Er hatte keinerlei Erfahrung mit der Arktis. Aber er wusste, wie man Krieg führt. Der 1844 in Massachusetts geborene Adolphus Washington Greely trat schon als 17-Jähriger freiwillig in die Armee ein und wurde während des amerikanischen Bürgerkriegs dreimal schwer verwundet. Der Kavallerie-Leutnant galt als extrem diszipliniert, taktisch versiert und – absolut humorlos.
Ihm übertrug die amerikanische Regierung 1879 das Kommando für das Vorhaben, im Rahmen des ersten internationalen Polarjahres in der Lady Franklin Bay auf der Ellesmere-Insel in der Nares-Strasse die nördlichste Forschungsstation der Welt einzurichten und ein Jahr lang zu betreiben. Es war das erste Mal, dass eine Polarexpedition aus der Staatskasse finanziert wurde, genauer gesagt aus derjenigen des Kriegsministeriums. Und man betrachtete das Unternehmen offensichtlich als Kinderspiel: Das Schiff war ein an Bug und Kiel verstärkter Robbenfänger, die 23-köpfige Mannschaft bestand grösstenteils aus Offiziersanwärtern, es gab keine Wissenschaftler an Bord und keine Inuit, die sich in Eis und Kälte ausgekannt hätten.
Nach einer problemlosen Überfahrt setzte die «Proteus» am 11. August 1881 die Mannschaft an besagtem Punkt ab. Adolphus Greely weigerte sich, Kontakt zu den dort lebenden Inuit aufzunehmen: Wie die Indianer betrachtete man die Ureinwohner der kanadischen Arktis als Menschen dritter Klasse. Stattdessen gab er der Forschungsstation den militärischen Namen Fort Conger.
Hier gingen nun die Crew-Mitglieder täglich ihren Aufgaben nach, aber die Stimmung im Lager war mehr als mies: der militärische Drill führte zu konstanten Spannungen im Team. Ein Offizier kündigte. Den Arzt enthob Greely seines militärischen Ranges. Das Jahr ging trotzdem vorüber.
Aber das Schiff, das die Mannschaft wie geplant im August 1882 hätte abholen sollen, schaffte es nicht durch das Kane-Becken: Im Gegensatz zum vorhergehenden Jahr war diese schmale Meerespassage zwischen Kanada und Grönland jetzt stark vereist. Das Schiff fuhr unverrichteter Dinge zurück, Greely und seine Männer mussten ohne Informationen ein zweites Mal überwintern.
Im darauf folgenden Juli 1883 versuchte die «Proteus», die Crew zu retten, erlitt aber vor dem Kane-Becken Schiffbruch und ging wenig später unter. Auch verschiedene Versuche von Walfangschiffen scheiterten.
Schliesslich verliess Greely auf eigene Faust am 8. August 1883 das Lager: In drei Booten ruderten er und seine Männer wie im Rückzugsbefehl notiert durch das Kane-Becken Richtung Süden zum Kap Sabine. Aber nicht entlang der grünen Westküste, wo viele jagdbare Tiere gewesen wären, sondern entlang der stark vereisten, praktisch tierfreien Ostküste: So war es schliesslich im Rückzugsbefehl vorgeschrieben. Als sie schliesslich nach 51 Tagen am Kap Sabine ankamen, waren sie entkräftet und halb verhungert. Nur 50 Kilometer vom neuen Lager entfernt wäre eine rettende Inuit-Siedlung gewesen. Aber Greely ignorierte das: Mit Inuit wollte er weiterhin nichts zu tun haben. Und er hatte Befehl, auf Kap Sabine zu warten.
Was er dann auch tat. 250 Tage lang. Die Männer waren von Hunger und Kälte dermassen geschwächt, dass sie kaum mehr auf die Jagd gehen konnten. Sie ernährten sich von Moos und Flechten – und verhungerten und erfroren einer nach dem anderen. Trotzdem hielt Greely den militärischen Drill aufrecht: Ein Crew-Mitglied liess er standesrechtlich erschiessen, weil er Robbenfelle aus dem Lager gestohlen hatte. Der Arzt beging Suizid. Mindestens vier Leichen wurden von den noch Lebenden gegessen.
Robert Peary bezeichnete Greelys Expedition später als «schwarzen Fleck in der Geschichte der amerikanischen Polarforschung»: Sie war ein verheerendes Ergebnis von militärischem Kadavergehorsam, menschlicher Ignoranz und rassistischer Überheblichkeit. Adolphus Greely als einer der fünf Überlebenden, wurde in Amerika trotzdem als Held gefeiert.
Immerhin: Beim grossen Erdbeben 1906 in San Francisco spielte er eine herausragende Rolle bei der Organisation der Rettungsmassnahmen. Greely starb am 20. Oktober 1935 in Washington.