paar Jahren einfach gelagert waren. Erst durch einen Umzug des Institutes an einen neuen Ort kamen sie zufälligerweise zum Vorschein und wurden untersucht. Die Eiskerne gehörten zu den ersten ihrer Art und halfen dabei, die ersten Klimamodelle aus der Erdvergangenheit zu erstellen. Das Camp selbst wurde von 1959 bis 1967 verwendet und danach aufgegeben. Berühmtheit erlangte es, als klar wurde, dass die US-Armee einen Nuklearreaktor dort betrieben hatte, der danach wieder entfernt wurde. Doch die restlichen Teile des Mülls wurden einfach im ewigen Eis belassen, in der Hoffnung, dass sie dort keinen Schaden anrichten. Doch so ewig ist das Eis Grönlands nicht, wie die neue Studie eben zeigt.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Link zur Studie: Christ et al (2021) PNAS  118 (13) e2021442118; A multimillion-year-old record of Greenland vegetation and glacial history preserved in sediment beneath 1.4 km of ice at Camp Century; https://doi.org/10.1073/pnas.2021442118

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